Die Exterroristin in Frankreich: Jenseits aller Stammheimerei

Seit 25 Jahren bietet "Debüt im Dritten" Nachwuchsfilmern einen Sendeplatz. Der starke aktuelle Jahrgang startet mit dem schonungslosen "Es kommt der Tag" (23 Uhr, SWR).

Trotzige Tochter: Katharina Schüttler als Alice. Bild: patrick tauss / swr

Gibt es eigentlich Franzosen, die Filterkaffee trinken? Es gibt sie, sie wohnen im Elsass und machen - Wein, natürlich. Doch die Idylle des Familienunternehmens Muller & Fils ist getrübt, was weniger daran liegt, dass das Weingut finanzielle Probleme hat. Dafür gibt es schließlich den solventen Opa, der ein bisschen wie Wolfram Siebeck aussieht.

Das Problem seiner eingeheirateten Schwiegertochter Judith (Iris Berben) ist dagegen schon schwerer zu lösen. Sie heißt nämlich gar nicht Judith, wurde in Deutschland als Terroristin gesucht, ging in den Untergrund und baute sich schließlich in Frankreich eine neue Existenz auf, Gatte und zwei Kinder inbegriffen. Und dann ist da auch noch Alice, die Judith als Kleinkind zurückließ, als sie für den Kampf gegen das System abtauchte. Alice hat ihre Mutter erkannt, in einem Zeitungsbericht über genfreie Äcker - Judith engagiert sich jetzt, ganz bürgerlich, in einer Bürgerinitiative.

Also macht sich Alice auf, sich ihr Glück zu holen, das ihr als Kind versagt blieb - und sieht sich bald vor die Situation gestellt, dass es mit dem eigenen Glück immer so eine Sache ist und es viel schneller geht, das Glück anderer nachhaltig zu zerstören. Katharina Schüttler spielt diese Alice mit so klarem Trotz, dass man sofort bei ihr ist: Sie hat recht, Judith müsste sich eigentlich stellen, zumindest ihrer (neuen) Familie eröffnen, was da alles mal war. Doch auch Judith zieht einen sofort in den Bann: Kann man einem Menschen, der längst alles anders sieht und macht und dabei weiter tief drinnen ständig für die Vergangenheit büßt, das neue, gute Leben so einfach wegnehmen?

Was ein dickes Brett für jede RegisseurIn wäre, haut einen bereits deswegen um, weil "Es kommt der Tag" ein Debütfilm ist - Susanne Schneider hat zwar schon als Autorin für "Tatort" & Co. Beachtliches geleistet, doch beweist sie sich mit ihrem zweiten Langfilm auch als Regisseurin ersten Ranges, und das mit einem Sujet, das leicht in bleischwere Stammheimerei ausufern könnte, aber teilweise ganz leicht und komödienhaft daherkommt und doch immer schonungslos bei der Sache bleibt. Fast wie im Shakespeare'schen Drama sind da die putzigen französischen Großeltern und die Sorge um Mittagessen und Crémant das Gegengewicht zum richtig-falschen Leben.

Mit "Es kommt der Tag" startet die Jubiläumsstaffel des "Debüt im Dritten" beim Südwestrundfunk (bis zum 1. 12. immer mittwochs, 23 Uhr), selten gab es einen stärkeren Jahrgang - der preisgekrönte Film "Parkour" (Regie: Marc Rensing) läuft in einer Woche, zusätzlich schenkt sich der SWR sogar eine richtige Debütserie. "Alpha 0.7 - der Feind in dir", ein vernetztes Projekt für TV, Radio und Internet läuft ab dem Wochenende (die taz wird gesondert berichten).

Und während die Nachwuchsförderung längst nicht mehr bei allen Sendern Selbstverständlichkeit ist, hat das "Debüt im Dritten" einen Status erreicht, der es trotz empfindlicher Sparzwänge ungeschoren lässt. "Der SWR steht hinter uns, die Zeichen im Haus stehen nicht auf Kürzung", sagt die zuständige Redakteurin Stefanie Groß. (Was vielleicht auch damit zu tun hat, dass Debütfilme dann ja auch nicht ganz so teuer kommen wie Serien von Dominik Graf …).

Dazu kann sie auf höchst gelungene "Überführungen" ihrer DebütantInnen in die große ARD-Primetime verweisen. Mit der kleinen, feinen "Realitätsanpassung", wie Groß das nennt, weil im Ersten auch am Mittwochabend die "Gesetze für das gestresste Massenpublikum" zu beachten sind - "aber vom Ergebnis ist das doch nicht schlecht". Nein, ist es nicht. Und deshalb halten wir es wie die französische Omi in "Es kommt der Tag", heben unser Glas und sagen "Au Crémant!" - aufs Debüt im Dritten.

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