Details der Studie zu Stuttgart 21: Nur simuliert leistungsfähig

Die Grünen sagen, der Stresstest hätte Lücken. Der Bahn wird vorgeworfen, Kosten und Mängel verschwiegen zu haben. Die Präsentation wird viel Streitstoff bieten.

Das Theaterstück um den Bahnhof in Stuttgart geht mit der Präsentation des Stresstests sicher in eine neue Runde. Bild: dapd

BERLIN taz | Es ist ein gewaltiges Konvolut an Daten und Simulationen, das am Freitagmorgen in Stuttgart vorgestellt wird: 360 Bahnhöfe, 1.800 Kilometer Gleise, 2.500 Weichen, 5.400 Signale und 760 Züge hat die Deutsche Bahn in ein Computermodell gefüttert, um nachzuweisen, dass der von ihr geplante neue Tiefbahnhof in Stuttgart leistungsfähiger ist als der alte Kopfbahnhof.

Die Bahn und die Schweizer Experten der Firma SMA haben die Ergebnisse geprüft und sprechen davon, dass ein "wirtschaftlich optimaler Betrieb" möglich sei. Die Kritiker hingegen sind anderer Meinung und verweisen auf die Details der Studie. "Wir wollen der Bahn anhand ihres Stresstests nachweisen, dass der Bahnhof ein Murks ist", sagt einer ihrer politischen Wortführer, der Tübinger Oberbürgermeister Boris Palmer (Grüne), der taz.

Am Ende des Tages geht es für beide Seiten darum, die Öffentlichkeit von ihrer Interpretation der Dinge zu überzeugen. Werden teure Nachbesserungen nötig, könnte das offiziell 4,1 Milliarden Euro teure Projekt nicht mehr finanzierbar sein.

Heiner Geißler, sieht kein Ende des Streits um das Milliardenvorhaben. "Ich glaube nicht, dass man da einen Schlussstrich ziehen kann", sagte er am Freitag im ZDF. Grund sei, dass sich seit Beginn der Schlichtung die politischen Verhältnisse in Baden-Württemberg mit dem Amtsantritt rot-grünen Koalition grundlegend verändert hätten. Diese habe ein Gesetz verabschiedet, das das Land zum Ausstieg aus der Finanzierung ermächtige, eine Volksabstimmung sei geplant. "Infolgedessen wird es für die Bahn sehr schwer sein, in diesem Umfeld die ursprüngliche Planung durchzuführen", sagte Geißler. Darüber müsse am Freitag bei Vorlage des Stresstests gesprochen werden. Geißler kritisiert auch die "Wortklauberei" um Begriffe wie "Premium-Qualität" oder "optimale" Betriebsqualität des neuen Bahnhofes. Die sei keinem mehr zu vermitteln. Ob es eine neue Kosten-Nutzen-Analyse geben müsse, "hängt von der Bewertung der Finanzierungsprobleme ab", sagte Geißler. Wenn das Land aus der Finanzierung aussteigen sollte, gebe es eine Finanzierungslücke von mehr als einer Milliarde Euro. "Auf jeden Fall sind die Risiken enorm", so Geißler. "Das sind Riesenprobleme, die die Bahn nun zu bewältigen hat." Da dürfe man aber den Staatskonzern nicht alleine lassen. Einen neuen Belastungstest für den Bahnhof hält Geißler aber nicht für nötig. "Nein, in dem Verfahren kann man keinen neuen Stresstest verlangen", sagte er. (rtr)

Öffentlich gilt der Stresstest als bestanden. Bereits Ende Juni hatte die Bahn streuen lassen, der Test sei bestanden, nachdem zuvor Verkehrsminister Winfried Hermann Ähnliches angedeutet hatte. Zum damaligen Zeitpunkt war die Sache allerdings noch nicht ausgemacht: Wie aus den heute vorliegenden Unterlagen hervorgeht, hatte SMA noch erhebliche Zweifel.

