Der magische Jeanszyklus: Weit, eng, weit

Lang, luftig, lässig: Passend zur allgemeinen Entschleunigung ist die Schlaghose wieder da! Ihr Comeback folgt dem ewigen Zyklus von weiten und engen Jeans.

Weite Schnitte für hohe Sprünge: so wird der Jeanssommer 2011. Bild: x-over / photocase.com

Auch das noch. Da hat man gerade perfektioniert, sich frühmorgendlich in die enge Röhrenjeans zu quetschen – Bauch einziehen, Hose zusammenhalten, Bauch weiter einziehen, Knopf zu. Und dann ist die Schlaghose zurück. Mit hohem Bund und ausgestelltem Bein. Lang, luftig, lässig. Einfach so. Weil das jemand entschieden hat. Meint man.

"Grundsehnsucht", sagt Peter Wippermann. Der Trendforscher aus Hamburg denkt seit 1992 darüber nach, warum alles wieder kommt, was schon mal da war. "Man muss sich fragen: Wann war's in Deutschland am schönsten? 73 Prozent glauben, in den Siebzigern." Die Siebziger, das waren soziale Sicherheit, politisches Dagegensein, sexuelles Experimentieren, Blumen im Haar. "Man konnte seinen Job kündigen und später wieder einsteigen", sagt Wippermann.

Na gut. Das Comeback der Schlaghose hatte also einen längeren Vorlauf. Vielleicht hat es sich sogar wirklich aus einem Bedürfnis der Gesellschaft heraus entwickelt. Und damit – einverstanden – auch tieferen Sinn. Will eine Stimmung wiederherstellen, die uns zwischen Terminkalendern, Bürostühlen und Smartphones abhandengekommen ist. Uns entschleunigen. Wenn der Stoff um die Knöchel weit ist, lässt es sich nicht so schnell laufen. Dann kann die Gegenwart noch so hastig sein.

Und mal ehrlich: Dass Entspanntsein "in" wird, war doch abzusehen. Wem die rund 800.000 verkauften Exemplare der Kuchen-Socken-Zeitschrift Landlust etwas sagen, der weiß das schon eine Weile. Dass die Schlagjeans gefeiert und das Leben ihrer ersten Träger – See- und Zimmermänner – verklärt wird, ist eine natürliche Folge.

Mehr noch. Die Schlaghosenrenaissance mag als Trend verbreitet werden, folgt aber einer logischen Rechnung. Die Formel ist simpel: Gut alle zwanzig Jahre kehrt die Hippie-Hose zurück. Oder erinnert sich niemand an die Hosen von Miss Sixty? Die Raver, die nie ohne Ecstasy und ein Beinkleid unterwegs waren, das ihre Plateauabsätze verdeckte? Schlagjeans regierten die Neunziger. Wer die nicht trug, gehörte nicht dazu.

Luftig und Schmal klatschen sich im Takt ab

Noch nicht überzeugt? Beispiel Nummer zwei: Was die Röhre Anfang der Sechziger war, war in erweiterter Version die Karotte der Achtziger - und die Skinny Jeans der nuller Jahre. Zeichnet man ein Koordinatensystem, bei dem die x-Achse das Jahrzehnt ist und die y-Achse die Beliebtheit einer Jeansart, ergibt das regelmäßige Kurven für Röhre und Schlaghose. Die Schnittpunkte, an denen sich die beiden Passformen kreuzen, treten in selben Abständen auf. Weit und Schmal klatschen sich ab. Im Takt.

Modefuzzis würden an dieser Stelle ihre Jeans-Bibel herausholen – die gibt es wirklich – und über die unzähligen Jeanstypen aufklären wollen. Sie würden all die Seiten mit Hot Pants, Boyfriend Jeans und Hip Huggers aufschlagen. Sie würden mit Fäden, Löchern und Nähten argumentieren.

Es würde nichts helfen. Röhre und Schlaghose sind und bleiben die zwei Formen, die sich abwechseln. Sie stehen im Stammbaum der Jeans ganz unten. Als Urtypen. Die vielen anderen Arten sind Abweichungen. Töchter und Söhne. Kommen nicht an gegen Röhre und Schlaghose, diese Grundelemente der Textilindustrie, die nie gemeinsam in Erscheinung treten. Weil sich mit diesem Wechsel so gut Bedürfnisse erzeugen lassen. Danach, neue Hosen zu kaufen.

Die Taktwechsel kommen immer genau dann, wenn man sie gerade vergessen hat. So funktioniert das Revival-Prinzip, der "Retrotrend": Altes wird auf den Markt geworfen und als Neues verkauft. "Die interessanteste Mode ist die, an die ich mich nicht mehr erinnern kann", wie Peter Wippermann vom Trendbüro sagt. Weshalb die Straßen kürzlich mit Grannies, Schuhen im Großmutter-Stil, bevölkert waren. Wenn die Eltern schon die gleiche Mode tragen wie man selbst, bedeutet Abgrenzung, sich an seinen Großeltern zu orientieren.

Trends. Marken. Von alldem ahnte Levi Strauss vielleicht ein bisschen. Damals, 1873, als der Gottvater des Denim das Patent für Nieten anmeldete. Aber ob er geglaubt hätte, dass seine Jeans später als Rebellion gegen das Bürgertum dienen würde? Dass Jugendliche in den Fünfzigern Schulverbote riskieren würden, um die blauen Hosen salonfähig zu machen, die amerikanische Soldaten nach dem Zweiten Weltkrieg in Deutschland verteilten? Dass man sich in den Sechzigern in heiße Badewannen legen würde, um sie dem Körper wie eine zweite Haut anzuschmiegen?

Okay. Vor diesem Hintergrund fällt es nicht mehr so schwer, seine Morgenrituale zu ändern. Die knappen Zeiten sind vorbei, die Konjunkturprognosen beflügeln. Für die lockere Schlaghose muss niemand mehr seinen Bauch einziehen. Es kann also wieder geatmet werden! Bis alles von Neuem losgeht.

Oder man setzt einfach eine Runde aus.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.