Der Milchstreik der Bauern läuft an: Täglich 800 Liter Wut

Es tut weh, aber es muss sein: Die Bauern streiken für höhere Milchpreise und müssen daher täglich Milch wegschütten. Ein Besuch im Allgäu.

Für die Güllegrube: Ein schwäbischer Milchbauer melkt eine Kuh mit der Hand. Bild: dpa

Es ist sieben Uhr. Wütend, mit Tränen in den Augen, greift Bauer Andreas Blank zu seinen bis obenhin gefüllten Milchkannen. Eine nach der anderen leert er in die Güllegrube oder schüttet sie ins Futter seiner Kühe - die Milch, die er zuvor wie jeden Tag bei seinen 35 Milchkühen gemolken hat. Das heißt, an diesem warmen Maitag mussten nur 28 Kühe gemolken werden. "Sieben habe ich vorzeitig trocken gestellt." Das heißt, dass die Kühe, die bald Kälber bekommen, schon früher als sonst nicht mehr gemolken werden. Mehr Heu statt frisches Grünfutter hilft dabei, die Milchmenge jeder Kuh deutlich zurückzufahren. Einen Teil der täglich gewonnenen Milch verfüttert Bauer Blank zusätzlich an seine Kälber, dann kommen für ihn und seine Frau die schwersten Momente des Tages: das Wegkippen.

Zornesröte steigt ihm ins Gesicht, wenn er von den "Dumpingpreisen" für seine Milch spricht. Rund 35 Cent bekommen er und seine Allgäuer Kollegen derzeit für den Liter, in Norddeutschland ist es noch weniger. "Mindestens zehn Cent brauchen wir pro Liter mehr, sonst können wir einfach nicht überleben", sagt er. Seine Frau nickt zustimmend. Doch als dann dieser Moment kommt, den sie in ihren langen Bauern-Jahren noch nie erlebt haben, dieses Wegkippen ihrer Arbeit, als ihr Mann nach dem Leeren der Milchkannen auch noch den großen Edelstahltank öffnet und das weiße Gold des Allgäus in die Güllegrube läuft, da wischt sie sich mit der Hand die Tränen weg. "Wir können nicht mehr anders", erklärt ihr Mann, und fuchtelt mit den Händen, als wollte er einen imaginären Gegner verprügeln. Vor allem die Molkereien haben die Wut der Milchbauern auf sich gezogen, die großen vor allem und auch die Aldis und die Lidls.

700 Kilometer nördlich, im fernen Berlin, übertrumpfen sich die Milchindustrie- und Einzelhandelslobbyisten derweil mit Beteuerungen, dass das alles doch keinen Sinn mache mit dem Boykott. Michael Brandl, der Sprecher des Milchindustrieverbandes, wirkt noch am gemäßigsten. Er sagt, er habe wirklich Verständnis für die Not der Bauern, gleichwohl sei der Boykott nicht zielführend. Notfalls werde eben Milch aus dem europäischen Ausland oder vom Weltmarkt dazugekauft. Nach eigenen Angaben vertritt der Verband über 95 Prozent der Molkereien. "Der Milchpreis wird doch längst nicht mehr in Deutschland gemacht, sondern in Europa oder sogar auf dem Weltmarkt." Dann spricht der Milchfachmann an, was auch viele Bauern, wenn auch nur knurrend, zugeben: Als vor ein paar Monaten, im goldenen Herbst 2007, plötzlich die Milch weltweit knapp wurde, als sogar die Chinesen als Großmilch-Einkäufer herhalten mussten für steigende Milch- und Lebensmittelpreise, da haben auch manche Milchbauern den Rachen nicht voll genug bekommen. Vor allem in der nördlichen Hälfte der Republik animierten Molkereien ihre Bauern dazu, mehr Milch als es die Quote vorsieht, anzuliefern, zum Teil gab es auch noch kräftige Zuschläge. "Spitzbuben in den eigenen Reihen, die uns den Markt kaputt machen", nennt Bauer Blank diese Kollegen. Er hat schon anlässlich der BSE-Krise immer wieder auch selbstkritisch innerhalb der Bauernschaft nach Ursachen gesucht. Allerdings weiß auch er, dass die Bauern zu lange schon von der Subtanz gezehrt haben, dass zu viele Söhne die Jahrhunderte alte Tradition über den Haufen geworden und den Beruf des Landwirts mit einem Job in der Industrie getauscht haben. Oder bestenfalls noch als Nebenerwerbslandwirte arbeiten.

