Der Fortsetzungsroman: Kapitel 29: Klauen als Volkssport

Alles umsonst: In den Tagen nach Kriegsende zieht das Kaufhaus des Westens magisch an.

Da fiel 1943 ne Bombe rein: Das Kaufhaus des Westens. Bild: ap

Früher habe ich immer erzählt, Mütterchen hätte immer erzählt, dass kurz vor Kriegsende im Mai 1945 eine Bombe ins KaDeWe fiel. In meinen Aufzeichnungen von vor 18 Jahren steht:

„– KdW Ruine (Keller war offen)“

Mein Freund Paul ist Historiker, gelernter, der hat gesagt, das kann gar nicht sein, zu Kriegsende gab es keine Bombenflieger mehr, da war Häuserkampf. Wahrscheinlich war es Ende Mai. Nach Kriegsende.

Auf der Webseite www.kadewe.de kann man nachlesen, dass 1943 ein amerikanisches Flugzeug in das Kaufhaus stürzte. „Das Haus brennt fast völlig aus“, steht da.

Nun frage ich mich, wenn der Keller schon offen war, warum sollen die dann zwei Jahre gewartet haben, bevor sie losgingen und das taten, wovon diese Geschichte handelt, nämlich: von der Plünderung des KaDeWe. Merkwürdig.

Jedenfalls.

Die Lagerräume waren offen. Das Kaufhaus wurde zum Selbstbedienungsladen.

Und meine Großmutter, gar nicht dumm, griff sich meinen frisch angetrauten Großvater sowie alle Koffer und Taschen, die sie finden konnte, und machte sich auf den Weg in die Tauentzienstraße. Roserie kam auch mit.

Dort angekommen, füllten sie einen der Koffer mit Grieß – „Ausm Sack mit Händen geschöpft“, hab ich notiert. Von einem Stapel ergatterten sie einen Emailleeimer. „Helles, glänzendes Blech“, hab ich notiert. Diesen hellen glänzenden Blecheimer füllten sie mit Erbsen. Bis obenhin. Und weil sie nicht die ganze Zeit das schwere Zeug mit sich rumschleppen wollten, setzten sie Sandy auf den Eimer drauf und stellten den Koffer Grieß daneben, während Mütterchen und Roserie weiter auf die Jagd gingen.

Mütterchen hat immer erzählt, dass in dem Kaufhaus ein Gedränge herrschte wie beim Winterschlussverkauf. „Alle sind klauen jegangen“, sagt sie. „Bei Streisands war eine Familie zwangseinquartiert, die waren ausgebombt. Die ham sich in den paar Tagen, die das KaDeWe offen war, ne komplette Wohnungseinrichtung zusammenjeklaut!“

Vierzehn Tage stand das Lager offen, dann haben die Russen zugemacht und eine Wache hingestellt. Wahrscheinlich war es doch einfach eine Granate gewesen, die den Zugang gesprengt hat.

Mütterchen hat auch erzählt, wie sie am nächsten Morgen mit ihrem neuen Eimer Wasser holen gegangen ist, an der Pumpe an der Kreuzung Eislebener/Ecke Rankestr. „Es gab ja schon wochenlang im ganzen Viertel kein fließend Wasser mehr“, hat sie gesagt. Die Warteschlange an der Pumpe war endlos lang. „Na, und du glaubst es nicht, da brat’ mir eina n Storch, es war zum Piepen, hatten doch an dem Tag alle Leute in der Schlange die gleichen nigelnagelneuen KaDeWe-Eimer in der Hand. Nur einer war dabei, Herr Kaschulke aus dem Nachbarhaus, der alte Nazi, der hatte einen Eimer, der älter war als einen Tag. Der hat vielleicht dumm aus der Wäsche jekiekt!“

Nun gab es da noch Hati, meinen Urgroßvater, den Antiquar und Buchhändler.

Den packte nun irgendwie der Ehrgeiz, als er sah, wie alle anderen Familienmitglieder haufenweise Lebensmittel nach Hause schleppten. Und weil er auch seinen Beitrag leisten wollte, setzte er am dritten Tag seinen Hut auf, zog seine Jacke an und ging los.

Eine Stunde später war er wieder da. Mit einem Paket unterm Arm, nicht größer als ein Schuhkarton. Ich stelle mir vor, wie er seine Beute ganz vorsichtig vor seiner Gattin auf den Küchentisch stellte. „Hier, hab ich dir mitgebracht!“, sagt er. Und sieht sehr zufrieden mit sich aus. Mumi öffnet das Päckchen. Guckt hinein. Dann sieht sie ihren Mann an. Dann trocknet sie sich die Hände ab, setzt sich auf einen Stuhl und fängt an zu lachen.

Backaroma.

Mein Urgroßvater hatte eine ganze Kiste Backaroma geklaut. Es gab kaum Butter, Zucker oder Mehl, ganz bestimmt nicht genug, um Kuchen daraus zu machen, und Eier gab es schon mal gar nicht. Backaroma im Mai 45. Das ist wie Wellnessduschbad in der Wüste, wie WC Ente fürs Plumpsklo, wie ein kostenloses BVG-Jahresabo in Castrop-Rauxel. Unnötig. Komplett nutzlos. Nicht zu gebrauchen. Genau deshalb stand die Kiste nämlich auch noch da. Die wollte keiner. Und genau deshalb hat sie mein Urgroßvater wahrscheinlich mitgenommen. Schließlich gründete sein Ansehen und Einkommen auf Büchern, die keiner mehr haben wollte.

Mütterchen hat erzählt, wie er immer auf Versteigerungen gegangen ist, wo so normaler Hausrat verkauft wurde, zum Beispiel wenn jemand gestorben war und keine Angehörigen mehr hatte. Da wurden die Bücher nämlich säckeweise verkauft.

In der Mittagspause ist Hati nach hinten gegangen und hat sich den Inhalt der Säcke angeguckt. Und während alle anderen in der Kantine saßen, fand er zwischen Kochbüchern und Groschenheften Bücher, deren Wert außer ihm niemand einschätzen konnte. Die hat er dann zusammen mit dem Altpapier fast geschenkt mit nach Hause genommen.

Was ihn aber geritten hat anzunehmen, dass eine Kiste nutzlose Geschmacksverstärker von Bittermandel bis Zimt-Vanille irgendeinen verborgenen Wert haben könnte, das übersteigt meine Vorstellungskraft.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.