Der Politologe Funke zum Nicht-Ausschluss Sarrazins aus der SPD: "Das ist geradezu grotesk"

Der Politologe Hajo Funke wundert sich, dass Thilo Sarrazin in der SPD bleiben darf. Dessen Aussagen seien rechtspopulistisch. Die Parteikommission habe die Definition von Rassismus nicht verstanden.

Thilo Sarrazin auf dem Weg zur Anhörung vor der Parteischiedskommission Bild: dpa

taz: Herr Funke, eine SPD-Kommission hat entschieden, dass Thilo Sarrazin in der Partei bleiben darf. Seine umstrittenen Äußerungen in einem Lettre-Interview über Türken und Araber seien nicht rassistisch. Überrascht Sie das?

Hajo Funke: Ja. Meines Erachtens sind Sarrazins Äußerungen sowohl sozialdarwinistisch als auch rassistisch.

Hajo Funke (65), Politologe am Otto-Suhr-Institut der Freien Universität Berlin, forscht unter anderem zu Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus.

Der Vorwurf: In einem Interview hatte Berlins einstiger Finanzsenator Thilo Sarrazin Türken und Arabern unterstellt, leistungs- und integrationsunwillig zu sein. Er müsse "niemanden anerkennen, der vom Staat lebt und ständig neue kleine Kopftuchmädchen" produziere. Zwei SPD-Kreisverbände hatten daraufhin beantragt, ihn wegen rassistischer Aussagen aus der Partei auszuschließen.

Die Entscheidung: Eine SPD-Schiedskommission hatte am Montag entschieden, dass Sarrazin in der Partei bleiben darf (http://www.taz.de/1/politik/deutschland/artikel/1/sarrazin-darf-sozi-bleiben/). Sarrazin habe sich zwar "radikal und bis zum Tabubruch" geäußert, aber gerade nicht auf rassistische Weise, weil er neben Türken und Arabern auch Deutsche kritisiert habe. Er müsse sich aber bewusst sein, "dass er durch diese Entscheidung keinen Freifahrtschein für alle künftigen Provokationen" erhalte.

Die Parteikommission sieht das anders. So habe Sarrazin zwar von Arabern und Türken gesprochen, die außer für den Obst- und Gemüsehandel keine produktive Funktion hätten und auch keine Perspektive entwickeln würden. Das gelte aber auch für einen Teil der deutschen Unterschicht. Es gebe mithin keine Differenz, sondern eine Gleichsetzung beider Gruppen, so die Kommission.

Dieser Sichtweise würde ich diametral widersprechen. Man muss da die Sprache analysieren. Sarrazin redet von Türken und Arabern, die in ihrer großen Mehrheit ständig neue Kopftuchmädchen produzieren. Das heißt, er kritisiert ein angeblich spezifisches Charaktermerkmal der von ihm singularisierten ethnischen Gruppen. Das ist klassischer Rassismus. Zudem spricht er der Unterschicht der ethnisch Deutschen ab, dass sie sich sozial entwickeln könne. Das widerspricht der politischen Linie der SPD. Aber vor allem ist das eine abgründige, sozialdarwinistische Verachtung von Deutschen, Arabern und Türken zugleich. Wenn die Schiedskomission dies alles beiseitetut, muss man fragen, ob ihre Mitglieder noch sozialdemokratisch sind.

Laut der gängigen Definition des Soziologen Albert Memmi gehört es zum Rassismus, dass sich eine Beschuldigung gegen fast alle Mitglieder einer Gruppe richtet. Dies treffe auf Sarrazins Äußerungen nicht zu, heißt es im Entscheid der Kommission. Schließlich differenziere er zwischen den einzelnen Migrantengruppen - zwischen integrationswilligen Asiaten und überdurchschnittlich kluge Juden auf der einen sowie Türken und Arabern auf der anderen Seite.

Das ist geradezu grotesk. Da hat die Kommission den Memmi und den Rassismusdiskurs überhaupt nicht verstanden. In Sarrazins Text wimmelt es von negativen Kollektivzuordnungen: Die Türken, die Araber, die Kosovaren. Das aber kennzeichnet den Rassismus. Es geht um die von ihm selbst formulierten, negativen Kennzeichnungen eines von ihm definierten Kollektivs.

Das heißt, auch die positiven Äußerungen …

… sind letztlich rassistisch. Den Juden zu attestieren, dass sie alle klug seien - was ist das für eine vermessene Wahrnehmung? Wir haben in Sarrazins Äußerungen alle Ingredienzen eines verstörend rassistischen Publizisten.

Aber die Schiedskommission schreibt, die Volkspartei SPD müsse auch solche provokanten Äußerungen aushalten, weil die Meinungsfreiheit für die Partei ein sehr hohes Gut sei.

Meinungsfreiheit soll aufklären. Daran hat sich Sarrazin mit seinen wiederholten Äußerungen versündigt. Es hängt vom Charakter der Provokation ab, ob sie aufklärend wirkt oder verdummend und das Vorurteil verstärkend.

In diesem Falle …

… ist es antiaufklärerisch, gegen die Anerkennung aller in ihrer Differenz gerichtet. Es ist rassistischer Rechtspopulismus.

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