Die CDU nach 10 Jahren Merkel: Viel Geduld und wenig Fehler

Flügelübergreifend rechnen auch heute noch Parteifreunde Angela Merkel hoch an, wie sie vor zehn Jahren die CDU aus Kohls Spendensumpf befreit hat.

Essen, 10. April 2000: Angela Merkel (Mitte) dankt dem Parteitag, der sie soeben zur Vorsitzenden gewählt hat Bild: dpa

Dunkles Holz, schwere Bierkrüge, deftige Schweinshaxe. Das alles soll irgendwie bodenständig sein, aber es ist hier im Berliner Bierlokal Paulaners im Spreebogen nur Kulisse. Ringsherum sind in den späten Neunzigern Bürotürme emporgewachsen, in einem davon hat sich nach dem Regierungsumzug das Innenministerium eingemietet.

An diesem Ort spielt eine Geschichte, die Angela Merkel seit einigen Jahren gern erzählt. Es war im Frühjahr 2000, Wolfgang Schäuble hatte wegen der Spendenaffäre den CDU-Vorsitz niedergelegt, Merkel tingelte als Generalsekretärin einer kriselnden Oppositionspartei auf Regionalkonferenzen durchs Land, droben im Ministerbüro saß der Sozialdemokrat Otto Schily und durfte kommandieren.

"Schorsch", fragte Merkel, "glaubst du, dass ich für euch im Süden wirklich konservativ genug bin?" Schorsch, das war Georg Brunnhuber, einflussreicher Chef der baden-württembergischen CDU-Bundestagsabgeordneten. "Konservativ sind wir selbst", antwortete er. "Aber wenn du es fertigbringst, dass unsere Töchter CDU wählen, dann hast du mehr erreicht."

Zehn Jahre ist das nun her, am 10. April 2000 wählten die Delegierten des Essener CDU-Parteitags Angela Merkel zu ihrer neuen Vorsitzenden. Die erste Frau in der gut fünfzigjährigen Geschichte der Partei, eine Frau noch dazu, die aus dem Osten kam und erst seit zehn Jahren Politik machte. Die lange als Kohls "Mädchen" galt und kurz vor Weihnachten mit dem Patriarchen gebrochen hatte, in einem Zeitungsbeitrag. Die 2002 dem Bayern Edmund Stoiber die Kanzlerkandidatur antragen musste, zu ihrem Glück, wie man heute weiß. Die ihre halbe Niederlage gegen Gerhard Schröder als Kanzlerin der großen Koalition in einen ganzen Sieg verwandelte.

Jetzt sitzt Georg Brunnhuber in einem Café am Stuttgarter Schlossgarten, es ist der erste wirklich warme Tag des Jahres. "Angela hat die Partei gerettet", sagt er über die Zeit des Spendenskandals. Brunnhuber ist oft in Rom, beim Papst. Er weiß, wie die italienische Christdemokratie nach einem ähnlichen Spendenskandal im Nichts verschwand. Wenn er über sich und Merkel spricht, streut er oft ein "Schorsch" ein oder ein "Angela". Es soll Nähe demonstrieren. Brunnhuber kommt von der Ostalb. Das heißt, er ist sehr katholisch und ziemlich konservativ. Wenn einer wie er nah dran sein will an Merkel, dann zeigt das, wie weit es diese Frau aus Templin gebracht hat in der CDU.

Nadine Müller könnte Brunnhubers Tochter sein. Wenn es nach ihr geht, ist der Plan aus dem Paulaners aufgegangen. Modische Brille, Piercing am Ohr - sie gehört zu den jungen Frauen, denen die CDU jetzt wieder gefällt. Vorigen Herbst ließ sich die 26-Jährige aus dem Saarland in den Bundestag wählen. Ein wenig verspätet kommt sie ins Restaurant auf der Plenarebene, die Sonne verschwindet im Westen schon fast hinter Merkels Kanzleramt.

Als Merkel Parteivorsitzende wurde, war Nadine Müller 16 Jahre alt und seit einem Jahr Mitglied der Jungen Union. Ende 1998 war sie eingetreten, wegen der bevorstehenden Landtagswahl. Oskar Lafontaines SPD empfand sie damals als alt und verstaubt, Peter Müller galt als jung und wild. Dass Helmut Kohl trotz seiner Wahlniederlage noch immer als Patriarch der Bundespartei auftrat, störte sie nicht. "Vielleicht hatte die CDU Glück, dass ich mich damals für Bundespolitik nicht interessiert habe", sagt sie.

Zunächst ging Nadine Müller zum Jurastudium nach Heidelberg, sie wollte Journalistin werden, "das, wovon alle träumen - Zeit, Spiegel, Stern". Die Blätter, von denen Kohl einst als "Hamburger Mafia" sprach. In denen Merkels Minister heute mit kuscheligen Interviews um die politische Mitte werben.

Als Müller an die Uni kam, diskutierte die CDU gerade über Steuern und die Kopfpauschale, es war die Zeit des Leipziger Parteitags. Für die Themen interessierte sich die Studentin nicht besonders. Sie warf sich lieber auf die Anfängervorlesung im Staatsrecht, konzentrierte sich auf ihre Hausarbeiten. Die Noten waren gut, der Professor ließ fragen, ob sie bei ihm Hilfskraft werden wollte. Sein Name war Paul Kirchhof. Müller erledigte für ihren Chef Literaturrecherchen, heftete in seiner "Forschungsstelle Bundessteuergesetzbuch" die Artikel fürs Pressearchiv ab. Sie las, wie sehr ihr Chef bewundert wurde für seine radikalen Vorschläge zur Vereinfachung des Steuerrechts.

