Die Linke in Baden-Württemberg: Der Straßenkämpfer

Die Linkspartei hat kaum eine Chance auf den Einzug ins Parlament. Spitzenkandidat Bernd Riexinger kämpft trotzdem um jede Stimme.

Bernd Riexinger steht in der Fußgängerzone von Bad Cannstatt und verteilt Flugblätter

„Lafontaine-Marionette, Vulgärmarxist, Gewerkschaftsdogmatiker“ – solche Schmähungen bringen Riexinger nicht zum Heulen. Foto: Boris Schmalenberger

STUTTGART/SCHWÄBISCH GMÜND/LEONBERG taz | Mitte der 60er-Jahre zog ein Junge aus Hausen ins Nachbardorf Münklingen. Weil die Dörfer verfeindet waren, haben die Münklinger Jungs den Zugezogenen regelmäßig verhauen. Respekt verschaffte er sich erst im Fußballverein: Als Torwart war er talentiert. Dann kam der Tag, als die Münklinger gegen die Hausener zum Fußballspiel antraten: sie verloren 13:0. „Der Torwart war tränenüberströmt“, erzählt Peter Kappler über seinen damaligen Jugendfreund Jong Bolle alias Bernd Riexinger.

Jener Bernd Riexinger ist heute Bundesvorsitzender der Linken und Spitzenkandidat in Baden-Württemberg. In zwei Wochen möchte er mit der Linken erstmals in den Stuttgarter Landtag einziehen. Erfolgsaussichten? Naja. Die Partei bleibt in Umfragen unter 5 Prozent. Das Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen Grünen und CDU, aber auch das Dauerthema Flüchtlingspolitik, bremsen die Linke aus.

Heulen wird er wohl nicht, wenn die Linke am 13. März erneut den Einzug in den Landtag verpasst. Aber für den Bundesvorsitzenden gäbe es drei Monate vor dem Parteitag, auf dem er sich zur Wiederwahl stellt, bessere PR als eine Niederlage im Stammland. Das wusste auch Klaus Ernst, der, als er noch Parteivorsitzender war, von seinen bayerischen Parteifreunden bekniet wurde, für sie Zugpferd zu spielen. Ernst lehnte ab.

Riexinger hat zugesagt. Warum tut er sich das an? Eitelkeit scheidet wohl aus. „Der ist nicht eitel“, heißt es übereinstimmend. Macht? „Er ist keiner, der die Ellenbogen rausstreckt“, sagt Ulrich Maurer, der vor seinem Eintritt in die WASG lange Zeit SPD-Vorsitzender in Baden-Württemberg war, als die Partei dort noch bei 30 Prozent lag. Maurer muss es wissen, er war es schließlich, der Riexinger fragte, ob der für den Bundesvorsitz kandidieren wolle.

Ein No Name mit Pflichtgefühl

Bleibt noch: Pflichtgefühl. Er habe sich verpflichtet gefühlt, sagt er selbst. Seit vier Jahren führt Riexinger zusammen mit Katja Kipping vom linken Parteiflügel die Linkspartei. Als die Linke 2012 an sich selbst zu zerbrechen drohte, als die Rede von Hass und Denunziation war, erschien Riexinger als No Name auf dem Göttinger Parteitag und ließ sich in einer Kampfabstimmung gegen den Favoriten des Reformer-Flügels Dietmar Bartsch zum Parteivorsitzenden wählen.

Verhauen haben sie ihn damals auch, verbal eben. Als „Lafontaine-Marionette, Vulgärmarxist, Gewerkschaftsdogmatiker“, war er verschrien. Doch Riexinger und Kipping haben es geschafft, die verschiedenen Strömungen der Linken miteinander zu versöhnen. Es herrscht wieder Ruhe in der Partei. Umso lauter wird die Frage: Wohin steuert die Linke, die im Osten Volks- und im Westen Splitterpartei ist?

Auch darüber kann man nachdenken, wenn man einen Tag mit Bernd Riexinger durch Baden-Württemberg fährt. Der Spitzenkandidat steuert seinen blauen Ford Fiesta selbst. Zwei Wochen noch bis zur Landtagswahl. Am Vormittag hat Riexinger in der Fußgängerzone seines Stuttgarter Wahlbezirks Bad Cannstatt gestanden. Ein großer Mann, kleine Porträts seiner selbst in den Händen haltend, ein Hindernis im Strom der Passanten. Viele entkamen ihm nicht.

Nun geht‘s über den Neckar nach Hallschlag. Riexinger fährt und redet, verpasst den Abzweig, legt eine 180-Grad-Wende hin, die rote Ampel mit schnellem Blick auf die leere Fahrbahn ignorierend.

