Der Berliner Wochenkommentar II: Ein Problem mit der Gewalt

Anwältin, Autorin und Imamin Seyran Ateş wird wegen der Gründung einer inklusiven Moschee in den sozialen Netzwerken beschimpft und erhält sogar Hassmails.

Demonstrativer Besuch Anfang Juli: Grünen-Spitzenkandidat Özdemir zu Gast bei Seyran Ates Foto: dpa

Der Islam habe ein Gewaltproblem, heißt es oft. Auch jetzt wieder, da die Anwältin, Autorin und nun auch Imamin Seyran Ateş wegen der Gründung einer inklusiven Moschee in den sozialen Netzwerken beschimpft wird, Hassmails und sogar Morddrohungen erhält. Deshalb stattete am Dienstag Grünen-Chef Cem Özdemir der Moschee demonstrativ einen Besuch ab.

Erst einmal ist festzuhalten: Religionen haben ein Rationalitätsproblem. Wer wider jegliche Evidenz von der Existenz unsichtbarer Wesen überzeugt ist, die unser Schicksal bestimmen, uns nach dem Tod für Wohlverhalten belohnen oder aber grausam bestrafen, die Details unserer Ernährung und unseres Reproduktionsverhaltens festlegen, dem ist argumentativ kaum beizukommen.

Deshalb ist es ja so schwierig, Fundamentalisten innerhalb eines solchen Denksystems zu begegnen. Im oft wirren Konglomerat unwiderlegbarer Überzeugungen, die ihnen die Religion zur Verfügung stellt, finden sie ihre Handlungsanleitungen meist recht mühelos. Mit welcher Vernunft im Rücken wollte man dagegenhalten? Das unsichtbare Wesen schweigt ja.

Wenn Ateş und ihre Mitstreiter nun versuchen, den Islam als genderneutral, queeraffin und diskursoffen zu interpretieren, begeben sie sich hart an den Rand dessen, was die mittelalterlichen Schriften so hergeben, auf die sie sich ja auch berufen. Aber abgesehen davon, dass es sich um eine progressive, menschenfreundliche Herangehensweise handelt: Das ist vollkommen legitim. Jeder darf Literatur interpretieren, wie er will, und wenn die Lesart mit der gesamtgesellschaftlichen Willensbildung harmoniert, umso besser.

Ein angemessenes Zeichen

Das sehen leider eine ganze Menge Muslime anders, gerade die Funktionsträger der reli­giö­sen Verbände, von denen sich einige inzwischen wenigstens zur Verurteilung der Hassbotschaften an Ateş durchgerungen haben. Die Aussage, dass die Imamin selbstverständlich ein Recht auf ihren eigenen Islam habe, käme ihnen jedoch nie über die Lippen.

Das ist in Religionsgemeinschaften wohl normal (vom nach allen Seiten offenen deutschen Mainstream-Protestantismus mal abgesehen). Aber hier geht es um massive Anfeindungen von den Rändern her, und die entfalten sich in einem allgemeinen Milieu der Ablehnung und des Schweigens ganz hervorragend. Das ist gerade das islamische Gewaltproblem.

Dass sich Verbandsfunktionäre und Imame vor Ateş stellen oder ihrem Gebetsraum Solidaritätsbesuche abstatten, ist leider kaum vorstellbar. Die Politik aber, die Berlin gerne als entspannte Hauptstadt der Vielfalt preist, sollte sich selbst ruhig einmal ernst nehmen. Der rot-rot-grüne Senat zu Gast in der Ibn-Rushd-Goethe-Moschee, das wäre ein angemessenes Zeichen.

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