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Deutsche BahnEs ist ein Desaster

Kommentar von Ulrike Fokken

Die Unzulänglichkeiten bei der Deutschen Bahn sind lange bekannt und wirtschaftlich teuer. Kann und will Verkehrsminister Schnieder das ändern?

Sänk u for Wartungsarbeiten an der Infrastruktur Foto: Political-Moments/imago

S chleichend zermürbt die Deutsche Bahn Gleise, Gemüter, Wirtschaftskraft. Sie verursacht Verluste in Deutschland und den Nachbarländern, die in die Milliarden gehen. Vorsorglich rechnet in Deutschland niemand die Schäden der Verspätungen und Streckensperrungen aus. Die Schweiz indes hat gerechnet – und lehnt Vollsperrungen ab, weil Generalsanierungen die Wirtschaft zu sehr schädigen.

Es ist gesamtwirtschaftlich günstiger, wenn Schienen, Weichen, Brücken, Signale während des Betriebs instand gehalten werden. Zudem investiert die Schweizer Bahn SBB seit Jahren in moderne Züge, Reisende können schneller ein- und aussteigen, auch Menschen im Rollstuhl kommen ohne fremde Hilfe mit.

Nun hat die Schweiz viel weniger Industriebetriebe und mit neun Millionen Menschen auch weniger als ein Zehntel der Bevölkerung Deutschlands. Doch Reisende in der Schweiz gewinnen den Eindruck, dass etwa ein Drittel der Schweizerinnen und Schweizer in Zügen pendelt. Die Sitze sind sauber, in den Toiletten gibt es Seife und fließendes Wasser, die Bahnen gleiten über gewartete Schienen und elektronisch überwachte Weichen. Und: Die Schweizer Bahn fährt pünktlich, Anschlüsse quer durchs Land werden erreicht, ebenso die Fernzüge nach Österreich, wo es dieselbe Erfahrung von Zuverlässigkeit und Effizienz gibt.

Vor 15 Jahren moderte die ÖBB so vor sich hin wie die DB. Erster Sanierungsschritt: Management entlassen

Vor 15 Jahren moderte auch die Österreichische Bundesbahn (ÖBB) vor sich hin. Das Schienennetz war ein Sanierungsfall, das Unternehmen ÖBB ein Verschiebebahnhof ausrangierter Politiker aus Bundes- und Landesregierungen. Alles so wie heute in Deutschland. Wie hat Österreich den Umbau geschafft? Als erstes hat der 2010 mit der Sanierung betraute ÖBB-Vorstandschef Christian Kern das Management entlassen. Die von den staatstragenden österreichischen Parteien entsandten Frühstücksdirektoren spielten Tischeisenbahn und hatten kein Interesse, das für sie lukrative Geschäftsmodell Bahn zu ändern.

15 Jahre später investieren die ÖBB regelmäßig ins Schienennetz und bauen es innerhalb Österreichs und zu ihren Nachbarn Italien und Schweiz aus. Einziger Bremsklotz: die kaputten Verhältnisse in Deutschland. Die sind für die Hälfte der Verspätungen in Österreich verantwortlich.

Mit der deutschen Generalsanierung in Bayern ab 2026 verlängern sich die Fahrzeiten nach Österreich und selbst innerhalb des Landes: Schon von Wien nach Zürich brauchen Reisende 90 Minuten länger. Allein der österreichische Güterverkehr rechnet mit rund 500 Millionen Euro Mehrkosten für die Umwege, wenn die Deutschen die Strecke Passau-Nürnberg und München über Rosenheim nach Salzburg sanieren. Zudem fürchten sie, Kunden zu verlieren, die ihre Produkte flexibler und zuverlässiger mit dem Lkw transportieren könnten.

In einer getakteten Volkswirtschaft kostet Stillstand. Eine Stunde Lebenszeit im Bus als Schienenersatzverkehr auf der Strecke Hamburg-Berlin während der aktuelle Vollsperrung auf der Strecke setzen Volkswirte mit 10 Euro an. Veränderungen bei der Beschaffung schienenfreundlicher Triebwagen und Waggons sind anstrengend, eine Reform des Nutzungsentgeltsystems der Bahn wäre mühsam, die Transformation würde Posten im Management kosten. Wer also sollte das System Bahn reformieren?