Wut kocht auch beim Surfen im Internet hoch. Bauer Blank liest, dass in Berlin sich ein Lobbyist noch viel heftiger geäußert als hat als der Herr Brandl von der Milchindustrie, nämlich Hubertus Pellengahr vom Hauptverband des Deutschen Einzelhandels (HDE). Der tönte, der Milchstreik verpuffe wirkungslos, er sei geradezu absurd.

Doch aus seiner Reaktion entnehmen die Bauern wiederum, dass der erst wenige Tage alte Milchboykott schon beginnt, Wirkung zu zeigen. "Sonst wären die doch nicht so nervös", meint ein anderer Milchbauer, der Unterallgäuer Landwirt Peter Schneider aus Ottobeuren.

"Das können die nicht auffangen, das wird man in Kürze spüren", sagt er. Leere Regale schon zum Wochenende hält Schneider durchaus für denkbar. Auch bei ihm auf dem Hof mit dem herrlichen Ausblick auf die Allgäuer Alpen läuft zurzeit Tag für Tag dasselbe Szenario ab: die 40 Milchkühe werden gemolken, ihnen kann man schließlich nicht einfach den Milchhahn abdrehen. Etliche Eimer Milch werden an die Kälber und ans Jungvieh, die Schumpen, verfüttert. Der Rest läuft in die Güllegrube. "Ich glaube, dass die Verbraucher uns verstehen, dass sie wissen, dass kein Bauer freiwillig die Früchte seiner Arbeit wegschüttet. Das sind täglich 800 Liter Wut und Verzweiflung."

Milchbauer Schneider hat den Krisenstab mitgegründet, aus dem vor zehn Jahren der inzwischen mächtige BDM (Bund Deutscher Milchviehhalter) erwachsen ist - jener BDM, der den aktuellen Milchstreik initiiert hat, der mit seinen 33.000 Mitgliedsbetrieben inzwischen nach eigenen Angaben rund die Hälfte der Milch in Deutschland erzeugt. Insgesamt werden deutschlandweit rund 80 Millionen Liter Milch hergestellt, im Jahr sind das mehr als 27 Millionen Tonnen. Deutschland ist europaweit Spitzenreiter und innerhalb Deutschlands ist das Allgäu, der südliche Teil des Freistaates Bayern, die Hochburg der Milcherzeuger. Stur sind die Menschen hier, aber sie sind auch stark, widerstandsfähig.

"Reine Notwehr"

Das weiß am besten der Mann, der so etwas wie der Vater der gerade angelaufenen Milchstreiks ist, der Oberallgäuer Romuald Schaber, 51 Jahre alt, Bauer aus Leidenschaft und Bundesvorsitzender des BDM. "Das ist eine reine Notwehrmaßnahme, was wir hier machen, kein Bauer schüttet freiwillig seine Milch weg", erklärt der mächtige Vorsitzende, an dessen Lippen inzwischen auch der der Bauernverbandspräsident hängt. Gerd Sonnleitner muss inzwischen auf Grund des immensen Echos bei den Landwirten, den vom Konkurrenzverband initiierten Milch-Streik gut heißen. So wie die ganzen bayerischen Spitzenpolitiker, die nicht müde werden, ihrer einstigen Stamm-Klientel wenige Monate vor den Landtagswahlen in fast allen Punkten Recht zu geben.