Dann kam Kirchhof überraschend in Merkels Kompetenzteam für den Wahlkampf 2005, musste dort den Platz freihalten für den zaudernden Edmund Stoiber. Auf einmal war er der weltfremde Professor aus Heidelberg. "Das tat richtig weh", sagt Müller. "Die Partei hat ihn hängen lassen, sie hätte ihn besser coachen müssen."

Über die Angela Merkel des Leipziger Parteitags und des Kirchhof-Wahlkampfs mag heute keiner mehr gern reden in der CDU. Auch ein Anruf bei Norbert Blüm, den die Chefin in Leipzig gedemütigt zurückließ, bleibt ergebnislos. "Sie können gern kommen, aber ich sage Ihnen gleich: Es hat keinen Zweck."

Auch Brunnhuber tut so, als habe es Leipzig im Grunde nicht gegeben. Er sagt, schon damals habe keiner so recht daran geglaubt. "Auf der Heimfahrt haben die Delegierten schon diskutiert, ob das gut geht. Die meisten haben Leipzig zu Hause im Wahlkreis nie verteidigt." Ein Glück, dass die CDU damals nicht regiert habe, "so wie Schröder wärs uns auch gegangen." Immerhin habe es Merkel mit der Bierdeckelsteuer geschafft, ihren Rivalen Friedrich Merz einzubinden und zu zähmen.

Zweimal geriet Brunnhuber mit Merkel wirklich aneinander, auch wenn er sagt, es habe damals nur so ausgesehen.

Das erste Mal stritten sie über den baden-württembergischen Ministerpräsidenten Günther Oettinger und seine Trauerrede für den Vorgänger Hans Filbinger, in der er den NS-Marinerichter zum Mann des Widerstands erklärte. Drei Jahre ist das her. Am Mittwoch nach Ostern hatte Oettinger gesprochen, langsam erst baute sich die Empörung auf. Brunnhuber war gerade in Rom beim Papst, von dort erklärte er am Freitag: "Wir stehen zu Oettinger, ohne Wenn und Aber." Da hatte Merkel den Trauerredner schon getadelt, am Montag musste sich Oettinger entschuldigen.

"Angela hat uns gerettet", sagt Brunnhuber heute. "Aus Fürsorge."

Beim zweiten Mal war er wieder in Rom, diesmal war der Papst auch der Grund, weshalb er mit der Parteivorsitzenden aneinandergeriet. Merkel hatte das Kirchenoberhaupt kritisiert, wegen seiner Absicht, einen Holocaust-Leugner wieder in die Kirche aufzunehmen. "So kann man mit dem Papst nicht umgehen", sagte Brunnhuber damals. Merkel habe ihn gleich angerufen, sagt Brunnhuber. Sie bat um Rat, wie sie die Katholiken wieder besänftigen könne. Tatsächlich absolvierte sie dann eine Tournee bei den Kirchentreuen.

Hat Merkel denn überhaupt nichts falsch gemacht, aus Sicht des Konservativen Brunnhuber? Wenn sie sogar recht hatte, als er mit ihr stritt?

"In der Opposition kannst du keine Fehler begehen", beginnt er. "Das gilt auch in der großen Koalition." Kurzes Zögern. "Den Koalitionsvertrag mit der FDP, den hat sie vielleicht nicht scharf genug formuliert. Sie wollte schnell regieren. Aber wer hätte gedacht, dass die FDP so unfähig ist zum Kompromiss?"

Vielleicht muss man in die Untiefen dieser Koalition hinabsteigen, um zu sehen, wie sehr Merkel die CDU verändert hat. Wie sehr sie sie entfernt hat vom alten Kohlschen Bündnis mit der FDP. Nadine Müller macht im Bundestag Frauenpolitik, Ende Februar hat sie zum Frauentag einen Antrag zur Gleichstellung ausgehandelt. Falls man es so nennen will, denn viel zu verhandeln gab es nicht. Die FDP-Leute beharrten stur auf ihrer Position: In den Antrag durfte nichts hinein, was die Wirtschaft irgendwie verpflichtet hätte. Zähneknirschend gaben die Unionspolitikerinnen nach, mussten sich dafür öffentlich verspotten lassen.

Kein Applaus

Wenig später ging Müller ins Plenum, zur Debatte über das Gesetz gegen Kinderpornografie im Internet. Es sprach ein FDP-Abgeordneter aus Lübeck. Als er ans Rednerpult trat, klatschten die Unionsabgeordneten noch. "Meine sehr geehrten Damen und Herren", begann er, "ich darf für meine Fraktion sagen, dass wir die Gesetzesinitiativen der Opposition begrüßen." Von CDU und CSU kam kein Applaus mehr, dafür von den vier übrigen Fraktionen. Abgesprochen war das nicht.

Jetzt hat Merkel die alte Kohl-Koalition. Das brauchte sie, um zu beweisen, dass auch sie Kohlsche Mehrheiten erringen kann. Und um zu zeigen, dass ein Rechtsbündnis alten Stils heute nicht mehr funktioniert.

Brunnhuber, der Konservative, kann sich darüber amüsieren. "Jetzt fragen alle: Wann packt die den Westerwelle?", sagt er. "Sie wartet, bis er selbst gegen die Wand läuft." So hat sie es schon mit Merz gemacht. Mit Koch. Mit Stoiber. Die Liste ist mittlerweile ziemlich lang. Vielleicht kommt bald auch der gesponserte Rüttgers dazu.

"Die Kollegen, die Politik noch in Bonn gelernt haben, die verstehen das nicht", sagt Brunnhuber noch. "Da braucht man Nerven. Die hatte Kohl anfangs auch. Später wurde er zu ungeduldig."

Die Frage bleibt, wann es bei Merkel so weit ist.

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