Stresstester empfehlen einen weiteren Stresstest

Offenbar hatte die Bahn den Test auf eigene Faust durchgeführt und hinterher absegnen lassen. Die Kriterien der Auswertung seien nicht abgestimmt, bemängelte SMA in einem Zwischenbericht. Es fehlten Eingangsdaten zur Simulation, Fahrpläne, Informationen über zugrunde gelegte Randbedingungen. Die Haltezeiten der Züge im Bahnhof waren viel zu niedrig angesetzt - bei S-Bahnen etwa 30 statt 48 Sekunden. Der Bericht der Bahn weise "inhaltliche Mängel" auf und biete keine vollständige Dokumentation. Öffentlich allerdings sprach man von einem bestandenen Test. Wohl, weil SMA zum Schluss anmerkte, die Qualität des Ergebnisses des Stresstests werde sich nicht mehr grundlegend ändern.

Genau das zweifeln Projektgegner allerdings an: "Die Bahn hat sich selbst zertifiziert. Würde man die Punkte einarbeiten, die laut der Gutachter nicht betrachtet wurden, käme raus: Der Bahnhof ist mangelhaft", sagt Boris Palmer.

Tatsächlich hat die Bahn später einige Mängel in ihrer Simulation beseitigt. Allerdings hatte SMA kaum Zeit, diese Ergebnisse zu prüfen, genau genommen vom 7. bis zum 15 Juli. Am Ende hieß es, um Unstimmigkeiten und kleinere Fehler zu beheben, solle eine weitere Simulation durchgeführt werden. Sprich: Die Stresstester empfehlen einen weiteren Stresstest.

Einige der von SMA aufgeführten Kritikpunkte sind alles andere als Lappalien: Wie nebenbei erwähnen die Gutachter, dass sich die S-Bahn in einem kritischen Bereich befindet, das System könnte "kippen", also im Stresstest durchfallen. Das allerdings sei nicht Gegenstand der vorliegenden Simulation gewesen.

Bahn geht intern längst von höheren Kosten aus

Zu guter Letzt haben die Projektgegner mit einer simplen Recherche den ganzen Test ad absurdum geführt: Der alte Bahnhofsvorsteher und Stuttgart-21-Gegner Egon Hopfenzitz hatte in historischen Fahrplänen geblättert und herausgefunden, dass der alte Kopfbahnhof bereits 1966 pro Stunde 56 Züge abfertigen konnte. Die Bahn hat mit ihrem Test herausgefunden, dass der neue 49 Züge schafft - irgendwann nach dem Jahr 2020. Stellung nehmen wollte die Bahn zu alldem gestern nicht, ein Sprecher verwies auf die öffentliche Präsentation. Unterdessen brachte gestern Ministerpräsident Winfried Kretschmann einen neuen Stresstest ins Spiel: "Unter Umständen ist eine zweite Simulation erforderlich."

Ein anderes Thema geht bei der Diskussion um den Stresstest derzeit unter: Gleich mehrere Dokumente legen nahe, dass die Bahn intern längst von höheren Kosten ausgeht: Nach einem Bericht des Spiegels hat die Bahn die Zahlen seit 2002 geschönt. Der Stern veröffentlichte ein internes Dokument, nachdem die Bahn 121 Risiken identifiziert hat. Insgesamt addieren sich demnach zusätzliche Risiken auf über 3 Milliarden Euro.

Die Bahn weist solche Berichte routinemäßig als Unfug zurück. Projektgegner Palmer erhebt dementsprechend Vorwürfe gegen Bahnchef Grube: "Die Bahn geht davon aus, dass sie die Milliardenrisiken auf Baden-Württemberg abwälzen kann. Wenn in ein paar Jahren das Geld ausgehen sollte, steht die Baustelle eben still, bis das Land einspringt. Die Kalkulation der Bahn: Wir zahlen nichts", sagte Palmer.

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