Verkehrsminister mit ausreichend Reformwillen?

Ein neuer Bahnchef könnte mit politischer Rückendeckung durchaus etwas erreichen. Doch es wird sich zeigen, ob Verkehrsminister Patrick Schnieder (CDU) nicht bereits mit einem neuen Bahnchef, den er nach dem Rausschmiss von Richard Lutz jetzt einsetzen muss, ausreichend Reformwillen demonstriert. Schneiders Haus kontrolliert nicht einmal, was die bundeseigene Bahn-AG mit den 2, 3 oder nun sogar 4,5 Milliarden Euro Steuergeld pro Jahr für den laufenden Betrieb macht.

Die regelmäßigen Milliarden für die Sanierung kommen da noch oben drauf. Mehrfach überwies die Bundesregierung in den vergangenen 30 Jahren mehrstellige Milliardensummen für die Erneuerung der Infrastruktur. Doch selbst die neu eingebaute Technik für elektronische Signale oder Bauteile wie Stahlschienen und Betonschwellen kann die Bahn nicht prüfen oder gar warten.

Mit tödlichen Folgen, wie die Entgleisung des Regionalzugs von Garmisch-Partenkirchen nach München am 3. Juni 2022 zeigte. Fünf Menschen starben, 16 wurden lebensgefährlich verletzt, als der Zug entgleiste. Ursächlich verantwortlich sind Spannbetonschwellen von der Sanierung im Jahr 2006. Innerhalb von nur 16 Jahren wurden sie durch chemische Reaktionen im Beton instabil, hatte die Bundesstelle für Eisenbahnunfalluntersuchung (BEU) in ihrem Abschlussbericht 2025 festgestellt.

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Die Spannbetonschwellen sind den Prüfern seit den frühen 2000er Jahren als gefährliche Träger von Eisenbahnschienen bekannt, seitdem wissen sie von den Alkali-Kieselsäure-Reaktionen und der sekundären Ettringitbildung im Beton.

Auf Deutsch: den Auflöse­reaktionen in den Schwellen. Dennoch hat die DB Netz AG sie 2006 bei der Sanierung der einspurigen Strecke Garmisch-Partenkirchen-München verbaut. Und nicht nur dort, sondern im gesamten deutschen Streckennetz. 2012 hat das Verkehrsministerium – damals unter Peter Ramsauer (CSU) – die DB Netz AG „zur umfassenden Aufarbeitung aufgefordert“, wie das BEU erinnert. Damals sei bekannt gewesen, dass die Spannbetonschwellen „nur unter Beachtung einer angemessenen Instandhaltung bestimmungsgemäß nutzbar“ seien.

Das jedoch ist in Garmisch-Partenkirchen nachweislich nicht geschehen, auch nicht unter dem späteren Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU). In dessen Wahlkreis liegt der Ort. Weder das Bahnpersonal noch die Organisationsstruktur seien befähigt gewesen, urteilen die Unfallanalysten. Nach wie vor seien „mehrere Millionen als kritisch identifizierte Schwellen im Netz“ vorhanden.

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14 Kommentare

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  • In Österreich oder der Schweiz funktioniert es, warum hierzulande nicht? Es liegt sicher vor allem am fehlenden politischen Willen, kein Verkehrminister der letzten 20 Jahre hat die Bahn entscheidend nach vorne gebracht.



    Eine Trennung von Netz und Betrieb ist sinnvoll, damit eine Konkurrenzsituation entstehen kann. Es ist ein Ärgernis, dass die Bahn einerseits eine AG ist und privatwirtschaftlich geführt wird, andererseits weder Konkurrenz hat noch die Insolvenz fürchten muss wenn sie mies performt und Verluste macht. Also entweder wirkliche Konkurrenz mit anderen Bahnunternehmen, der Staat zieht sich weitgehend heraus. Oder umgekehrt: man verstaatlicht den Laden, zu Zeiten als die Bahn eine Behörde war funktionierte der Betrieb deutlich besser, war die Bahn zuverlässig.

