Die Frage nach der Pflicht: Die Koalition ringt um den neuen Wehrdienst
Bevor das Gesetz in den Bundestag kommt, wollen Union und SPD strittige Punkte ausräumen. Doch die Sozialdemokraten stehen mit dem Rücken zur Wand.
Bis Donnerstag wollen Unterhändler aus Union und SPD eine Lösung für diese Frage finden – dann soll der Entwurf für den neuen Wehrdienst nämlich in den Bundestag eingebracht werden. Dafür sollten am Montagabend das Verhandlungsteam um die Vize-Fraktionschefs Norbert Röttgen (CDU) und Siemtje Möller (SPD) sowie die verteidigungspolitischen Sprecher Thomas Erndl (CSU) und Falko Droßmann (SPD) zusammentreffen. Aus dem Umfeld heißt es, dass die Gespräche bislang konstruktiv verliefen und eine Einigung erreicht werden könne.
Dabei haben Union und die Sozialdemokraten sehr unterschiedliche Vorstellungen darüber, wie die Pflicht-Elemente im neuen Gesetz tatsächlich aussehen sollen. Und auch in der SPD selbst gibt es dazu verschiedene Auffassungen.
Nur mit größter Mühe hatte ein SPD-Parteitag Ende Juni eine Einigung zum neuen Wehrdienst ausgearbeitet. Dabei waren es vor allem die Jusos, die den von Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) vorgegebenen Marschweg durchkreuzten, indem sie einen Antrag gegen die Einführung eines „Zwangsdiensts“ einbrachten. Die innerparteiliche Auseinandersetzung wurde mit einem Kompromiss befriedet, der sich nun auch in dem Gesetzentwurf widerspiegelt: Die SPD möchte keine aktivierbare gesetzliche Möglichkeit zur Heranziehung Wehrpflichtiger einführen, „bevor nicht alle Maßnahmen zur freiwilligen Steigerung ausgeschöpft sind“.
Wann das der Fall sein soll? Diese Frage hat die SPD in ihrem Parteitagsbeschluss bewusst ausgeklammert – und auch im Gesetzentwurf bleibt es schwammig. Unter anderem aus diesem Grund sorgte der Entwurf unlängst für verfassungsrechtliche Bedenken.
Linke kritisiert das Vorhaben grundsätzlich
Für die Union geht der Entwurf dagegen längst nicht weit genug. Vergangene Woche meldeten sich gleich mehrere Politiker zu Wort, darunter selbst Bundeskanzler Friedrich Merz, die den eigenen Gesetzentwurf öffentlich hinterfragten und für die schnellstmögliche Einführung eines Pflichtmodells warben.
Jetzt deutet sich zumindest ein kleiner Kompromiss an. Es sei aus seiner Sicht richtig, dass „Zieldaten“ bei der Zahl der nötigen Freiwilligen genannt würden, sagte SPD-Fraktionschef Matthias Miersch am Montag den Sendern RTL und ntv. „Aber es gibt nicht den Tag XY, wo man dann den Hebel umschaltet und einen Automatismus einsetzt.“
Auf der anderen Seite scheint die Union ihre Forderungen zu einer automatischen Wiedereinführung der Wehrpflicht für junge Männer heruntergedimmt zu haben. „Wir wollen eine Messbarkeit im Gesetz haben und wir wollen Instrumente haben, wenn die Anzahl der Freiwilligen nicht erreicht wird“, sagte CSU-Unterhändler Thomas Erndl dem Portal Table Briefings.
Ein Bericht des Redaktionsnetzwerks Deutschland, wonach sich Union und SPD auf ein Losverfahren zur Musterung inklusive einer darauf aufbauenden Pflicht geeinigt hätten, wurde am Montag zunächst nicht bestätigt. Ein solches Vorgehen wäre auch nicht im Sinne der von der Koalition angestrebten breiteren Wehrerfassung.
Die Linke übt grundsätzliche Kritik an den Plänen. „Ich bin völlig gegen jede Art von Wehrpflicht, egal ob gelost oder nicht gelost“, sagte der Parteivorsitzende Jan van Aken am Montag. „Das darf nicht kommen.“ Zudem habe ihm noch niemand in der Bundesregierung sagen können, warum überhaupt künftig 260.000 Menschen in Deutschland Dienst an der Waffe machen sollen.
Der Gesetzentwurf der Regierung sieht bislang vor, dass die Bundeswehr auf 260.000 aktive Soldat:innen anwachsen soll. Dafür sollen ab dem 1. Januar alle Frauen und Männer ab dem Jahrgang 2008 mit Erreichen der Volljährigkeit einen digitalen Fragebogen erhalten, mit dem ihr Interesse an einem Dienst abgefragt wird. Frauen können, Männer müssen antworten. Geeignete Kandidat:innen sollen dann zur Musterung geladen werden. Hinzu kommt: Laut den Plänen soll ab Juli 2027 für alle 18-jährigen Männer die Musterung verpflichtend werden – auch wenn sie kein Interesse an der Bundeswehr bekundet haben.
Dass die Pflicht aktuell jeweils nur für Männer gelten soll, hat damit zu tun, dass für eine Ausweitung auf andere Geschlechter das Grundgesetz geändert werden müsste und die dafür notwendige Zweidrittelmehrheit im Bundestag derzeit als nicht erreichbar gilt.
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