Die Geschichte des Helikopters: Hilft nur noch Hubschraubereinsatz

Die Geschichte des Helikopters beginnt mit einem Ahornsamen. Das Blog „Helikopter Hysterie ZWO“ widmet sich dem Fluggerät.

Das Foto zeigt in weiter Ferne einen Helikopter am Himmel.

Der Beginn der „erratischen Hubschrauberfotografie“. Das Bild entstand 1987 in San Diego Foto: Heinrich Dubel

Fangen wir an mit dem letzten Satz aus Heinrich Dubels Buch „Helikopter Hysterie“. 1997 erschienen im Verlag von Erich Maas in Berlin, ist es Keimzelle fürs spätere Blog: „Autorotation – die Helikopter Hysterie nimmt die Form eines endlosen Gedichtes an, das sich unablässig selbst fortzuschreiben scheint, und dessen Verse aus Bildern bestehen, aus Bildern von Hubschraubern.“

Das Blog „Helikopter Hysterie ZWO“ existiert seit dem 28. Dezember 2011 und weist stattliche 17.359 Einträge in 59 Kategorien auf (Stand 21. Juni 2020). Sie reichen von „Propellermütze“, „Crashes“, „Patches“, „Helicopter nudity“ zu „Rüttelmaschinen“ und „Karussells“ oder „The female of the species“. Auf diese Fotos, Videoclips, Grafiken, Kunstwerke, Abstürze, Kuriosa, Sichtungen, Filmstills und Texteinträge, die allesamt Drehflügler im Einsatz zeigen, gibt es pro Tag durchschnittlich tausend Zugriffe.

Das Blog versteht sich als Verlautbarungsorgan einer un­abhängigen Körperschaft in­nerhalb des Erratik Instituts Berlin, des kulturwissenschaftlichen Langzeitforschungsprojekts von Heinrich Dubel, und besitzt eine Redaktion von vier Personen, wobei derzeit etwa achtzig weltweit aktiv an der Content-Gewinnung arbeiten – Männer in leichter Überzahl. Auch drei Kinder sind mit an Bord, die regelmäßig Zeichnungen, Basteleien, Kekse in Hubschrauberform oder Fotografien beisteuern. Im März wurde dem Blog der „Goldene Blogger“ Deutschlands in der Kategorie Wissenschaft Technik Forschung (WTF) verliehen.

Unerreichbares, gleichwohl gesetztes Ziel ist die totale, jedoch offene und unabschließbare Kulturgeschichtsschreibung des Hubschraubers als internationales Kompendium. Eine derartige Maßnahme bewegt sich zwar hart an der Grenze dessen, was die Rede vom Archiv überhaupt noch zulässt, dies jedoch konsequent und nachdrücklich.

Helikopter für Lachse

Teppiche aus Afghanistan mit eingewebten Helikoptern, Angela Merkel vor dem Eurocopter AS532 Cougar, Kaffeetassen, Helikopter in Entenhausen, Elvis als Hubschrauberpilot in „Südsee-Paradies“ (1966), Zeitungsberichte zum Helikoptershuttle für Lachse in British Columbia, die von ihren Laichgründen abgeschnitten wurden, Kampf- und Zivilpilotinnen aus aller Welt mit ihren Maschinen, internationale Modelle und deren technische Dokumentation, paranormale Hubschraubererfahrungen, verblüffende Gegenüberstellungen etwa des buddhistischen Dharmachakras mit dem ummantelten Heckrotor des neuesten Airbus-Helikopters, Helipads vom Dubai-Tower bis zur Friedrichshainer Notaufnahme – und wer sich fragt, was denn nun das bekannteste deutsche Hubschrauberlied sei („Hubschraubereinsatz“ der Avantgarde-Pop-Band Foyer des Arts aus dem Jahr 1982), bekommt ein selbst gemachtes Musikvideo präsentiert, weil die Band ein solches damals nicht veröffentlichte.

