Die Deutschen und das Auto: Die Sehnsucht nach dem Knall

Erst Dieselskandal, jetzt Kartellverdacht: Das deutsche Auto ist unter Beschuss wie nie. Warum kommen wir dennoch nicht los?

Autos im Stau auf einer vierspurigen Autobahn

Alles voll: Wohin mit all den Autos? Foto: dpa

WOLFSBURG/BERLIN/STUTTGART taz | Dass der Diesel verloren hat, wird am Freitag kurz vor elf verkündet. Ab Januar 2018 dürfen in Stuttgart keine Dieselautos mehr fahren, die nicht die strengste Abgasnorm einhalten. Das erste Fahrverbot in Deutschland. Viele der rund 100 Menschen im Sitzungssaal 5 des Verwaltungsgerichts Stuttgart klatschen, als Richter Wolfgang Kern das Urteil verlesen hat. Einige Zuschauer haben Schilder mitgebracht: „Feinstaub 21“, durchgestrichen.

Fahrverbote für Dieselfahrzeuge, die nicht der Euro-Norm 6 entsprechen, so argumentiert der Richter, seien die „derzeit einzige geeignete Maßnahme“, um die Emissionen so schnell wie möglich zu reduzieren. Ein Verbot sei „unter keinem denkbaren Gesichtspunkt“ unverhältnismäßig. Weil die Gesundheit der Bevölkerung höher einzuschätzen sei als die Handlungsfreiheit der Autobesitzer.

Der Sieger trägt einen gut sitzenden dunkelgrauen Anzug, die weißen Haare fallen ihm fransig in die Stirn. Jürgen Resch ist Geschäftsführer der Deutschen Umwelthilfe, die gegen das Land Baden-Württemberg geklagt hatte. Das Urteil – wenn auch noch nicht rechtskräftig – ist mehr als ein weiterer Sieg für Resch in seinem Kampf gegen die Konzerne.

Er ist auch ein Symptom für den Autostaat Deutschland: Selbst eine grün geführte Landesregierung muss erst verklagt werden, um hart gegen Dieselgifte vorzugehen. Was daran liegt, dass Dieselfahrzeuge und ihre Hersteller keine von der Gesellschaft losgelösten Akteure sind. Daimler ist Teil der Identität Baden-Württembergs, zahlt Professuren an Hochschulen, das Fußballstadion heißt Mercedes-Benz-Arena, mit Liedern wie „I fahr Daimler, d’Stroß kehrt mir“ besingt man die Arroganz der Marke. Das Fahrverbot trifft Leute, die nichts können für den Schlamassel – außer in einer Autogesellschaft sozialisiert worden zu sein und Autofahren für ein Menschenrecht zu halten. Das sind die Wählerinnen und Wähler.

Technik, Kosten, Zulieferer

Am Freitag ging es insofern nicht nur um bessere Luft: Seit dem Spiegel die Selbstanzeigen von Daimler und VW im Autokartell durchgestochen wurden, steht die Auto-AG Deutschland, das ganze Wirtschaftsmodell der karossengeilen Bundesrepublik, unter Beschuss.

Beim Autokartell geht es um den Vorwurf, dass sich der VW-Konzern, inklusive Porsche und Audi, sowie Daimler und BMW seit den 90er Jahren intensiv über Technik, Kosten und Zulieferer abgesprochen haben.

Alle Autobauer verwenden die AdBlue-Technik, bei der Harnstoff und Wasser in die Abgase eingelassen werden, um giftige Stickoxide zu binden. Alle gehen damit so sparsam um, dass die Tanks für die Flüssigkeit klein bleiben können. Die Gifte bleiben deswegen größtenteils in den Abgasen. Wird ein Mensch den Schadstoffen über Jahre ausgesetzt, kann es zu Atemwegserkrankungen kommen, er stirbt früher.

Um in Labortest den ständig verbesserten Abgasvorschriften der EU gerecht zu werden, sind die Tests so gestaltet, dass die Fahrzeuge im Labor die Grenzwerte einhalten, auf der Straße nicht. Zumindest VW verwendete eine Software, die die Prüfer täuscht. Der Verdacht liegt auf der Hand, dass sich das Kartell darauf verständigt hat, auf die Abgasgrenzwerte der EU zu pfeifen. Und dass es dabei auch auf die Autokratie Deutschland vertraute. Angela Merkel intervenierte persönlich immer wieder im Interesse deutscher Konzerne in Brüssel. Die Geschichte von Autokartell und Dieselskandal gehören zusammen.

