Depression unter Geringverdienern steigt: Stressfaktor Armut
Wer sowieso schon wenig hat, entwickelt in der Folge auch häufiger eine Depression. Der Sozialstaat muss diesen Stützen der Gesellschaft helfen.
D ie psychische Gesundheit befindet sich in einer Krise. Neue Zahlen des Robert Koch Instituts (RKI) zeigen, dass immer mehr Menschen in Deutschland unter depressiven Symptomen leiden.
Nicht alle sind davon gleichermaßen betroffen. Wer arm ist, leidet um ein Vielfaches eher an depressiven Symptomen. Auch wenn das nichts überraschend Neues ist, darf es nicht als individuelle Verantwortung abgetan werden. Die Erkrankungen entstehen nicht im luftleeren Raum, sondern sind Folge einer Politik der sozialen Härte.
Altenpfleger*innen, Handwerker*innen oder Putzkräfte schuften sich halb kaputt, haben dennoch existenzielle Ängste, fühlen sich vom Staat im Stich gelassen und rutschen in die Depression. Der Grund: staatliches Versagen. Was es braucht, ist ein sorgender Staat, der auch das psychische Wohlbefinden der Bürger*innen als politische Aufgabe begreift.
Die repräsentative Studie „Gesundheit in Deutschland aktuell“ (GEDA) des RKI, die im Deutschen Ärzteblatt veröffentlicht wurde, hat den Einfluss des sozioökonomischen Status auf die wachsende Zahl an Depressionen in Deutschland zwischen 2019 und 2024 untersucht. Die Studie belegt knapp zusammengefasst: Je niedriger der Bildungsgrad und das Einkommen, desto stärker die Belastung durch depressive Symptome.
Während 8,4 Prozent der Personen mit hohem Einkommen depressive Symptome verzeichneten, sind es in der Gruppe mit niedrigem Einkommen ganze 32,9 Prozent, also fast viermal so viele. Die Differenz hat sich in den vergangen fünf Jahren deutlich verschärft, die gesundheitliche Ungleichheit wächst. In der hohen Einkommensgruppe waren es 2019 noch 6 Prozent, in der niedrigen hat sich die Zahl von 16 Prozent mehr als verdoppelt.
Als mögliche Gründe für diese Entwicklung nennt die Studie etwa die Coronapandemie und die Preissteigerungen infolge des Ukrainekrieges, von denen ärmere Haushalte stärken betroffen waren. Die Polykrise der vergangenen Jahre war und ist eine Herausforderung für alle, gesamtgesellschaftlich wie individuell. Jedoch sind mit Menschen mit niedrigem Einkommen mehr Stressfaktoren ausgesetzt und haben weniger Möglichkeiten, mit diesen umzugehen.
Neben 40-Stunden-Woche, Haushalts- und Sorgearbeit mangelt es häufig an Kapazitäten, sich um die eigene mentale Gesundheit zu kümmern. Bei Menschen mit niedrigem Einkommen kommen eine Vielzahl weiterer Faktoren hinzu: finanzielle Sorgen, körperlich belastende Arbeit, kleinere Wohnungen an lauten Straßen. Wer hingegen über mehr finanzielle Mittel verfügt, kann sich eher eine Auszeit nehmen oder eine Privattherapie zahlen, statt sich auf eine monatelange und kräftezehrende Suche nach einem*r Therapeut*in mit Kassensitz zu begeben.
Natürlich lassen sich viele Erkrankungen nicht verhindern, häufig haben sie höchst individuelle Ursachen. Aber wenn ein Drittel der Geringverdienenden psychisch erkrankt, ist das Ausdruck einer strukturellen Ungleichheit. Mehr Kassensitze für Therapeut*innen sind nötig, genug Therapeut*innen gäbe es. Allerdings darf es nicht bei der Symptombekämpfung bleiben. Das Rezept zur Gesundung der Gesellschaft sind bessere Arbeitsbedingungen, eine gute öffentliche Infrastruktur und soziale Absicherung.
Doch die Sparpolitik der Bundesregierung und die Angriffe auf den Sozialstaat drohen die Krise zu verschärfen und treffen insbesondere jene, die den Laden Tag für Tag am Laufen halten.
Die Zahlen des RKI sollten ein Alarmzeichen sein. Leider ist zu befürchten, dass die Bundesregierung dieses nicht wahrnehmen will und sozial weiter erkaltet.
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