  • Man lernt ja immer noch dazu. So wußte ich noch gar nicht, daß Deutschland über 90 Millionen Einwohner hat - "Nun hat die Schweiz viel weniger Industriebetriebe und mit neun Millionen Menschen auch weniger als ein Zehntel der Bevölkerung Deutschlands."



    Danke, taz!

  • "Doch selbst die neu eingebaute Technik [...] kann die Bahn nicht [...] warten."



    Nein: Sie will nicht, da sie die Wartung aus eigener Tasche zahlen muss, der Bund jedoch den Neubau zahlt



    "seit den frühen 2000er [...] wissen sie von den Alkali-Kieselsäure-Reaktionen"



    Nein: Diese tritt in jedem Beton auf, der Fehler lag also entweder bei einer unzureichenden Prüfung im Vorfeld oder man hat das Problem einfach ignoriert, wie spätestens ab 2006.

    Die Probleme der Bahn sind sicherlich zu einem guten Stück mit persönlichen Beziehungen (Schimpfwort Korruption) zu erklären, sonst hätte man den Managern nicht die Möglichkeit gegeben selbst die Leistungskriterien festzulegen ("Ausfall ist keine Verspätung") oder ihre Leistungsboni gegen jeden Verstand schönzurechnen ("Nur 20% der Leistung im Bereich Pünktlichkeit erbracht aber 10 statt geplanten 5 Frauen einstellen: glatte 200% Leistung in dem Bereich).



    Und weil alles so absurd klingt hier noch etwas für die Gallenblase:



    www.tagesschau.de/...and-bonus-104.html

  • Auch in Großbritannien verbessern sich die Bedingungen: Warum? Die Privatisierung war ein Fehler. Der Neoliberalismus bei der britischen Bahn wurde heruntergefahren.

    Bei uns? Eine ernsthafte Restrukturierung wird als Freiheitsberaubung oder Sozialismus angesehen. Oder, der Bürger sorgt sich, dass ein funktionierendes Netz mehr kostet, als wenn Manager sich die Taschen vollstopfen und der genervte Kunde stattdessen auf den PKW umsteigt. Klar, wo keine Kunden, da keine Bahn, da keine Betriebskosten.

  • Auch die Unfalltoten an den Bahnübergängen steigen seit ca. 2020 wieder an. 95% der Unfälle wurden zwar durch Fehlverhalten von Straßenverkehrsteilnehmern verursacht. Das ist aber kausal nicht einfach zuzuordnen, weil m.W. ein auf einem Bahnübergang wegen einer Panne stehengebliebenes Fahrzeug als Verursacher gilt.



    "Das ist einfach eine Frage der Zeit, bis der Mensch einen Fehler macht" wird im Tagesschau Artikel Eric Schöne, TU Dresden zitiert. Das stimmt und gilt für allen Unfallbeteiligten.

    www.tagesschau.de/...enge-tote-100.html

  • Die Unfähigkeit der Bahnverantwortlichen würde Bibliotheken füllen. Ein aktueller Funfact aus dem Bekanntenkreis: Eine Vielnutzerin freut sich über die derzeit gesperrte Bahnstrecke zwischen Siegen und Köln. Mit dem Ersatzbus geht es nach ihrer Aussage zwar nicht schneller, aber wesentlich zuverlässiger. Da spielt es dann schon keine Rolle mehr, dass bei der aktuellen Ertüchtigung eines ihrer größten Ärgenisse auf der Strecke immer noch nicht beseitigt wird. Aufgrund eines nicht reparierten Kriegsschadens fehlen seit Bestehen der Bundesrepublik fünf Kilometer Zweigleisigkeit für eine höhere Taktfrequenz. Die Antwort der Bahn, warum man das jetzt nicht gleich mit erledigen würde: „So schnell geht das nicht mal eben einzuplanen“. Na dann, weiter fröhliche bundesdeutsche Bummelbahn im ganzen Land.