Die Pfadabhängigkeit

Was bedeutet diese Erkenntnis für den Autostaat Deutschland? Katastrophe? Oder letzte Chance?

Man könnte meinen, Stephan Rammler sei nicht Zukunftsforscher, sondern Hellseher. Rammler, 49, ein großer Typ mit Glatze und Neigung zum schwarzen Rollkragen, arbeitet als Mobilitätsforscher und Professor für Transportation Design an der Hochschule für Bildende Künste Braunschweig. Seine Streitschrift „Volk ohne Wagen“ erschien diese Woche.

Der Vorwurf: Seit den 1990er Jahren sollen sich laut Spiegel die deutschen Autohersteller Daimler, BMW, Volkswagen, Porsche und Audi in 60 Arbeitskreisen über Technik, Kosten und Zulieferung verständigt haben. Daimler informierte 2014 EU-Kommission und Bundeskartellamt. VW stellte 2016 Selbstanzeige.

Die Brisanz: Auch Abgastricksereien bei der AdBlue-Technologie wurden offenbar besprochen. Der Zulieferer Bosch soll daran beteiligt gewesen sein.

Die Reaktionen: Die Hersteller sagen, dass sie sich „zu Spekulationen“ nicht äußern. BMW bestreitet sowohl, von einem Ermittlungsverfahren der EU-Kommission zu wissen, als auch eine AdBlue-Manipulation. In den USA und Kanada wurden wegen der Kartellvorwürfe Verbraucherklagen eingereicht.

Es ist der perfekte Zeitpunkt. Verkehrsminister Alexander Dobrindt, CSU, und Umweltministerin Barbara Hendricks, SPD, haben die Autobranche nächste Woche zum „Nationalen Forum Diesel“ geladen, um zu verhandeln, wie die Dreckschleudern nachgerüstet werden. Und in Berlin erinnern Wolkenbrüche und überflutete U-Bahnen daran, dass wegen des Klimawandels mit solchen Extremen künftig immer häufiger zu rechnen ist. Auch Stephan Rammlers Keller ist kürzlich mal vollgelaufen.

„Wir leben in einem sozio-ökonomischen System des Automobilismus“, sagt er. „Wir haben uns alle gemeinsam in diesen goldenen Käfig gesetzt – und jetzt sind wir abhängig.“ Pfadabhängig, wie es im Fachjargon heißt: Über Jahrzehnte wurde Deutschland immer erfolgreicher beim Autobauen. Eingetretene Pfade zu verlassen ist besonders schwer. „Diese Industrie ist so wichtig, die durfte eben auch ein wenig kriminell sein“, sagt Rammler. Aber in die Situation gebracht hätten wir uns alle gemeinsam. Selbst Rammler besitzt ein Auto – wenn auch einen VW E-Up, einen Elektrokleinwagen, der auf Messen in Weiß präsentiert wird, um seine ökologische Reinheit zu betonen.

Rammler glaubt, dass Deutschland gerade einen Kairos-Moment erlebt. Ein Moment also, in dem sich eine Krise extrem zuspitzt: die Kartellvorwürfe, der Dieselskandal, der Vorsprung der Chinesen und Japaner beim Elektroauto, der Attacke des Silicon Valley, das mit seinem selbstfahrenden Mobilen die Branche von außen aufmischt. Dazu kommen die Megatrends unserer Zeit: Urbanisierung in Asien und Afrika, der weltweite Kampf gegen den Klimawandel, die Sharing Economy. Alles verdichtet sich zu der Erkenntnis: Wer das Auto nicht neu erfindet, der verschwindet.

Ein Zukunftspakt

Das ist eine Chance, weil die Krisen auch dem letzten Benzinjunkie vor Augen führen, dass Deutschland seinen Pfad verlassen muss. Kairos ist der griechische Gott des günstigen Zeitpunkts. „Ich habe die Hoffnung, dass wir gerade den Schockmoment erleben, der die Industrie aufrüttelt“, sagt Rammler.

Nutzen lässt sich das nur, wenn Autofahren nicht mehr als isoliertes Ding betrachtet wird. Ein Beispiel: Wer andere Autos will, braucht Siedlungen, die nicht so geplant werden, als führen die Menschen auch noch in 50 Jahren mit einem Privatauto zur Arbeit.

