Der zeozwei-Wochenüberblick #23: Entschleunigen ist auch keine Lösung

Was läuft schief auf der Suche nach einem gelingenden Leben? Die Antwort gibt es in der aktuellen zeozwei.

Soziologe Hartmut Rosa kennt das Rezept für ein glückliches Leben. Bild: Anja Weber

Was läuft schief beim Versuch, ein gutes Leben zu führen? Eine spektakuläre Antwort des Soziologen Hartmut Rosa.

Hartmut Rosa wurde bekannt als Kritiker einer Gesellschaft, die sich selbst zu Tode hetzt in ihrer Sorge, etwas zu verpassen oder abzustürzen. Weil er „Beschleunigung“ als das Problem beschrieb, dachten die meisten die Lösung sei „Entschleunigung“. Also raus auf die Datsche, Telefon aus, nichts denken, niemanden treffen. Vollkommen falsch, sagt er nun im zeozwei-Gespräch: Entschleunigen ist auch keine Lösung.

Rosa erzählt in zeozwei von zwei Musterfrauen, die identische Lebensverhältnisse haben. Gesundheit, Geld, Beruf, Mann, Kinder, abends noch Fitness, alles gleich. Anna ist grundsätzlich gut drauf, Hannah ist grundsätzlich schlecht drauf. Anna sieht morgens ihre Familien und strahlt.

Hannah sieht ihre Familie und kotzt ab. Anna geht gern zur Arbeit, Hannah hasst ihre Arbeit. Anna freut sich auf die Fitness abends. Hannah denkt: Oh nein, und jetzt auch noch Fitness. Jetzt könnte man ja denken, Hannah hat halt den falschen Mann oder den falschen Beruf.

Mehr Weltreichweite bekommen

Nein, sagt Rosa, sie hat ein grundsätzliches Weltbeziehungsproblem. Der Mensch, der alles negativ sieht, hat das Gefühl, dass die Welt nicht zu ihm spricht. Er erfährt keine Resonanz. Seine Weltbeziehung ist stumm und kalt. Deshalb erlebt er die Welt als ständige Belastung.

In einem faszinierenden Interview erklärt der Jenaer Soziologe, warum wir in falschen Alternativen denken, warum wir versessen auf Weltreichweite (mehr Reisen, mehr Kontakte, mehr Kontrolle, mehr Optionen) sind und sein müssen – und wie wir trotzdem zu mehr Weltreichtiefe kommen, darum geht es nämlich.

Und wer jetzt denkt, Rosa sei esoterisch, der wird schnell merken, dass er hochpolitisch ist. Fehlende Resonanz drückt sich eben auch in apolitischem Verhalten aus oder schlägt in Fremdenfeindlichkeit und einen anti-demokratischen Geist um. Was man von AfD-Wählern gern mal hört: „Das ist nicht meine Welt“.

Sich verwandeln

Und genau das ist es. Das ist nicht ihre Welt. Diese Welt erscheint ihnen kalt, gefährlich, grau, eine Welt der anderen. Sie sind also entfremdet von der Welt – und nun passiert eine dramatische, fast schon auch tragische Fehlzündung. Sie projizieren die eigene Entfremdung auf Menschen, die ihnen fremd sind. Geflüchtete, Einwanderer, Menschen anderer Ethnie, Religion oder Kultur. Dabei sind sie es selbst, die fremd sind. Komplett resonanzlos und entfremdet von der Welt.

Es gibt nur einen Weg, das zu heilen und ein glückliches Leben zu führen: Das Fremde hereinlassen und sich selbst und das andere in der gegenseitigen Beziehung zu verwandeln.

• Das komplette Gespräch gibt es in der neuesten Ausgabe von zeozwei. Am Kiosk, im taz Shop oder auf zeozwei.de.

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850.000 Windräder an den Südpol?

Soll man den Südpol mit 850.000 Windrädern vollstellen, mit riesigen Pumpen und Schneekanonen, um den Meeresspiegel zu senken? Das klingt nicht nach Umweltschutz und ist auch keiner. Aber es könnte Menschenschutz sein. Darum geht es dem Potsdamer Klimawissenschaftler Anders Levermann und seinen Kollegen: Meerwasser abpumpen und in der Mitte des Südpols damit Schneeberge bauen. Das Ziel: Den durch den Klimawandel steigenden Meeresspiegel senken und Menschen vor Überschwemmungen retten. Aber kann und soll man das auf Kosten der Antarktis?

Genau diese Frage will Levermann weltgesellschaftlich diskutiert haben. Für ihn ist es eine Gerechtigkeitschance, weil damit allen Weltbürgern real geholfen wäre – vor allem jenen, die sich, wie die Bewohner der Küstengebiete in Bangladesch, keine Deiche leisten können. Für die Lösung der Klimaprobleme müssten alle neu denken, meint Levermann.

• Das Gespräch „Das klingt erstmal irre“ finden Sie in der neuen Ausgabe der zeozwei.