„Guten Tag, Riexinger mein Name“

„Mit deiner locker-renitenten Haltung warst du den Ausbildungsleitern von Anfang an suspekt“, hat seine gewerkschaftliche Ziehmutter, die langjährige Betriebsratsvorsitzende Renate Stäbler, im Oktober in ihrer Rede zu Riexingers 60. Geburtstag gesagt. Sie hatten den klassenkämpferischen Jugendsekretär in der Leonberger Bausparkasse, wo er Anfang der 1971 mit 16 seine Lehre antrat, nach der Ausbildung nicht übernehmen wollen. Er hatte dagegen erfolgreich geklagt, es dann aber doch nur drei Jahre als Sachbearbeiter ausgehalten, bevor er als Betriebsrat freigestellt wurde.

Die vierstöckigen Häuser in Hallschlag sind frisch saniert, zumindest die Fassaden. Hallschlag gilt wie Cannstatt als sozialer Brennpunkt. Die Linke will hier, wo besonders viele Nichtwähler wohnen, etwas Neues ausprobieren. Die Wahlkämpfer klingeln an den Türen und versuchen die potentiellen Wähler zu überzeugen, a) zur Wahl zu gehen und b) für den eigenen Kandidaten zu stimmen.

Ein Kamerateam von RTL trifft ein, um Riexinger auf dem Häuserwahlkampf zu begleiten. Riexinger und sein Wahlkampfteam klingeln. Der Haustürsummer schnarrt. Sie gehen nach oben und klopfen. Ein Junge öffnet. Dreht sich um „Ane – Mama.“ Die erscheint in der Tür, gelbe Gummihandschuhe an den Händen, und guckt verständnislos.

„Guten Tag, ich kandidiere hier für die Linke, Bernd Riexinger mein Name. Darf ich ihnen einige Informationen über uns zur Landtagswahl geben?“ – „Ich wähle nicht.“ – „Und wenn Sie eine Partei wählen, die sich für sie einsetzt?“ – „Aber bin ich auch sicher, dass sie das macht?“ – „Da könnse schon sicher sein, dass wir das machen. Wir sind die Partei, die hält, was sie versprochen hat. Wir haben als einzige dagegen gestimmt, dass die Stadt die Mieten hier erhöht.“ – „Aha, nur gestimmt.“

„Man kann immer was machen“

Die Frau guckt grimmig. Aber dann platzt es aus ihr heraus. 1000 Euro Betriebskosten habe sie nachzahlen müssen. Das hat ihr, Mutter mehrerer Kinder, die den ganzen Tag arbeitet, und im Bad sowieso nie die Heizung anmache, sehr weh getan.

Geklagt habe sie dagegen, aber es habe nichts genützt. Und als sie versuchte, die Nachbarn zu mobilisieren, habe keiner mitgemacht. „Haben die zu viel Geld oder zuviel Angst?“ Riexinger sagt: „Man muss keine Angst haben. Man kann immer was machen.“

Er gibt der Frau seine Flyer und eine Einladung des Bündnisses gegen Mieterhöhungen. So geht es Tür um Tür. Riexinger stellt sich vor, eröffnet ein Gespräch und bietet dann das Programm der Linken feil.

Für junge Frauen und Mütter zieht er die kostenlosen Kindertagsstätten aus der Tasche, für die man sich einsetzt. Arbeitslosen erklärt er, dass die Linke Hartz IV abschaffen will. Mietern ohne deutschen Pass, die nicht wählen dürfen – und das sind erstaunlich viele hier – versichert er, dass seine Partei sich für ein Wahlrecht für Ausländer einsetzt.

Mutmacher und Zuhörer

Die meisten nehmen die Materialien und sagen, sie wollen es sich mal überlegen mit der Linken. Ein Mann lehnt dankend ab. Er sei in der SPD. „Da trifft ma wenigsten mal ein SPD-Mitglied“, sagt Riexinger zu sich selbst auf dem Weg nach draußen.

RTL hat sich längst verabschiedet, aber Riexinger steigt weiter schnaufend Treppen. Er ist in seinem Metier. „Er ist ein großer Mutmacher.“ „Er kann den Leuten zuhören“, sagen viele, die ihn aus seinen Zeiten als Verdi-Sekretär in Stuttgart kennen.

Riexinger baute den Bezirksverband Stuttgart auf, nachdem Verdi in den Nullerjahren aus fünf Einzelgewerkschaften hervorgegangen war. Stuttgart galt als Kampfbezirk. „Wenn in den Nachrichten kam, es streiken 30.000 Erzieherinnen, waren 20.000 von uns. Genauso im Einzelhandel. Das war Riexinger live. Wir waren die einzigen, die voll streikfähig waren“, erzählt Christina Frank, die heute noch als Verdi-Sektretärin in Stuttgart arbeitet.

Riexinger verlagerte die Arbeitskämpfe auf die Straße und verpartnerte die Gewerkschaft mit sozialen Bewegungen: mit Stuttgart 21, mit attac, mit Blockupy. „Zum 10. Geburtstag von Verdi, da, wo normalerweise Reden gehalten werden und gut is, da hat er eine Demo organisiert. Das isch Bernd“, sagt Peter Klumpp, sein langjähriger Stellvertreter.