Und die entscheidende Frage: Wie können die deutschen Autobauer in die Zukunft investieren, wenn sie ständig Milliardenstrafen, Klagen und Rückrufe wegen ihrer Fehler in der Vergangenheit fürchten müssen? Rammler arbeitet gerade mit Kollegen der Friedrich-Ebert-Stiftung an der Idee für einen Mobilitätszukunftspakt. Die Grundidee: Die deutschen Autobauer verpflichten sich, bis zu einem Zeitpunkt zwischen 2035 und 2040 aus dem Verbrennungsmotor auszusteigen. Erst in dieser Woche hat Großbritannien ebendies bis 2040 beschlossen. Und China hat eine Quote für Elektroautos eingeführt.

Die Politik verpflichtet sich in Rammlers Vision, mit Milliar­denprogrammen die Auswirkungen auf die Beschäftigten zu kompensieren – und den Zorn der Wählerinnen und Wählern auszuhalten, wenn Parkräume eingeschränkt werden oder Benzin höher besteuert wird. „Wenn wir den Übergang nicht schaffen, erleben wir heute den Anfang einer existenziellen Krise der größten Volkswirtschaft Europas“, warnt er. „Und wenn Deutschland in der EU angeschlagen ist, dann könnte am Ende auch Europa zerfallen.“

Donnerstagmorgen, Gleis 5, Berlin Hauptbahnhof tief. Bundesumweltministerin Barbara Hendricks steigt in den ICE 279, ihr Ziel: Wolfsburg. Sie beginnt ihre Sommerreise, so nennen es Politiker, wenn sie die sitzungsfreie Zeit nutzen, um sich mit Lieblingsthemen zu beschäftigen. In diesem Fall: Artenschutz mit Schwerpunkt Fischotter, dezentrale Energieerzeugung – und die Mobilität der Zukunft. Die Station im Stammwerk von VW ist lange geplant und wird nun unerwartet aktuell.

Der Pranger

Hendricks sitzt im Bordrestaurant, in der Hand hält sie einen Stapel groß beschriebener DIN-A4-Blätter, Vorbereitung für das, was sie später zu dieser Sache sagen wird, die jetzt immer größer wird. Die Kartellvorwürfe. Der Dieselskandal.

Oft hat Hendricks in den vergangenen Monaten und Jahren Autos angeprangert. Sie hat Fahrverbote bei hoher Luftbelastung gefordert und SUVs als Wagen verdammt, die eigentlich nur für Bauern und Jäger erlaubt sein dürften. Sie hat eine Studie veröffentlicht, die zumindest sie so gelesen hat, dass die Deutschen gerne auf ihr Auto verzichten würden. Und seit rauskam, dass ihr eigener Dienstwagen einen so hohen Schadstoffausstoß hatte wie sonst kaum einer, fährt sie eine Hybridlimousine von BMW.

„Jetzt ist ein Wendepunkt erreicht“, sagt sie am ICE-Tisch. „Und das hat auch die Auto­industrie verstanden.“ Die deutschen Hersteller könnten es schaffen, bei der Elektromobilität aufzuholen, „auch wenn sie spät dran sind“. Das Ziel: ein Mobilitätskonzept, in dem das Auto zwar noch eine Rolle spielt, aber längst nicht mehr eine so große wie jetzt.

In der Gegenwart ist es selbst in der Stadt gar nicht so leicht, das Auto auszusperren. Selbst, wenn es den politischen Willen dazu gibt. Selbst, wenn es nur um den Abschnitt einer Straße geht. Das kann man in diesen Tagen zum Beispiel in Berlin-Kreuzberg beobachten.

250 Meter lang ist der Teil der Zossener Straße im Süden der Stadt, aus dem eine Fußgängerzone werden soll. So hat es die Bezirksverordnetenversammlung vor Kurzem auf Antrag der Grünen beschlossen. Wohnhäuser gibt es hier, Cafés, ein paar Läden: Klamotten, Platten, Comics. Die Seitenstreifen sind zugeparkt, in der zweiten Reihe hält ein Lieferwagen, ein Reisebus versucht, vorbeizukommen, dazwischen versuchen Radfahrer sich ohne eigene Spur durchzuschlängeln. Also ist der Plan: die Straße zumachen und nur noch Lieferverkehr und den Linienbus durchlassen.

„Fußgängerzonen sind spießig“

Die Anwohner allerdings sind gar nicht unbedingt dafür, manche sogar strikt dagegen. Der Wunsch nach weniger Lärm und weniger Abgasen ist offenbar kleiner als der, dass alles bleibt, wie es ist.

Einer der am lautesten gegen die geplante Fußgängerzone wettert, ist Lutz Stolze, 65, er führt eine Buchhandlung an der Ecke. „Fußgängerzonen sind wahnsinnig spießig“, sagt er in seinem garagengroßen Laden. „Deshalb bin ich doch aus Oldenburg nach Berlin geflohen.“ Eine Großstadt muss laut sein, so sieht er es, keine Friedhofsruhe, kein Legoland. Er habe immer die Grünen gewählt, jetzt nicht mehr.