    • @vieldenker:

      Na überlegen Sie mal. Die Bahn kann nicht einfach losplanen und losbauen. Planung, Abstimmung mit Anliegern und Verbänden, Plangenehmigung, öffentliche Auslegung und irgendwann mal eine Baungehmigung. Was meinen Sie, welche interessanten Tiere auf den 5km vermutet werden können.



      Ich will die Bahn nicht in Schutz nehmen, aber bauen ist leider in Deutschland wirklich nicht so einfach möglich.

      • @Bommel:

        Die Beteiligungsmöglichkeiten für Betroffene sind bei weitem nicht so alt wie das Planungsproblem der Bahn…

  • Sehr guter Artikel. Mehr davon.

    Wie viele Milliarden Stunden haben die Bundesbürger in den letzten 20 Jahren mit Warten auf verspätete oder ausgefallene Züge verbracht? Aktuelle Lieblingsdurchsage: "Der nächste Zug Richtung X fällt aus. Grund dafür ist die Verspätung des vorausgegangenen Zuges".

    Von diesen riesigen "Sonderfonds" (immer weitere Schulden), die jetzt aufgelegt werden, wird die Bahn auch weiterhin viel zu wenig bekommen. Eine unbedingt notwendige Generalsanierung bleibt aus.

    Die Deutsche Bahn sagt selbst, dass die Infrastruktur „der Schlüssel zu pünktlicheren Zügen“ sei, und dass 80 Prozent aller Verspätungen auf den schlechten Zustand ihres Netzes zurückzuführen seien. Das Unternehmen beschrieb seine Infrastruktur als „überfüllt, zu alt und zu störanfällig“.

    Die Bahn ist das totale Stiefkind der deutschen Politik. Man denke an Merkel, die ihren Kanzleramtschef Pofalla auf einen Versorgungsposten im Vorstand der Deutschen Bahn setzte.

    Die Deutsche Bahn ist eine Katastrophe, nicht mehr hinnehmbar.

    www.manager-magazi...-af2e-1b95061e89a9

  • Entfernt im Osten von MVP liegende Bahnhöfe in Mecklenburg-Vorpomern sind von Hamburg zurzeit mit Fahrzeiiten von knapp über 5 Stunden erreicbar. Mecklenburg-Vorpommern könnte also auch irgendwo in Afrika liegen.

  • Vermuten wir mal, dass Dobrindt noch nie in diesem Zug saß.



    Wer das Bahnmanagement zurecht weitgehend austauschen möchte, sollte nicht vergessen, dass wir mal einen Nicht-Unions-Verkehrsminister m/w/d bräuchten, dass eben auch mal volkswirtschaftliches Denken statt Lobbybuckeln Einzug hält.

    • @Janix:

      So wie zwischen 1998 und 2009? So Überflieger wie Klimmt, Stolpe oder Tiefensee? Die haben nur volkswirtschaftlich gedacht. Glaube ich.

  • Eine der 100 deutschen Baustellen, wo niemand nachrechnet, was der gesamtvolkswirtschaftliche Preis ist. Ich fahre 40.000 Kilomater im Jahr und verliere per annum ca. vier Tage Lebenszeit durch die Verspätungen - zusammengenommen. In Deutschland ist das auch an anderen Stellen nicht üblich, beim Pflegeskandal, den Schulen und Bildungseinrichtungen, die im Schneckentempo modernisiert und an die Ergebnisse der Hirnforschung der letzten 50 Jahre angepasst wird, oder wenn es darum geht, den Wohnskandal zu beheben.



    Wir brauchen aktive Politik, die ohne ideologische Scheuklappen nach den besten Lösungen sucht und im Team mit der Zivilgesellschaft umsetzt.

    • @Caroline Elias:

      "Wir brauchen aktive Politik,...." Die Kandidatenlisten (der Zivilgesellschaft) und die Wahlergebnisse der Kommunalwahl in NRW vorgestern waren so, dass alles bleibt wie es war.