Die Goldenen Zitronen auf Englisch: Dem toten Frosch den Arsch retten

Die Goldenen Zitronen haben für „Flogging a Dead Frog“ Songs ihrer letzten Alben neu eingespielt und auf Englisch gesungen. Nicht die beste Idee.

Die Mitglieder der Goldenen Zitronen auf einer Wiese

Gehen ihren Weg gar nicht so konsequent, wie es hier aussieht: Die Goldenen Zitronen. Foto: promo/Frank Egel

Seit Langem schon ist Englisch nicht mehr die Lingua franca der Popmusik. Da ist die Frage angemessen, warum die Hamburger Band Die Goldenen Zitronen das vierte Jahrzehnt ihres Bestehens ausgerechnet mit einem Album einläutet, das englische Versionen von Songs und Instrumentals ihrer letzten drei Veröffentlichungen enthält.

Auch wenn der Albumtitel eine Anspielung auf „Flogging A Dead Horse“ von den Sex Pistols ist – eine Singles-Compilation, die nach Auflösung der Londoner Band herauskam und aus dem langsam verblassenden kontroversen Image noch ein wenig Kapital schlagen sollte: Ihre lange Karriere in der Subkultur macht Die Goldenen Zitronen erst mal unverdächtig. Sie stehen nicht im Verdacht, ihre Fans zynisch zu schröpfen, indem sie ihnen den selben Scheiß zweimal unterjubeln. Und das auch noch unter einem Titel, der ihnen unter die Nase reibt, dass sie jetzt übers Ohr gehauen werden!

Was also ist nun das Neue von „Flogging a Dead Frog“? Keines der Remakes weicht stark von seiner jeweiligen Originalfassung ab. Der einzige wirkliche Unterschied ist, dass die Songs auf Englisch gesungen sind. Eigentlich müsste die Geschichte der Popmusik die Zitronen doch gelehrt haben, dass beinahe alle derartigen Versuche, den angloamerikanischen Markt zu erobern, kläglich gescheitert sind. Ausnahme der Regel ist Kraftwerk, deren nichtssagenden Schulfibeltexte sich leicht in alle möglichen Sprachen übersetzen ließen.

Sicher, deutsche One-Hit-Wunder wie Trio und Nena landeten Smashhits mit englischen Versionen ihrer Songs. Erstere sangen in einem sonderbar idiotischen Deutsch-Englisch-Wirrwarr, und die linkisch und ungelenk rübergebrachte „Wir lieben uns alle“-Message von Nena traf einen Nerv in dem Teil der Welt, in dem die Leute durch den Kalten Krieg rührselig geworden waren.

Mitzünder des deutschen Punk

Aber die Goldenen Zitronen, gegründet 1984, wurden zu der Zeit erwachsen, als deutschsprachiger Rock gerade zu vollem Leben erwacht war. Sie haben als Punkband angefangen und den deutschen Punk mitgezündet. Vorher sangen so gut wie alle deutschen Bands selbstverständlich auf Englisch. Teilweise, weil sie dachten, Songs auf Deutsch seien per definitionem nicht authentisch und würden deshalb automatisch ausgeschlossen werden aus dem Kreis derer, die sich mit authentischen Ausdrucksweisen stolz von den niederen kommerziellen Werten der Popmusik abgrenzen wollten.

Die Goldenen Zitronen: „Flogging A Dead Frog“ (Altin Village & Mine/Indigo)

Ungeachtet der Tatsache, dass selbst die besten unter ihnen, wie Can, Neu!, ihre englischen Texte fast immer unbeholfen vortrugen, entstand im Westdeutschland der Siebziger Jahre eine verwegene abenteuerliche Version von Rock, die ein kleines, aber lebendiges Erbe hinterließ. Dennoch erreichten jene Songs zum Zeitpunkt ihres Entstehens kein größeres Publikum am Entstehungsort, was auch daran gelegen haben mag, dass die meisten von ihnen nicht auf Deutsch gesungen wurden.

Bevor die Schockwellen des Punk durch westdeutsche Städte wie Düsseldorf, Hamburg, Westberlin rollten, sangen nur politisch motivierte Barrikaden-Rocker wie Ton Steine Scherben in ihrer Muttersprache und einige „Liedermacher“. Aber nach 1978 bestärkte der Do-it-yourself-Grundsatz von Punk eine neue Generation, auf Deutsch zu singen. Westdeutsche Majorlabels hätten diesen Prozess beinahe zum Stillstand gebracht, indem sie wahllos irgendwelche Pseudo-Punk- oder Neue-Deutsche-Welle-Bands unter Vertrag nahmen, was zur Folge hatte, dass Popfans deutschsprachiger Lieder fast überdrüssig wurden. Irgendwie aber überlebte die Sprache in den alternativen Musikszenen Westdeutschlands.

Verachtung für den Mainstream

Seit ihren Anfängen im Funpunk haben die Goldenen Zitronen sich eine große Fangemeinde aufgebaut, die ihre Verachtung für den Mainstream teilt. Doch über die Jahre mag sich bei ihnen und anderen das Gefühl eingestellt haben, die deutsche Sprache ausgereizt zu haben. Auf Englisch zu singen erscheint da naheliegend, gäbe es nicht die vielen Kollegen, die dabei vor ihnen kläglich gescheitert sind.

Ihre Hamburger Punkvorfahren Abwärts hatten es in den frühen Achtzigern einmal mit der im Selbstverlag veröffentlichten, englisch betitelten Maxisingle „Beirut Holiday In"/„Olympia“ versucht. Das mangelhafte Resultat hätte sowohl ihren Zeitgenossen also auch den Goldenen Zitronen die Gefahren eines Sprachwechsels auf halbem Weg aufzeigen müssen. Auf dieser Maxi mussten Abwärts die Rasiermesserschärfe ihrer Musik abstumpfen, Ton und Tempo Frank Zs eher vorsichtig vorgetragenen englischem Text anpassen.

