Deutscher OSZE-Vorsitz 2016: Sorgen wegen der Ukraine

Frank-Walter Steinmeier übernimmt 2016 den Vorsitz der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa. Er hat große Pläne.

Ein ukrainischer Soldat steckt sich eine Zigarette an

Eskalation oder Deeskalation? Foto: dpa

GENF taz | „Dialog aufbauen, Vertrauen schaffen, Sicherheit herstellen.“ So lautet das ambitionierte Arbeitsprogramm des Auswärtigen Amts für den deutschen Vorsitz in der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE), den Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier am 1. Januar 2016 von seinem serbischen Amtskollegen Ivica Dačić übernehmen wird.

Der Minister hat sich für die nächsten zwölf Monate sehr viel vorgenommen. Steinmeier will dazu beitragen, dass die OSZE künftig „früher, entschiedener und substanzieller auf Krisen reagieren kann“. Zudem soll die OSZE „militärische Risiken zwischen den Mitgliedstaaten reduzieren“, wie sie aktuell zwischen Russland und den Nato-Staaten im Ukrainekonflikt herrschen oder auch zwischen Russland und der Türkei im Luftraum über der syrisch-türkischen Grenze.

Der Bundesaußenminister will dafür sorgen, dass die 57 Mitgliedsregierungen der chronisch unterfinanzierten OSZE endlich mehr Geld, Personal, Transportlogistik und andere dringend benötigte Ressourcen zur Verfügung stellen. Und schließlich will der deutsche OSZE-Vorsitzende den Arbeitsbereichen Wirtschaft und Umwelt sowie Toleranz, Medienfreiheit, Minderheitenrechte „mehr Aufmerksamkeit widmen“.

Die Bundesregierung kann nur hoffen, dass sich in einem Jahr niemand mehr an alle diese Absichtserklärungen erinnern wird. Wenn nur ein kleiner Teil davon erfüllt würde, wäre das schon ein Erfolg. Denn die erheblichen politischen, institutionellen und materiellen Blockaden, Schwächen und Defizite der OSZE sind ja keineswegs erst entstanden – wie westliche Politiker und Medien gerne suggerieren – seit Russland mit der völkerrechtswidrigen Annexion der Krim und der hybriden Kriegsführung in der Ostukraine in gravierender Weise gegen grundlegende OSZE-Prinzipien verstoßen hat. Sondern diese Schwächen haben sich seit über 20 Jahren angesammelt und verstärkt.

Charta für ein neues Europa

Nach dem Ende des Kalten Krieges und dem Zerfall des Ostblocks und der Sowjetunion in den Jahren 1989 bis 1991 sah es kurzfristig so aus, als könnte die 1975 gegründete KSZE (1995 in OSZE umbenannt) der starke institutionelle Rahmen werden für das „Gemeinsame Haus Europa“. Das damals der letzte sowjetische Präsident Michail Gorbatschow aus tiefer Überzeugung propagierte.

Auf dem Pariser KSZE-Gipfel 1990 bekannten sich die Staats- und Regierungschefs der Mitgliedstaaten einmütig zu diesem Ziel und verabschiedeten die „Charta für ein neues Europa“ mit den Kernprinzipien Gewaltverzicht, Respektierung der Souveränität und Unverletzlichkeit der Grenzen aller Staaten im KSZE-Gebiet. Vereinbart wurde, alle künftigen Konflikte im Rahmen des kollektiven Sicherheitssystems der KSZE zu lösen und diese Institution politisch und materiell zu stärken. Bundeskanzler Helmut Kohl pries die KSZE in seiner Pariser Gipfelrede als „Herzstück der europäischen Architektur“.

Doch in den nachfolgenden Jahren wurde das „Herzstück“ zunächst von den Nato-Staaten in der K/OSZE beiseitegeschoben und vernachlässigt. Anstatt die Sicherheitsbedürfnisse der Polen und der baltischen Staaten gegenüber Russland durch eine Stärkung des gemeinsamen Sicherheitssystems der K/OSZE zu befriedigen, betrieben die Nato-Staaten die Ostausweitung ihrer Militärallianz.

Sie brachen damit das Versprechen, das US-Außenminister Baker sowie Bundeskanzler Kohl und Außenminister Genscher Gorbatschow im Februar 1990 gegeben hatten für die Zustimmung Moskaus zur Vereinigung von BRD und DDR. Das war der erste große Vertrauensbruch unter den Mitgliedern der K/OSZE. Er wirkt bis heute nach, wie sich im Ukrainekonflikt zeigt.

Dieser Konflikt dürfte auch das Jahr des deutschen OSZE-Vorsitzes ganz wesentlich bestimmen. „Wiederherstellen“ könnte Außenminister Steinmeier das Vertrauen in Moskau zumindest ein Stück weit. Wenn er sich dafür einsetzen würde, dass die Nato-Staaten die bei ihrem Gipfeltreffen 2008 beschlossene Option für eine Aufnahme der Ukraine, Georgiens und Moldawiens wieder zurücknehmen. Ein solcher Schritt könnte es auch Russlands Präsident Wladimir Putin erleichtern, ohne Gesichtsverlust deeskalierende und vertrauensbildende Schritte zu unternehmen.