Das Blog sammelt demnach Assoziationen des Disparaten, denen es weniger um Bedeutungen als um Ähnlichkeiten geht. Die Ambivalenz zwischen Methode und Manie wird auf diesem Blog nie in Eindeutigkeit überführt. Alle Bereiche von Kunst, Kultur, Pop und sozialem Leben sollen auf ihre Hubschraubergehalte hin geprüft und abgebildet werden, allerdings im Gegenzug auch alle Bereiche der Hubschraubertechnologie und deren Anwendungen auf ihre künstlerisch-kulturellen Sedimente hin ausgelotet.

Womit wir beim zentralen Bauteil des Helikopters angelangt wären, seinem Rotor. Dieses Palindrom liefert den entscheidenden Hinweis auf die Narrationstechnik des Blogs, die dem Lauf der Rotorblätter gleicht und auf diese Weise mit seinen inhärenten Verweisen und Textschleifen eine Spiralform generiert, die nicht allein beim Hubschrauber für Vor- und Auftrieb sorgt.

Doch wo hat es nun wirklich angefangen mit dem Helikopter? Sieht man ab von Mythologie, ekstatischen Visionen von Aufstieg und Fall sowie dem sehr alten chinesischen Kinderspielzeug, dann lautete die Antwort: Im späten 15. Jahrhundert, als Leonardo da Vinci einen herabschwebenden Ahornsamen bemerkt und dessen Rotationsbewegung mit der Archimedischen Schraube zur Wasserhebung bei seiner Konstruktionszeichnung einer Wendelschraube zusammendenkt.

„Der Vogelflug als Grundlage der Fliegekunst“

Bis zum tatsächlichen Abhub dauerte es allerdings noch ein Weilchen, wobei wir ja gerne außer Acht lassen, dass es mit der menschlichen Flugbefähigung nicht allzu lange her ist.

Otto Lilienthal veröffentlicht im Jahr 1889 „Der Vogelflug als Grundlage der Fliegekunst“, worin er den Störchen ganz besondere Aufmerksamkeit widmet. Sein Freund Ludwig Boltzmann – der erkannte, dass Entropie nichts anderes sei als die Anzahl mikroskopischer Zustände, die unsere unscharfe Sicht von Welt nicht auseinanderhalten kann – propagiert hingegen beim 66. Jahrestreffen der Gesellschaft Deutscher Naturforscher und Ärzte im Jahr 1894 in Wien nicht den Flügelschlag, sondern den motorbetriebenen Propeller. Von diesem erwartet er die Ermöglichung, Mensch und Flugobjekt gemeinsam in ungeahnte Höhen zu heben und eine neue Verkehrsform zu schaffen.

Deshalb lässt Boltzmann flugs einen Prototyp eines derartigen Fluggeräts, das von Wilhelm Kress, Klavierbauer und -stimmer, schon seit 1877 entwickelt worden war, durch den Hörsaal fliegen, wo dieses schließlich unter Applaus und heller Freude in den Armen einer Dame landet.

Kress ist von der Aeronautik fasziniert und baut, unterstützt von einem durch Boltz­mann angeregten Finanzierungsfonds, die Kaptivschraube, ein dreibeiniges Gestell mit Fahnenpropeller, an dem ein Motor angebracht ist. Bahnbrechend jedoch war seine Idee, dass man zusätzlich einen einzigen Hebel konstruieren müsse, der die Flugmaschine sicher in alle Richtungen dirigieren könne. Boltzmann war der Ansicht, man müsse, um das Problem der Manövrierfähigkeit eines Luftschiffs zu lösen, nicht bloß ein Genie sein, sondern zugleich ein Held, um ein solches hernach auch zu fliegen. Kress’ eigene Versuche in dieser Sache scheitern allesamt, doch er bleibt bis zu seinem Tod vom propellergetriebenen Luftautomobil überzeugt, das für ihn das Vehikel der Zukunft darstellt.

