Deutsche Migrationspolitik: Die Shitshow ist in jeder Hinsicht sinnlos
Seit dem Fluchtsommer verschärft sich die Migrationspolitik in Deutschland. Dabei hätte es durchaus anders laufen können – und sollen.
E ine unvollständige Liste der migrationspolitischen Entwicklungen in der westlichen Welt aus dem Jahr 2025: Die Bundesregierung ordnet rechtswidrige Zurückweisungen von Asylsuchenden an den deutschen Grenzen an. Die US-Behörden entführen Ausländer auf offener Straße und schieben sie in Länder wie den Südsudan ab, in denen sie nie zuvor waren. Die Labour-Regierung in Großbritannien schließt mit Frankreich ein kompliziertes Rücknahmeabkommen für Geflüchtete ab und kündigt später an, Asyl künftig nur noch streng zeitlich begrenzt zu gewähren. Die EU-Institutionen kippen das sogenannte Verbindungselement und machen es dadurch künftig möglich, Menschen, die abgeschoben werden sollen, in Haftlagern außerhalb der EU „zwischenzulagern“.
Wie könnte eine Politik aussehen, die auf Ankommen statt Abschotten setzt? Was können wir lernen aus 2015? Und wo sind die Orte, an denen der restriktiven Politik von oben eine solidarische Politik von unten entgegengesetzt wird? Diesen Fragen haben wir über das im Jahr 2025 fünf Sonderausgaben zu Flucht und Migration gewidmet.
Mit der wochentaz vom 20. Dezember findet das Projekt seinen Abschluss. Es ist keine besinnliche Zeitung geworden – aber eine, die sich um ein Thema dreht, das zu Weihnachten einen besonderen Klang bekommt. Wir beschäftigen uns mit der Frage, was „Zuhause“ eigentlich ist, was es braucht, um sich an einem Ort zu Hause zu fühlen – und wie die Hoffnung darauf oft zerstört wird.
Alle Texte aus dieser Sonderausgaben erscheinen nach und nach hier. In dem Online-Schwerpunkt finden Sie auch die Texte aus den vier vorherigen Sonderausgaben.
Die Bundesregierung bringt das Geas-Anpassungsgesetz auf den Weg, mit dem bald Quasi-Haftlager für Geflüchtete entstehen dürften, für die nach dem Dublin-System andere EU-Länder zuständig sind. Und vor wenigen Tagen kündigte das Bundesinnenministerium an, nun doch rund 550 afghanische Menschenrechtler*innen und Ex-Ortskräfte einreisen zu lassen, die bislang in Pakistan festsaßen, entzieht aber mindestens 650 anderen Afghan*innen das einst gegebene Aufnahmeversprechen. Es gibt Hinweise, dass deutsche Stellen den pakistanischen Behörden dabei helfen, die Verbliebenen zurück nach Afghanistan abzuschieben, in die Hände der Taliban.
Man kann das alles – mit Verlaub – eine Shitshow nennen. Bei den westlichen Regierungen scheint es eine sehr genaue Vorstellung davon zu geben, wer willkommen ist und wer nicht: maximal, wer ökonomisch verwertbar ist. Aber nicht mal unter ökonomischen Gesichtspunkten macht diese Migrationspolitik Sinn. Abschottung geht vor Fachkräftemangel, massiven demografischen Herausforderungen und natürlich vor den Existenzen und Rechten derer, die hier Zuflucht suchten. Vor zehn Jahren zeigte der Fluchtsommer 2015 kurz, dass es anders ginge: dass die Shitshow nicht zwingend ist und die reichen Länder und gerade Deutschland sehr wohl in der Lage sind, denen Schutz zu bieten, die ihn brauchen – wenn sie es denn wollen.
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Die Zeit, in der Bewegungsfreiheit für alle zur Realität wurde, hielt nicht lange. Es folgten innerhalb weniger Monate Asylrechtsverschärfungen und der EU-Türkei-Deal. Aber dass es zehn Jahre später so düster aussehen würde, wie es heute ist, konnte sich damals wohl niemand vorstellen.
Der politische Diskurs hat sich auf Restriktion verengt. Die flüchtlingspolitisch engagierte Zivilgesellschaft findet sich in einer Situation wieder, in der sogar der Erhalt des Status quo ein Kampf ist. Gerade deswegen ist es wichtig, sich immer wieder daran zu erinnern, dass eine progressive Migrationspolitik möglich ist – und Bewegungsfreiheit auch.
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