„Der Freischütz“ in der Staatsoper: Unterirdisch fromm

Michael Thalheimer hat Carl Maria von Webers „Der Freischütz“ neu inszeniert. Der Premierenapplaus war – na ja, überwiegend freundlich.

Die Chorsolistinnen singen „Wir flechten dir den Jungfernkranz“, daneben Dorothea Röschmann als „Agathe“, hinten Peter Molzen als „Samiel“. Bild: Katrin Ribbe/Staatsoper Berlin

Ihre Welt ist ein dunkler Schacht, den jemand vor Jahren kreisrund in die Erde gebohrt hat. Die Wände sind schwarz, verkarstet und rissig. Abgebrochene Äste liegen herum. Licht kommt nur von ganz hinten aus dem Eingangsloch. Es ist blendend weiß, verliert sich aber bald in dieser vermoderten Unterwelt.

Nur schemenhaft sind deshalb im Bühnenvordergrund die Leute zu erkennen, die sich hier unten versammelt haben. Sie tragen korrekte Anzüge aus gutem Tuch, und halten Äste in der Hand. Man könnte sie für Bürger einer vergangenen Zeit halten, die vielleicht von einem Sonntagsausflug in die Natur zurückgekehrt sind.

Wozu diese unterirdische Anlage einmal gebaut worden ist, wissen sie wahrscheinlich auch nicht mehr. Sie sind hier zu Hause und achten auf Regeln des Anstands, der Treue und Frömmigkeit. Sie besingen die Waidmannslust. Nur einer kauert in der Ecke. Er umklammert eine Flinte, aber sie lachen ihn aus, weil er in der letzten Zeit nichts mehr getroffen hat.

Wie diese Geschichte weitergeht, ist so allgemein bekannt, dass es heute ein Problem ist, diese Oper aufzuführen. Man muss sie gegen ihre Popularität in Schutz nehmen. Carl Maria von Webers „Der Freischütz“ ist seit der Uraufführung im Berliner Schauspielhaus am Gendarmenmarkt von 1821 die Oper der deutschen Nation schlechthin. So hat es das stürmisch jubelnde Publikum bei der Premiere verstanden, die Presse feierte mit.

Nächste Aufführungen in der Staatsoper im Schillertheater: 21., 24., 30. Januar, 5., 8. Februar 2015.

Frömmigkeit, Treue, und Gehorsam

Ganz falsch war das nicht. Der Freischütz spiegelt sehr genau die deutsche Stimmung nach den Wirren der napoleonischen Kriege. Frömmigkeit, Treue, und Gehorsam sind das Thema des Textes von Johann Friedrich Kind aus Dresden und der ganz Europa herumreisende, gar nicht national gesinnte Pianist und Komponist Weber hat seine Musik nicht dagegen geschrieben. Sie stimmt mit ein in die Feier der Ordnung und Obrigkeit, lässt den Teufel höllisch flackern, aber eben nicht gewinnen: „Wir flechten dir den Jungfernkranz“ gehört noch heute zum Kernbestand ländlicher Singvereine.

Michael Thalheimer und sein Bühnenbildner Olaf Altmann zeigen auf beeindruckend drastische Weise, warum gerade diese Oper noch immer geliebt und überall aufgeführt wird. Meistens haben Intendanten und Regisseure dabei ein schlechtes Gewissen wegen der deutschtümelnden Jägerei, die sich nun mal nicht austreiben lässt - und wenn man es doch tut, dann hagelt es Verrisse wie zuletzt bei Calixto Bieito an der Komischen Oper Berlin. Thalheimer und Altmann haben keine Angst davor, beides gleichermaßen ernst zu nehmen: Die nationale Romantik des Textes und die volksliedhafte Sanglichkeit der Musik.

Sie stecken beide im selben Erdloch, und sind dort so aktuell wie sind nur sein können. Auf der Bühne steht gar nicht symbolisch, sondern konkret und plastisch sichtbar der Geburtskanal der Pegida-Demonstrationen. Selten hat ein Opernhaus mehr getan für die politische Aufklärung als hier. Alles ist zu hören und zu sehen, was gegenwärtig zehntausende auf die Straße treibt: Das unheimliche Fremde in der Wolfsschlucht, das Elend eines Versagers, dann die Güte des Vaters, die Unschuld der Frauen, die Wahrheit des christlichen Glaubens.

Und es geht am Ende gut aus. Nicht weil irgendwelche Forderungen erfüllt werden, sondern weil sich alles wieder einfügt in die Rituale der Biederkeit. Immer wieder müssen Figuren durch das blendend weiße Loch des Höhleneingangs hinein kriechen. Da draußen ist offenbar nichts, was sie halten könnte, sie müssen zurück in den Schacht, den sie nicht als Gefängnis, sondern als Heimat empfinden.

Ausnahmslos großartig gesungen

Das ist großes, wenn auch bedrückendes Theater. Bedrückend, weil es nichts kritisiert. Weber vor allem kommt zu seinem vollen Recht, wunderbar dicht und klangvoll gespielt von der Staatskapelle unter Sebastian Weigle, und ausnahmslos großartig gesungen von Burkhard Fritz, Falk Struckmann, Dorothea Röschmann, Anna Prohaska und Roman Trekel. Es ist wohnliche Musik, die da erklingt, sie artikuliert Lust und Leid, Angst und Trost, aber immer so, dass keine Grenzen gesprengt werden. Wir dürfen zurück kehren in den vertrauten Garten der frühen Romantik.

Ganz am Ende jedoch, wenn der Oberförster aufruft, die Augen zu heben, um dem Schöpfer zu danken, schickt Thalheimer dann doch eine Warnung in den Saal. Max und Agathe, das Brautpaar, blicken zu Boden. Und die Sprechrolle des Samiel geistert ohnehin schon seit der Ouvertüre überall herum. Denn hier muss niemand hinunter in die Wolfsschlucht. Wir sind schon dort, ganz unten, wo Webers Höllenmusik das Böse spielen lässt. Verstehen muss man nur, und man kann es bei Thalheimer hören, dass die fröhlichen Jäger oben das selbe Lied singen.

Natürlich hat auch die Staatsoper die öffentliche Erklärung der Deutschen Bühnen gegen die Pegida-Bewegung unterzeichnet, und der Premierenapplaus war – na ja, überwiegend freundlich.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.