In Stuttgart trauern sie ihm nach

In Stuttgart trauern sie ihm immer noch nach. In Berlin haben sie sich mit ihm abgefunden. Fast. „Ich finde den todlangweilig“, bricht es aus einem langjährigen Mitglied der Partei heraus, das heute eine Schlüsselrolle in der Fraktion hat. „Ein klassischer Gewerkschaftler, dem die alte Industriestandortpolitik und die Technikfeindlichkeit aus jeder Pore kriecht.“

Das Mitglied sagt, dass es persönlich nichts gegen Riexinger habe, der sei ein sehr anständiger Kerl. Aber ist er der Richtige, damit die Linke ihr Image der ewigen Anti-Hartz-IV-Partei abstreifen kann und thematisch neue Akzente setzt? „Jetzt rechts abbiegen“, sagt die Stimme aus dem Navigationsgerät. „Rechts, das kann gar nicht sein“, sagt Riexinger und fährt nach links.

Die Partei will er ebenfalls als linke Kraft in der Gesellschaft verankern, ihre Kampagnenfähigkeit ausbauen und ihr neben der Fraktion mehr Geltung verschaffen. Eine Art Verdi-Linkspartei nach Stuttgarter Vorbild also. Das geht aber nur, wenn die Mitgliederzahl wieder wächst.

Nicht einmal 60.000 Mitglieder hat die Linke aktuell. Zu wenig, um gesellschaftlich eine Rolle zu spielen, sagt selbst Riexinger. Immerhin steigt die Mitgliederzahl in Baden-Württemberg entgegen dem Bundestrend, wenn auch bescheiden.

Er reckt die linke Faust

In Schwäbisch-Gmünd wartet der örtliche Linken-Kandidat, ein knapp 23jähriger Student, der vor fünf Jahren noch als Juso-Mitglied Wahlkampf für die Sozialdemokraten machte. Einer der neuen Hoffnungsträger also, selbst wenn ein Direktmandat für die Linke im stockkonservativen Schwäbisch Gmünd in etwa so wahrscheinlich ist wie ein weiblicher Papst.

Der junge Kandidat redet von prekärer Arbeit und sozialer Ungerechtigkeit und zu hohen Mieten, und nach ihm redet Riexinger von prekärer Arbeit und sozialer Ungerechtigkeit und zu hohen Mieten. Und von Stuttgart21, das man noch verhindern könnte, wenn man es nur wolle. „Baustopp jetzt!“, ruft jemand aus dem Publikum. Am Ende seiner Rede klatschen die Zuhörer, und Riexinger reckt die linke Faust.

100 Mal hat der diese Rede in den letzten Wochen gehalten, leicht variiert. „Das mit der Vermögenssteuer hatte ich heute vergessen“, sagt er, während er 2,80 Euro in den Kassenautomaten des Parkhauses einwirft. „War aber gut“, sagt ein Mädchen hinter ihm, lila Haare, die Augen lidverschattet. „Ja, wirklich“, sagt ihre Freundin, auch sie in lila-schwarz-Kombination. „Wir haben Sie gerade gehört. Wir drücken Ihnen die Daumen.“ Riexinger lächelt die beiden breit an.

Der Altersdurchschnitt in der Hasenstube, dem Vereinsheim des Leonberger Kaninchenzüchtervereins, ist deutlich höher. Die Spitzenkandidatin der Linken in Leonberg ist eine der jüngsten hier, ein 40jährige Bankkaufrau, die Riexinger noch als Jugendsekretärin betreute.

Ein linkes Bündnis - mit ihm scheint es möglich

Überhaupt hat Riexinger viele seiner damaligen Verdi-Genossen in die Linke nachgezogen. Menschen wie er: mit Bausparvertrag oder Eigentumswohnung, bürgerlich bis in die Haarspitzen, aber sozial denkend. Menschen, die vor den Hartz-Reformen zur SPD gegangen wären, oder von dort kommen.

Kein Wunder, dass linke SPDler keine Berührungsängste zu Riexinger haben. „Wir würden ein linkes Bündnis unterstützen. Mit dem Bernd könnt mer das machen. Da würd das zusammengehen“, sagt Bodo Knechtel, dem sein Kreisverband für seine Verdienste um die SPD im letzten Jahr die Willy-Brandt-Medaille verliehen hat.

Knechtel kennt Riexinger noch aus Fußballzeiten. Mit 30 hatte Riexinger sich dann noch einmal breitschlagen lassen, für seinen Hausener Dorfverein zu spielen, der damals Letzter in der untersten Liga war. Zwei Jahre hat er gekickt. „Wir sind trotzdem Letzter geblieben“, sagt Riexinger. Aktiv Fußball spielt er seitdem nicht mehr.

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