Der Fall Doğan Akhanlı: Vom Freispruch zur „Red Notice“

Inzwischen hat Interpol den „Dringlichkeitsvermerk“ gelöscht, aber die spanischen Behörden haben noch nicht reagiert. Die Geschichte hinter dem Haftbefehl.

2010 wurde Akhanlı bei seiner Einreise verhaftet Foto: dpa

Am 20. Oktober 1989 wird eine Geldwechselstube im Istanbuler Viertel Fatih überfallen. Drei bewaffnete Menschen dringen in das Büro von Yaşar Tutum, dem Besitzer des Geschäfts, und eröffnen das Feuer auf ihn. Tutum erleidet Schussverletzungen an Kopf und Hüfte und verstirbt in Folge seiner Verletzungen. Als Tutums Söhne Mustafa und Tünay und andere Händler aus dem Viertel dem Ladenbesitzer zur Hilfe eilen, bekommen die Täter Panik, zünden eine Rauchbombe und flüchten. Diese wurden bisher weder identifiziert noch gefasst.

Zweifelhafte Details

Hinter diesem Raubüberfall steckt eine interessante Geschichte. Die Anklage enthielt seltsame Details – wie zum Beispiel die vermeintliche Organisation THKPC-YKB-HKG (hierzu weiter unten), der die Täter zugeschrieben wurden. Zudem hätten die Täter auf der Flucht zwei Taschen am Tatort vergessen, in denen sich Unterlagen und Pläne für weitere Raubüberfälle befanden.

Laut Anklageschrift gehörten die Dokumente einem Buchhalter namens M.F. Ç., über den der Kontakt zu einem H.K., dem Anführer der vermeintlichen Organisation hergestellt wurde. Dieser wiederum soll im Jahr 1993 den Namen Dogan Akhanli ins Spiel gebracht haben. Die Söhne des ermordeten Geschäftsführers sagten bei der ersten Verhandlung vor Gericht aus, dass Doğan Akhanlı sich am Tatort befunden habe.

Allerdings ist unklar, auf welche Beweise sich diese Aussagen beziehen. Akhanlı wurde somit zum Mitglied und Kopf einer Organisation, von der er nie zuvor gehört hatte.

Eine Organisation, die niemand kennt

Der Name der vermeintlichen Terrororganisation lautete Türkiye Halk Kurtuluş Partisi- Yeniden Kurtuluş Birliği- Halk Kurtuluş Güçleri (THKPC-YKB-HKG), also Türkische Volksbefreiungspartei – Vereinigung zur Wiederbefreiung – Volksbefreiungskräfte, kurz THKPC-YKB-HKG.

Das Kürzel, indem sich kein einziger Vokal befindet, wie es Akhanlı wohl beschreiben würde, war möglicherweise nicht das Seltsamste an dieser Organisation. Sie hatte weder ein Parteiprogramm, noch war sie dem türkischen Geheimdienst bekannt. Auch sonst schien niemand die Organisation zu Kennen.

Politischer Druck auf Akhanlı

Der Schriftsteller Doğan Akhanlı, der vor 1980 Mitglied in der kommunistischen Partei DKP war, wurde nach dem Putsch 1980, wegen “Mitgliedschaft in einer Terrororganisation“ und “Bestrebungen die türkische Regierung zu stürzen und deren Verfassung zu ändern“, 1985 mit seiner späteren Ehefrau Ayşe Akhanlı verhaftet und befand sich anschließend 2,5 Jahre in Haft.

1989, im Jahr, als die Wechselstube überfallen wurde, waren Ayşe Akhanlı für eine Zeitung und Doğan Akhanlı für eine Rechtsanwaltskanzlei tätig. Der politische Druck lastete auch weiterhin auf der Familie Akhanlı. Aus diesem Grund zogen sie 1991 nach Deutschland, beantragten politisches Asyl und ließen sich in Köln nieder.

Geständnis unter Zwang und Folter

2010 wollte Akhanlı in die Türkei reisen, um seinen schwerkranken Vater zu besuchen. Obwohl ihm Freunde davon abrieten, bestieg er am 10. August das Flugzeug und wurde noch am Flughafen festgenommen. Der Vorwurf lautete, Akhanli sei an dem Raubüberfall von 1989 beteiligt gewesen, mit dem er bereits im Jahr 1993 in Zusammenhang gebracht wurde.

Den Gerichtsunterlagen zufolge nannte H.K. – laut Anklage Kopf der fragwürdigen Organisation THKPC-YKB-HKG, Doğan Akhanlı als Mittäter. Diese Aussage sei allerdings unter Folter erzwungen worden. So gaben auch die Söhne des ermordeten Yaşar Tutumlu an, dass Doğan Akhanlı nicht unter den Tätern gewesen sei.

Verhaftung in Spanien bezieht sich auf 1989

In ihrer ersten Aussage hätten die Brüder auf Druck der Polizei die Mittäterschaft von Akhanlı bestätigt. Akhanlı war im Jahr 2010 vier Monate lang in Haft und wurde von den Vorwürfen, 1989 am Raubüberfall beteiligt gewesen zu sein, freigesprochen. Dieses Urteil wurde jedoch am 23. Februar 2013 von dem nächsthöheren Gericht wieder aufgehoben.

Ercan Kanar ist Anwalt und ehemaliger Vorsitzender des Menschenrechtsvereins in Istanbul. Er hatte die Verteidigung von Akhanlı während seiner Verhaftung in der Türkei übernommen. Laut Kanar beziehen sich die aktuellen Anschuldigen gegen Akhanlı auf den Raubüberfall von 1989.

“Es gibt aber eben diese widersprüchlichen Aussagen in der Anklageschrift.“, so Akar. Auch wenn die Zeugen inzwischen Akhanlis Beteiligung verneinten, bestehe die Staatsanwaltschaft auf seine Beteiligung, was wiederum zur Revision des Freispruchs geführt habe.

Staatsanwalt ist inzwischen Staatsfeind

Ein weiteres interessantes Detail im Fall von Dogan Akhanlı ist: Celal Kara, der Staatsanwalt, der auf die Schuld und Mittäterschaft des Schriftstellers bestand, ist gleichzeitig der Staatsanwalt, der die Ermittlungen im Korruptionsskandal vom Dezember 2013 eingeleitet hat. (In Folge von langjährigen Untersuchungen wurden zahlreiche Personen aus dem engsten Umfeld der türkischen Regierungspartei Gerechtigkeits- und Entwicklungspartei (AKP) festgenommen. Anm.d.Red.).

Die Regierung hatte sich bemüht den Korruptionsskandal als Operation der Gülen-Bewegung gegen die Regierung darzustellen. Jeder, der mit den Ermittlungen zu tun hatte wurde inzwischen als Terrorist diffamiert. Celal Kara wurde ebenfalls zur Zielscheibe der Regierung. Es wird angenommen, dass sich der ehemalige Staatsanwalt inzwischen im Deutschland Exil befindet.

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1972 geborener Journalist. Nach Tätigkeiten für die Tageszeitungen Milliyet, Sabah und Cumhuriyet begann er als Reporter für die 'Zeitung Birgün zu arbeiten, wo er noch heute tätig ist. Acarer gewann 2016 den renommierten Metin Göktepe Journalistenpreis und 2017 den Preis für unabhängige Journalisten.

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