Erneute Eskalation des Konflikts

Derzeit stehen die Zeichen allerdings eher auf erneute Eskalation des Konflikts. Der Anfang Februar im Abkommen Minsk II vereinbarte Waffenstillstand zwischen den Aufständischen und den ukrainischen Regierungstruppen in den beiden umkämpften Ostprovinzen Donezk und Lugansk ist weiterhin brüchig. Den Rückzug aller schweren Waffen um jeweils 30 Kilometer hinter die Waffenstillstandslinie haben beide Seiten nach Feststellung der OSZE-Beobachtermission immer noch nicht umgesetzt. Über die russisch-ukrainische Grenze kommen weiterhin Waffen, Munition und Militärpersonal in die beiden Ostprovinzen.

Eine erneute militärische Eskalation droht auch wegen der schleppenden Umsetzung der politischen Reformen, die die ukrainische Regierung im Minsker Abkommen verbindlich zugesagt hat. In ungewöhnlich deutlichen Worten kritisierte diese Woche der Direktor der in Warschau ansässigen OSZE-Behörde für demokratische Institutionen und Menschenrechte (ODIHR), Michael Link, die ukrainische Regierung und das Parlament.

Kiew sei nicht nur im Verzug, der Ostukraine mit der dafür erforderlichen Mehrheit im Parlament mehr Autonomie zu verschaffen. Auch in „vielen anderen Bereichen“, etwa bei den Justiz- und Wirtschaftsreformen, sei der Umwälzungsprozess „ins Stocken geraten“, erklärte Link. Ausdrücklich unterstützte er die Empfehlung des Europarats, dass in der Ukraine „die komplette Richterschaft und die Staatsanwaltschaft ausgetauscht werden müssen“.

Das „größte Reformhindernis“ sind nach Einschätzung des ODIHR-Direktors „die Oligarchen und ihre teilweise illegal erworbenen großen Vermögen“. Die Oligarchen verhinderten fairen Wettbewerb und blockierten im Bund mit der nach wie vor „endemischen Korruption“ im Land demokratische Fortschritte. „Wenn es der Ukraine nicht gelingt, sich aus dem Klauengriff dieser Superreichen zu befreien, wird das Land keine Erfolgsstory, sondern ein Land der enttäuschten Hoffnungen“, betonte Link. Die deutlichen Worte des früheren FDP-Bundestagsabgeordneten und Staatsministers im Außenministerium dürften in Kiew auch als indirektes Signal des künftigen OSZE-Vorsitzenden Steinmeier wahrgenommen werden.

Vertrauensbildende Maßnahmen

Sollte es der OSZE unter deutschem Vorsitz gelingen, eine erneute Eskalation des Ukrainekonflikts zu verhindern oder gar konkrete Schritte zu seiner politischen Lösung durchzusetzen, wäre das bereits ein großer Erfolg. Hinsichtlich der von Steinmeier angestrebten „Reduktion militärischer Risiken zwischen den Mitgliedsstaaten“ wäre schon viel gewonnen, wenn sich alle Seiten nicht nur im Ukrainekonflikt, vor allem im Luftraum, wieder an die vertrauensbildenden Maßnahmen halten würden, die die KSZE auf ihrer „Open Skies“-Konferenz 1990 in Ottawa beschlossen hatte, dem letzten Zusammentreffen im Format Nato/Warschauer Pakt.

Die erste Bewährungsprobe für den künftigen OSZE-Vorsitzenden Steinmeier, steht schon ganz bald an. In den nächsten Wochen muss er eineN möglichst prinzipienfesteN und unerschrockenen NachfolgerIn für die derzeitige OSZE-Beauftragte für Medienfreiheit, Dunja Mijatovićfinden und unter den Mitgliedsstaaten durchsetzen. Die sechsjährige Amtszeit der früheren Direktorin der Radio-, Kommunikations- und Aufsichtsbehörde von Bosnien-Herzegowina läuft im März aus.

Mijatović verurteilte sowohl die zunehmenden Repressalien gegen unabhängige Medien und JournalistInnen in Russland als auch das Vorgehen der Regierung in Kiew gegen die russischsprachigen Medien in der Ukraine als Verstoß gegen die Prinzipien der OSZE. Auch gegen die gravierenden Einschränkungen der Pressefreiheit in der Türkei und in Ungarn erhob Mijatovićihre Stimme. Die Zahl der OSZE-Mitgliedsregierungen, die sich auf dem Posten des Beauftragten für Medienfreiheit einen opportunistischen Leisetreter wünschen, ist in den letzten sechs Jahren sicher größer geworden.

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