Dabei besitzt Stolze selbst gar kein Auto mehr, seit vor fast zwanzig Jahren sein Peugeot-Kombi den Geist aufgab. Stolze fährt Fahrrad. Natürlich findet auch er, dass es zu viele Autos gibt. Aber die Autos einfach in Nebenstraßen abzudrängen sei eben auch keine Lösung. Außerdem sei Deutschland nun mal ein Autoland, verdankt seinen Wohlstand dem Auto. Er schaut durchs Schaufenster auf die Straße. „Also muss man auch mit Autos vor der eigenen Haustür zurechtkommen.“

Das Auto verträgt den Regen nicht

Es scheint: Das Auto, wie wir es kennen, gehört zu Deutschland. Und wer das ändern will, muss mehr transformieren als die Namen von Konzernvorständen und die Anzahl von Abgasnormen.

In Wolfsburg sitzen Ministerin Hendricks und VW-Chef Matthias Müller länger im 5. Stock als geplant. Als sie schließlich herunterkommen, kann man sich ziemlich sicher sein: Es ging mehr um die Vergangenheit und Gegenwart der Mobilität als um deren Zukunft.

„Erdbeerwoche“ oder „Besuch von Tante Rosa“: Menstruation ist noch immer ein Tabu. Warum wir endlich offen über sie reden sollten, erklärt die taz.am wochenende vom 29./30. Juli. Außerdem: Hello darkness, my old friend. Zum 50. Jubiläum erhält Mike Nichols' Filmklassiker „Die Reifeprüfung“ ein neues digitales Gewand. Und: Audi, Daimler und Co. Was hat die Autoindustrie in geheimen Arbeitskreisen besprochen? Eine Reportage aus Wolfsburg und Baden-Württemberg. Am Kiosk, eKiosk oder im praktischen Wochenendabo.

Hendricks arbeitet sich an einer Liste von Negativworten ab. „Enttäuschung“, „Missstände“, „Vertrauensverlust“, „Verbrauchertäuschung“. Sie fordert eine neue Kontrollbehörde, um Abgasbetrug besser bekämpfen zu können. Die Nähe zwischen Politik und Industrie sei in der Vergangenheit zu groß gewesen, sagt sie, weswegen sich die Automobilindustrie „zu sicher gefühlt hat“. Geht es nach ihr, ist der Kuschelkurs nun vorbei.

Das sagt sie in Wolfsburg, wo Autoindustrie und Politik eine so enge Fahrgemeinschaft gebildet haben wie sonst nirgends. Das Land Niedersachsen ist zu 20 Prozent an VW beteiligt. Gerhard Schröder wurde hier groß, der spätere Autokanzler, sein damaliger Vizeregierungssprecher ist heute VW-Cheflobbyist.

VW-Chef Müller steht neben Hendricks und widerspricht nicht. Er äußert sich an diesem Tag zum ersten Mal, seitdem der Kartellvorwurf publik ist. Jedes Wort fein gewählt, den Begriff Kartell nimmt er nicht in den Mund. Bis zu vier Millionen Fahrzeuge werde der VW-Konzern nachrüsten, kündigt er an, anderthalb Millionen mehr. Und betont sicherheitshalber gleich, „dass wir auch in Zukunft saubere und effiziente Verbrennungsmotoren brauchen“. Dennoch stehe die Autoindustrie vor einem großen Wandel – „weg vom Auto hin zur Mobilität“. Dann hat er es eilig, er verschwindet schnell durch die Glastür ins Gebäude.

Der vermeintliche Saubermann

Müller gerät nun selbst in die Bredouille. Später an diesem Donnerstag, wenn Barbara Hendricks schon in der Lüneburger Heide umherstapfen wird, wird Verkehrsminister Alexander Dobrindt ein Fahrverbot für den Porsche Cayenne in der Variante 3 Liter TDI verkünden. Einen Pflichtrückruf also für das Symbol funktionaler Protzigkeit made in Germany. Es geht um 22.000 Fahrzeuge, dazu kommt ein Zulassungsverbot für diese SUVs. Grund ist die Betrugssoftware, die erkennt, ob das Fahrzeug auf einem Abgas-Prüfstand steht.

VW-Chef Müller betrifft das ganz persönlich. Als die Abschalteinrichtung das erste Mal eingebaut wurde, war er noch Chef der VW-Tochter in Stuttgart. Im Herbst 2015 übernahm er die Leitung des Gesamtkonzerns – als vermeintlicher Saubermann.