Boltzmann begeht 1906 in Duino, wo später Rilke über die „Ordnung der Engel“ dichten wird, Suizid. Im selben Jahr schreibt sich Ludwig Wittgenstein, der bei Boltzmann studieren wollte, an der Technischen Hochschule Charlottenburg ein. Seine als Ingenieurwissenschaftler eingereichten „Verbesserungsvorschläge für Flugzeugpropeller“ werden 1911 in Manchester patentiert.

Helikopter hat Verkehr revolutioniert

Aber erst am 11. November 1922 hebt dann der stabilisierte, manntragende und senkrecht startende Quadropter von Étienne Œhmichen ab und realisiert das Bild, das Leonardo mehr als vierhundert Jahre zuvor skizziert hat. 19 Jahre nachdem das erste propellergetriebene, horizontal startende Flugzeug der Brüder Wright die Startbahn verließ.

Verkehr bedeutet auch, dass etwas am verkehrten Ort sich befindet und an den richtigen gelangen soll. Was aber, wenn man gar nicht weiß, wo der richtige oder verkehrte Ort ist, beinah jeder Ort ein optionaler Lande- oder Startplatz? Der Helikopter hat den Verkehr revolutioniert, weil er senkrecht abzuheben und aufzusetzen, potenziell alle Objekte in jedes beliebige Gelände zu transportieren und von dort aufzunehmen vermag, in der Luft „stehen“ kann (wozu im Tierreich allenfalls Libellen und Kolibris in der Lage sind) und eine erstaunliche Wendigkeit besitzt. Weshalb auch die Bilder seines Verkehrsverhaltens auf bemerkenswerte Weise in unsere Kulturen eingeflogen sind.

Um dies zu veranschaulichen, setzt das Blog „Helikopter Hysterie ZWO“ seit geraumer Zeit verstärkt auf die Präsentation von Ergebnissen der erratischen Helikopterfotografie (EHF). Sie entfaltet eine halluzinatorische Psychotopologie unbekannten Ausmaßes, wobei die Betrachter*innen häufig vom Sog dieses Loops erfasst werden. Denn im Grunde geht es ja gar nicht um Objekte und die Bilder, die wir uns von ihnen machen, sondern um Elementarereignisse, deren jeweilige flüchtige Verschränkungen verzeichnet werden. Es erstaunt also nicht, dass die Leser*innen des Blogs häufig selbst damit beginnen, Helikopter zu fotografieren oder anfangen, beständig über diese im Alltag stolpern.

Ursprünglich beschreibt die eingangs bereits erwähnte Autorotation eine Technik, mit der ein*e geschickte*r Hub­schrau­berp­­ilot*in auch nach Ausfall des Motors landen kann – indem zum Sturzflug angesetzt wird, der den Rotor durch die anströmende Luft sich weiter drehen lässt. Auch außerhalb des luftfahrttechnischen Zusammenhangs ist ein derartiges self-propelling ein faszinierendes Manöver, von dem die Hobbyhelikopterdrohnen-pilot*in – mit beiden Füßen fest auf dem Boden – bloß zu träumen wagt. „Helikopter Hysterie ZWO“ ist Poesie und Atlas eines solchen Manövers.

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ist Philosoph, Psychohistoriker, Übersetzer und Mitherausgeber der „Schriften zur Verkehrswissenschaft“. Dem Erratik Institut Heinrich Dubels ist er als Supervisor für Psychohistorische und Hermetische Forschung verbunden. Anlass seiner Überlegungen zur Geschichte des Hubschraubers und seiner revolutionären Rolle für den Verkehr ist die Verleihung des Preises „Der Goldene Blogger“ 2019 in der Kategorie „Wissenschaft, Technik, Forschung (WTF)“ an das Blog „Helikopter Hysterie ZWO“. Zusammen mit Paul Paulun hat Hofbauer für den aus persönlichen Gründen verhinderten Dubel den Preis entgegengenommen.

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