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Neue Macht der Umweltverbände?

In den vergangenen Monaten schien der Einfluss der Umweltverbände so groß wie lange nicht. Sie haben gegen das Ackergift Glyphosat gekämpft, Geheimdokumente zum umstrittenen TTIP-Freihandelsabkommen zwischen den USA und der EU öffentlich gemacht, den VW-Skandal aufgedeckt – und damit politische Debatte verändert. Die Wirtschaft sieht sich unter „erhöhtem Rechtfertigungsdruck“, sagt Thomas Holtmann, Abteilungsleiter Umwelt und Nachhaltigkeit, beim Bundesverband der deutschen Industrie.

Vielen Deutschen passt das gut, die Sehnsucht nach einer starken Ökomacht nimmt zu. Mit der Anti-Kohle-Bewegung werde die Klimadebatte erstmals wieder stärker politisiert: „Da taucht ein neuer aggressiv geführter kultureller Konflikt auf“, sagt Michael Lühmann vom Göttinger Institut für Demokratieforschung. Lühmann erinnnert das an Konflikte aus den 70er und 80er Jahren – das zeigt für ihn: „Es geht um was.“ Sind die Umweltverbände im Aufwind? Wenn ja, woran liegt das und machen sie etwas daraus?

• Die ganze Geschichte finden Sie in der neuen Ausgabe von zeozwei.

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Berlin – hip, aber unmodern.

Wenn Pariser mal richtig feiern wollen, dann jetten sie übers Wochenende nach – na? – Berlin, jenau. Überall schwärmen sie von dieser Stadt. Berlin gilt weltweit als hippe, bezahlbare Hauptstadt der Kreativen, die bei vielen Trends ganz vorn liegt.

Doch wer urbanen Chic auch mit Fahrradhighways, Solardächern, sozialökologischer Moderne verbindet, findet Berlin arm UND unsexy. Für die Wahl am Sonntag spielt das Thema weder bei Parteien, noch bei großen Teilen der Gesellschaft eine Rolle – Fahrrad jetzt mal ausgenommen. Woran liegt das? Gereon Asmuth, taz-Experte für Berliner Politik, hat die Antwort. – In der neuen zeozwei.

• Jetzt Jahresabo mit vier Ausgaben und schönem Geschenk für nur 20 €.

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Sind Ökos unpolitisch?

Der Soziologe Harald Welzer hält die Umweltszene für „unpolitisch“. Sie begnüge sich mit „Selbstbestätigungsdiskursen“, sei Teil des expansiven Wirtschaftssystems statt es zu durchbrechen, sie agiere wie jemand, der in einem Waggon eines auf den Abgrund zurasenden Zuges gegen die Fahrtrichtung renne und denke, das mache einen Unterschied. So seine Generalkritik in der letzten Ausgabe von zeozwei.

Über diese Generalkritik diskutierten Hanna Gersmann und Peter Unfried mit Welzer am vergangenen Sonntag beim „Festival der Zukunft“, mit dem das Bundesumweltministerium im Berliner Gasometer seinen 30. Geburtstag feierte.

Welzer kritisierte allerdings auch den Problembewusstseinsgrad der Gesellschaft. „90% der Bürger halten Mülltrennung für ihren Beitrag zur besseren Welt“, sagte er. Uwe Schneidewind, Präsident des Wuppertal-Instituts wies inzwischen Welzers Vorwürfe zurück.

• Seine Antwort lesen Sie in der neuen zeozwei.

Der zeozwei-Wochenüberblick von zeozwei-Chefredakteur Peter Unfried.

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Ein Jahrzehnt wollten wir das Merkel-Deutschland überwinden. Nun rückt sein Ende näher.

Jetzt fragen wir uns, ob wir es nicht verteidigen sollten.

Von der zeozwei-Buchliste „10 Bücher für den Herbst“. Tania Martini, taz-Redakteurin für politisches Buch, empfiehlt:

 

Didier Eribon: Rückkehr nach Reims, edition suhrkamp, 2016. 18€

Eine brilliant geschriebene Autobiografie und Analyse der französischen Klassengesellschaft. Didier Eribon entlarvt linke Illusionen über die Arbeiter und gibt Einsicht in die Begeisterung der unteren Schichten für die neuen autoritären, identitären Strömungen. Die vollständige Herbstliste ist im neuen Heft.

taz on tour für eine offene Gesellschaft: Anti-Europäer – was eint sie? Jan Feddersen im Gespräch mit Claus Leggewie, Donnerstag, 22. September, Berlin, taz-café, Rudi-Dutschke-Str. 23, 19.30 Uhr.

Sie wollen, dass die taz bei Ihnen vorbeikommt? Sie haben Redebedarf? Schreiben Sie an: taz.meinland@taz.de

 

Die offene Gesellschaft – welches Land werden wir? 23. September, Berlin, forum factory, 18 Uhr.

 

 

That wraps it up for today. Until next week: Keep your feet on the ground and keep reaching for the stars.