Etwas sehr Ähnliches scheint passiert zu sein, als die Goldenen Zitronen „Dead Frog“ aufgenommen haben, denn die Originalversionen, die auf „Lenin“ (2006), „Entstehung der Nacht“ (2009) und „Who’s Bad“ erschienen sind, sind um einiges scharfkantiger. Die Zeilen fügen sich nicht so ineinander und reflektieren sich gegenseitig, wie sie es im deutschen Original tun.

Aufgrund seiner Theatererfahrung generiert Sänger und Gründungsmitglied Schorsch Kamerun vielschichtige Bedeutungsebenen und Emotionen. Er bündelt Worte, phrasiert sie, lässt sie geschmeidig laufen oder setzt sie unvorhergesehen gegeneinander und lässt dadurch unterhaltsame und fesselnde Erzählungen entstehen – im deutschen Original. Kamerun kann ein fantastischer Sänger sein, besonders wenn er höchst theatralisch die Worte aus seinem Inneren herausholt und sich in den schlangenzüngigen Betrüger verwandelt, der beide Sprachversionen von „The Investor“ (das Original erschien 2013 auf „Who’s Bad“) und die deutsche Version von „Börsen crashen“ (erschienen 2009 auf „Die Entstehung der Nacht“) antreibt.

Mehr Artikulation als Zwischentöne

Auf dem neuen Album singt er den englischen Text von „The Investor“ eigenartig gefühllos – ohne die kleinen Modulationen, die die deutsche Version so einzigartig machen. In seiner Muttersprache nuanciert er Worte fast unmerklich und betont dadurch subtil die Art, wie sie sich in den Post-Punk-Techno-Rhythmus-Bässen verteilen, die seit Mitte der Neunziger Bestandteil der Musik der Goldenen Zitronen sind.

Auf „Dead Frog“ ist Kamerun viel zu beschäftigt damit, die englischen Texte richtig zu artikulieren. Deshalb kann er nicht vollständig in sie eintauchen

Auf „Dead Frog“ aber ist Kamerun viel zu beschäftigt damit, die englischen Texte richtig zu artikulieren. Deshalb kann er nicht vollständig in sie eintauchen, was aber nötig ist, um den kleinen, aber wichtigen Unterschied irgendwo ganz tief drinnen im Song herauszustellen. Im Englischen wirkt sein hochgepitchter Gesang ein wenig ermüdend. Beim Vergleich der beiden Versionen von „If I Were a Sneaker“/ „Wenn ich ein Turnschuh wär“ macht die allzu theatralische englische Version deutlich, dass Kamerun im Englischen nicht derart Zwischentöne mitschwingen lassen kann, wie er es im Deutschen vermag.

Dreckig wie immer

Er klingt sogar eher albern, wenn er ausschert und schrill die Worte „shitty sea“ deliriert. Abgesehen von diesen Bedenken spricht Kameruns englische Version klar Probleme an, die seit der Veröffentlichung des deutschen Originals 2006 sehr viel schlimmer geworden sind: die stetig steigende Zahl verzweifelter Flüchtlinge und Wirtschaftsmigranten, die auf der Suche nach einem besseren Leben versuchen, nach Großbritannien zu gelangen. Und wie die konservative britische Regierung das verhindert. Kamerun ist viel zu differenziert, um fromme „J’accuse“-Rufe in Richtung westlicher Regierungen zu jammern. Stattdessen halluziniert er die Wehklagen eines seekranken blinden Passagiers, der auf seinem Weg von Neapel zum Bosporus zu einem Leben im Fegefeuer verdammt ist.

Ganz ähnlich: Neues Geld ist so dreckig, wie es schon immer war, insbesondere wenn es zuerst Bohemiens einspannt, heruntergekommene Stadtbezirke zu summenden Mikrokosmen werden zu lassen, nur um sie dann Stück für Stück an die meistbietenden Kunden zu verkaufen. Das Thema eignet sich perfekt für Satire, aber Kameruns englische Version von „Investor“ ist zu glatt, um Neureiche in Bausch und Bogen zu verdammen, die eingebildeten Bohemiens inbegriffen.

Ungerade Gangart

Die Instrumentals am Ende des ohnehin etwas kurzen Albums werfen die Frage auf, ob den Goldenen Zitronen in letzter Minute doch Zweifel gekommen sind und sie deshalb die englischen Texte lieber ganz weggelassen haben. Aber genau diese Tracks haben mich zu den Originalversionen zurückgebracht – und darüber bin ich froh.

Musikalisch gesehen sind Die Goldenen Zitronen nicht die einzige Band mit Wurzeln im Punk, die sich regelmäßig die Batterien bei elektronischer Musik neu auflädt. Mit der Zeit sind sie darin sogar ziemlich versiert, vielleicht auf Kosten ihrer mitreißenden Dampfkesselpunk-Schäbigkeit, machen aber immer noch eher tribalistischen Elektro als Betonbunkertechno.

Um die Musik für das Englische passend zu machen, mag sie auf „Dead Frog“ reglementierter sein, aber ihre Gangart ist immer noch ungerade. Die Art und Weise, wie sie dem Sequencer in die Parade fährt, erinnert an DAF auf der Höhe ihres Könnens. Das Unvermögen, den neuen Weg konsequent zu gehen, rettet „Dead Frog“ den Arsch.

Aus dem Englischen von Sylvia Prahl

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Chris Bohn ist Chefredakteur des britischen Musikmagazins The Wire und schreibt als Biba Kopf seit Jahrzehnten über Popmusik aus Deutschland

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.