Bevor er gen Berlin reist, um die Streikzentrale zu stärken, steht Romuald Schaber noch in seiner blauen Arbeitshose im Stall. Eifrig gabelt er Heu für seine 40 Milchkühe. Rund 800 Liter Milch am Tag geben sie, doch seit Dienstag geht diese Milch nicht mehr in den großen Edelstahltank, sondern sie wird, wie bei seinen Kollegen, an die rund 40 Kälber verfüttert, und was die nicht schaffen, landet in der Güllegrube.

Fährt man in diesen angespannten Tagen übers Land, dann sieht man zwar immer noch die Milchlastwagen fahren, doch was man freilich erst durch Nachfragen erfährt: die meisten fahren die Höfe vergeblich an, verlassen sie leer wieder. An vielen Hoftoren oder Stalltüren hängen Schilder mit der Aufschrift "Milchstreik".

Ein Milchfahrer, der in der Region Ammersee bei 95 Bauern täglich 58.000 Liter Milch abholt, berichtet, dass er schon am ersten Streiktag nur 6.500 Liter zusammenbekommen hat. Die Molkerei, die täglich etwa 600.000 Liter verarbeitet, habe 350.000 Liter bei anderen Molkereien zukaufen müssen. Das wird bald schon nicht mehr gehen.

Molkereivorstand streikt mit

Im Milchlandkreis Nummer 1 der Republik, im Unterallgäu, ist das alles schon deutlich spürbar. Die Genossenschaftsmolkerei in Erkheim gleicht einem kleinen Industriebetrieb während der Betriebsferien. Keine Tankwagen werden entleert, keine Maschinen sind zu hören. "Die Produktion steht still", erklärt ein sichtlich angespannter Vorstand. Christian Mögele muss dafür sorgen, dass die 150.000 Kilogramm Milch täglich verarbeitet werden, zu Käse für den Laden unten, vor allem aber zu einem Käsevorprodukt für die Lebensmittelindustrie. So genannter Chesterkäse geht an die Hersteller, die die großen Supermärkte beliefern. Am ersten Streiktag haben sich schon 66 Prozent der Bauern beteiligt, inzwischen sind es 75 Prozent, die ihre Milch nicht mehr liefern. "Ich selbst habe mich dem Milchstreik ebenfalls angeschlossen, ich bin schließlich auch Milchbauer und wir stehen mit dem Rücken zur Wand", sagt Molkerei-Vorstand Mögele.

Über die in seinen Augen zum Teil arroganten Statements des Milchindustrieverbandes und des Einzelhandelsverbandes schüttelt Mögele verärgert den Kopf. Von wegen Zukaufen aus dem Ausland oder gar vom Weltmarkt: Unsinn ist das in seinen Augen. "Auf dem Weltmarkt gibt's doch gar keine Frischmilch." Dass die Landwirte in Frankreich, Italien, Holland, in Österreich, der Schweiz, in Dänemark und in anderen Ländern sich alle solidarisch erklären, stimmt ihn zuversichtlich. Er glaubt, dass es schon bald zu den lange ersehnten marktgerechten Preisen für das so wichtige Lebensmittel Milch kommen wird.

Die achtzig Millionen Liter Milch, die pro Tag hierzulande erzeugt werden, könne man nicht so einfach irgendwo anders herholen, sagen die Protestbauern. Der BDM kalkuliert nach eigenen Angaben zunächst mit acht bis zehn Tagen Milchstreik. "Wenn sich bis dahin nichts bewegt in Richtung kostendeckender Milchpreis, dann können wir aber auch deutlich länger durchhalten", versichert Romuald Schaber. Und Bauer Blank in Attenhausen hat derweil seinen Kindern erklärt, warum derzeit keine neuen Hosen gekauft, keine größeren Anschaffungen getätigt werden. Vielmehr hat er eine alte Buttermaschine vom Dachboden geholt, damit die Selbstversorgung wieder anläuft. Gürtel enger schnallen und im Sinne der gemeinsamen Sache hart bleiben, ist das Motto. AUS DEM ALLGÄU KLAUS WITTMANN

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