Nach dem Dieselskandal vertraten viele Politiker die Ansicht, man müsse die Autoindustrie schützen, damit sie nicht den Anschluss verliere. Langsam stellt sich die Frage, ob sie vielleicht den Anschluss verliert, weil sie viel zu lange geschützt wurde. Und sich deswegen kaum etwas Neues überlegen musste.

Als Konzernchef Matthias Müller schon verschwunden ist, steht vor dem VW-Verwaltungshochhaus noch Sedric. Sedric sieht aus wie ein kleiner schwebender U-Bahn-Waggon – nicht wie ein Auto. Lenkrad und Gaspedal fehlen, schließlich fährt der Wagen von selbst. Elektrisch, klar. Allerdings musste Sedric unters Vordach gestellt werden, weil der Prototyp den Regen nicht so gut verträgt. Die Journalisten witzeln, dass sich das Kartell in einer Arbeitsgruppe auf minderwertige Materialien geeinigt habe.

Die Zukunft der Mobilität

Sedrics Tür schwenkt auf, Barbara Hendricks steigt ein. Sie zweifle, sagt sie, dass die Autofahrer sich in absehbarer Zeit in so ein Robotergefährt setzen wollen. „Es sind ja viele nicht einmal bereit, eine Automatikschaltung zu benutzen.“ So ist das mit der Zukunft der Mobilität: Man kann sich vieles ausdenken, aber wollen die Menschen in den Zossener Straßen der Republik es haben? Nach einem Jahr Kaufprämie haben sich gerade mal 23.000 Leute ein Elektroauto angeschafft.

Vor dem Werkstor wartet unterdessen Cem Özdemir auf die Fernsehkameras, der Grünen-Spitzenkandidat. Er will einmal mehr betonen, dass Deutschland dabei sei, die Elektromobilität zu verschlafen. Nicht nur die Grünen sind bei dieser Sache jetzt im Wahlkampfmodus. CSU-Generalsekretär Andreas Scheuer twittert: „Die @Die_Gruenen sind eine Gefahr für den Automobilstandort Deutschland und Hunderttausende von Arbeitsplätzen.“

Inzwischen präsentieren VW-Manager im Konferenzsaal, wie sie sich die Zukunft der Mobilität vorstellen und wie innovativ ihr Konzern sei. Ampeln braucht man nicht mehr, weil alle Fahrzeuge kooperativ funktionieren und smart sowieso. Per Knopfdruck auf einer Fernbedienung, die „One Button“ heißt, kommt jederzeit ein Sedric vorbei.

„Technik allein löst gar nichts“

Worüber sie nicht so gerne sprechen: dass es die Innovationsfreudigkeit nicht gerade gefördert hat, dass die Autobauer mit Verbrennungsmotoren lange viel Geld verdient haben und immer noch verdienen. Und dass es nicht reichen wird, einfach nur den Antrieb der Autos auszutauschen, Elektro statt Sprit. Denn die ökologischen Probleme würden allein dadurch nicht gelöst, sagt Stephan Rammler, der Mobilitätsforscher aus Berlin.

Das Problem: Autos karren einen automatisch überall hin, auch wenn man besoffen oder müde ist. Dann auch noch mit einem gutem Gewissen, weil keine Abgase. Voraussichtlich auch sehr billig, weil E-Autos viel günstiger als Benziner sein werden, wenn die Batterien billig sind – und deren Preise purzeln seit Jahren. Die Folge könnte sein, dass noch mehr Menschen noch einsamer vor sich hin gurken. „Technik allein löst gar nichts. Wir müssen sie intelligenter nutzen und eine neue Nutzungskultur entwickeln“, sagt Rammler.

Die Autokratie Deutschland steckt in einem kollektivem Widerspruch zwischen Wissen und Tun. Alle wissen, dass sich etwas ändern muss. Aber etwas tun müssen immer die anderen. Die Industrie muss. Die Politik muss. Der Verbraucher muss. Nur wer soll sich zuerst bewegen? Muss der Verbraucher der Industrie durch sein Kaufverhalten zeigen, dass es einen Bedarf für eine neue Mobilität gibt? Muss die Politik die Industrie zwingen, dem Verbraucher gute Angebote zu machen und so seine Routinen zu ändern?

Vielleicht fehlt am Ende vor allem eines: das Wollen. „Wir sind alle Teil des Problems“, sagt Stephan Rammler. Aber, schiebt er hinterher: auch Teil der Lösung.

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