"Der Zauberlehrling" von Rimini Protokoll: Zauberei und militärische Strategien

Nicht nur Damen verschwinden plötzlich, Massenvernichtungswaffen auch. "Der Zauberlehrling" von Rimini Protokoll im Berliner HAU kennt viele Tricks.

Unglaublich, jetzt sitze ich hier im Theater und schaue den Zauberern zu. Unglaublich nicht nur, weil Markus Kompa, Anwalt und Hobbyzauberer, erst einen kleinen Tisch und dann eine junge Frau schweben lässt. Sondern unglaublich vor allem deshalb, weil die junge Frau, die schwebt, keine Artistin ist, sondern die ehemalige und einzige Presseoffizierin von Island, Herdis Sigurgrimsdottir, und Kompa dabei die ganze Zeit einen Vortrag hält: über die Geschichte von Zauberern beim Militär und die Gemeinsamkeiten in ihren Strategien der Manipulation. Du sollst etwas sehen, und du siehst es.

Denn dies ist weder eine Zirkusshow noch ein bunter Abend auf einem Kreuzfahrtschiff, sondern ein Produkt der Gruppe Rimini Protokoll. Ihr neustes Stück, "Der Zauberlehrling", koproduziert vom Schauspielhaus Düsseldorf und dem Hebbel am Ufer in Berlin, bewegt sich auf den Spuren von Zauberern und militärischen Strategien. Dass beides überhaupt miteinander zu tun hat, ist die These des Abends, die mithilfe von vier Experten belegt wird.

Jeder von ihnen hat eine ungewöhnliche Geschichte. Herdis war Reporterin für das isländische Fernsehen, als sie Anfang 2007 erfuhr, dass Island, ein Land ohne Armee, trotzdem als Mitglied der Nato einen Beitrag zum Einsatz im Irak leisten wollte. Sie bewarb sich auf die Stelle als Presseoffizier. Ihr Kurzvortrag, wie sie Militärangehörige in Medienkompetenz schulte, gehört zu den instruktivsten Passagen des "Zauberlehrlings". Eine besondere Geschichte bringt auch Stanislaw Petrow, ehemaliger Oberstleutnant in der Sowjetunion, mit, der 1983 Dienst hatte, als ein computer- und satellitengestütztes Überwachungssystem einen Raketenangriff der USA meldete. Diesem nicht allein zu vertrauen, sondern auf die Ergebnisse eines zweiten Kontrollsystems zu warten war seine besondere Leistung. Er rettete die Welt damit vor einem Krieg, den der Fehlalarm leicht hätte auslösen können.

Die Zauberkunststücke, mit denen Kompa und Günter Klepke, der Zauberkönig von Berlin, diese Ausführungen begleiten, sind oft symbolischer Art. Traue nicht dem, was du siehst, sagen beide, um dann mit größtem Vergnügen Dinge verschwinden und wieder erscheinen zu lassen. Listig zieht Kompa Vergleiche etwa mit den berüchtigten Massenvernichtungswaffen, mit denen die USA den Einsatz im Irak begründeten und die dann nicht mehr gesichtet wurden.

Klepke, der sich bei der Aufführung in Berliner Hebbel am Ufer knapp 200 Meter von jenem Theater bewegt, wo er vor 60 Jahren als Geräuschemacher arbeitete, begann im Berlin der Nachkriegszeit, amerikanische Soldaten als Zauberer und Musiker zu unterhalten. Er führt vor, wie man mit einem Stückchen Papier den Marschschritt einer ganzen Einheit simuliert. Herdis zeigt, wie man mit Photoshop unerwünschte Informationen auf Fotografien tilgt. Etwas erscheinen, etwas verschwinden lassen, ist eben nicht nur das Metier von Zauberern.

So kreuzen sich die Erzählungen der vier auf ihrer kleinen Varietébühne immer wieder. Wenn manchmal ihr Nebeneinander thematisch auch eher an die Dramaturgie von bunten Blättern erinnert, so ist es formal doch ausgesprochen gut gelöst. Mal wird das Missing Link zwischen der einen und der anderen Geschichte visuell herbeigezaubert, mal verknüpfen sich die Erzählstränge über ein historisches Datum, mal über ein hilfreiches Einspringen, etwa wenn Herdis die Stelle der Dame einnimmt, die Kompa verschwinden lässt, oder Klepke die Geschichten akustisch untermalt.

Seinen ganz besonderen Charme aber bezieht dieser "Zauberlehrling" aus dem Gegensatz zwischen dem Gestus der Aufklärung, dem alle Redeweisen unterstellt sind, und dessen offensichtlichem Widerspruch durch die Illusionen der beiden Zauberer, die den Teufel tun werden, das zu erklären. Das eben ist die Stärke der Inszenierung von Helgard Haug und Daniel Wetzel, uns bei der Lust an den Illusionen zu packen, bevor sie über die falschen und die wahren Bilder reden. Wäre dies ein Film, so hätte ihn vielleicht Alexander Kluge gemacht, der bildhaften Assoziation ebenso viel Recht wie der historischen Recherche einräumt.

Das Regiekollektiv Rimini Protokoll folgt manchmal einer Logik des Verzichts. Je mehr sich die Inszenierungen der realen Mächte theatralisieren, desto weniger Theater wenden sie selbst an. Das führte bei ihrem letzten Projekt, der "Hauptversammlung", dazu, dass sie den potenziellen Theaterzuschauer einluden, an der Hauptversammlung des Daimler-Konzerns teilzunehmen - thats it. Das postdramatische Konzept war da zusammengeschrumpft auf den Gestus des Zeigens. Da erscheint "Der Zauberlehrling" wie ein erleichterndes Gegenprogramm. Schon weil er sich eben auch in die Geschichte von Theater und Illusionserzeugung hineinbegibt.

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