Deutscher Buchpreis für Kim de l'Horizon: Queere Sichtbarkeit ist ambivalent

Mit Kim de l'Horizon steht eine queere Person im Spotlight, die kulturelles Kapital hat. Das schützt gegen manchen Angriff – aber nicht gegen jeden.

Ein Mensch mit geschorenem Kopf, Bart und Lippenstift trägt einen blauen Schal und ein Oberteil im Tigermuster

Kim de l'Horizon am Mittwoch auf der Frankfurter Buchmesse Foto: Sebastian Gollnow/dpa

Ein Literaturpreis sollte keine Gesellschaftspolitik sein. Jedenfalls nicht allein und in erster Linie. Zu meiner Erleichterung haben die Berichte über den Deutschen Buchpreis für Kim de l’Horizons „Blutbuch“ auch nicht behauptet, dass es bloß das ist: Gesellschaftspolitik. Nein, das mediale Echo hob überwiegend darauf ab, dass hier jemand schlicht Qualitätsliteratur abgeliefert hat. Dass ein wegweisendes Werk prämiert worden ist, das eben übrigens von einer Person mit nicht-binärem Geschlecht verfasst wurde. Wunderbar.

Trotzdem wäre es naiv, zu behaupten, dass so ein Preis nicht auch etwas Gesellschaftspolitisches hat. Zunächst ist da die Sichtbarkeit. Einen queeren, non-binären Menschen zu sehen, der durch das auffällt, was er macht und leistet anstatt durch bloßes Dasein, ist ein unschätzbarer Gewinn, nicht nur für trans und nonbinäre Menschen, die nach Vorbildern lechzen, sondern auch für alle cis Menschen, die nonbinäre Identitäten immer noch für ein bloßes Konzept halten.

Dann ist da die Sprache. Menschen und Medien, die bisher erfolgreich um gegenderte Sprache herumlaviert haben, entdecken plötzlich ihre Skills im pronomenfreien Satzbau.

Dass das alles so gut läuft, hat sicher mit dem Renommee der Literatur zu tun. Der Habitus der Hochkultur zwingt zum Respekt. Gender-nichtkonforme Personen, die in popkulturellen Bereichen zu Ruhm kamen, wurden teils unterirdisch behandelt.

Gegen alltägliche Gewalt hilft auch kein Preis

Allerdings schützen diese zeremoniellen Manieren auch eine Person wie Kim de l’Horizon nicht vor jeder Form der Transphobie. Im Netz untersuchen und sezieren die Ver­fech­te­r*in­nen der Zweigeschlechter-Norm emsig Kim de l’Horizons Äußeres und sprühen dabei Hass und Paranoia. Der Kölner Stadtanzeiger berichtete am Donnerstag, dass Kim de l'Horizons Verlag DuMont für de l'Horizon nach queerfeindlichen Bedrohungen einen Sicherheitsdienst engagiert habe. In einem Text für die Neue Zürcher Zeitung vom Mittwoch berichtet Kim de l’Horizon zudem von alltäglichen Gewalterlebnissen, sprachlich und körperlich.

Sichtbarkeit ist ambivalent. Hier steht eine Person im Spotlight, die kulturelles Kapital hat und sich schützen kann. Mittels einer Kunstfigur (Kim de l’Horizon gibt das Jahr 2666 als Geburtsjahr an und als Geburtsort den Planet Gethen aus dem Werk der Science-Fiction-Autorin Ursula LeGuin); mittels der Fähigkeit, Sprache entwaffnend einzusetzen; und mit einer fast Christus-gleichen Weigerung, den Tä­te­r*in­nen Macht über sich zuzugestehen. „Ich vergebe euch“, schreibt Kim de l’Horizon in der NZZ. Solche Stärke ist inspirierend. Bloß fällt sie Menschen nicht in den Schoß.

Für die meisten queeren, trans und nicht-binären Personen, die sichtbar in eine neue Sphäre der Gesellschaft vordringen, sei es die Schule, der Arbeitsplatz oder das Reich der schönen Künste, ist das ein einsames und verunsicherndes Gefühl. Deswegen dürfen sie nicht alleine bleiben. Repräsentation durch eine einzige Person kann immer nur der Anfang sein. Sie darf nicht als Anzeichen gewertet werden, dass alles in Ordnung ist.

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