Die Montagsreportage: Unter Panzern und Ruinen

Vor über 35 Jahren verhinderte eine Bürgerinitiative, dass der Salzstocks Wahn auf seine Tauglichkeit für ein Atommüll-Endlager hin untersucht wird. Jetzt geht die Suche von vorne los – und auch der Protest.

Potenzielles Endlager-Gebiet: Über dem Salzstock in Wahn im Emsland übt seit über 130 Jahren das Militär. Bild: Simone Schnase

Wahn gibt es eigentlich gar nicht. Lediglich ein Gedenkstein am Straßenrand mit der Aufschrift „Wahn, use olde Heimat“ deutet darauf hin, dass hier, im Nirgendwo südöstlich der emsländischen Kreisstadt Meppen, früher einmal etwas war. Hinter dem Findling verbergen Bäume den Blick auf die Siedlungswüstung.

Doch hier liegt ein Salzstock, und zwar einer der drei, die neben Gorleben Mitte der siebziger Jahre in die engere Wahl für ein Atommüll-Endlager kamen. „Geologen hielten Wahn sogar für geeigneter als Gorleben“, sagt Nikolaus Schütte zur Wick, Fraktionsvorsitzender der Grünen im emsländischen Kreistag und Mitglied der just gegründeten Arbeitsgruppe „Kein Endlager“.

Der Salzstock ist bisher unangetastet, angeblich wassersicher und hat ein ausreichendes Deckgebirge. Die begonnenen Erkundungsarbeiten und auch der Plan für eine angrenzende Wiederaufbereitungsanlage mussten 1976 aufgrund massiver Proteste der Bürger wieder eingestellt werden.

Die formieren sich auch jetzt wieder, denn Bundesumweltminister Peter Altmaier (CDU) hat mit Vertretern aus Bund und Ländern einen Neustart bei der Endlagersuche beschlossen, nach dem fünf Standorte in Deutschland auf ihre Eignung untersucht werden sollen. Ob Wahn dabei ist, weiß zwar noch niemand, aber aufgrund der Ergebnisse der Erkundungsarbeiten ist die Wahrscheinlichkeit recht groß.

Bis 1941 befand sich an diesem Ort, im damaligen Landkreis Aschendorf-Hümmling, eine für emsländische Verhältnisse recht große Gemeinde. Wer nicht weiß, dass die Bäume das erst vor wenigen Jahren wieder freigelegte Fundament der ehemaligen Dorfkirche umschließen, der fährt weiter, denn auch zum Spazierengehen lädt die Gegend kaum ein: Wahn ist umgeben von Arealen der Bundeswehr, die zur „Wehrtechnischen Dienststelle 91“ (WTD 91) gehören. Hier werden Waffen und Munition und allerlei Kriegstechnik getestet; die WTD 91 ist der größte Schießplatz Westeuropas. Es ist ein wenig gruselig in Wahn.

Das Dorf wurde aufgelöst

Die WTD 91 hieß früher „Kruppscher Schießplatz“. Der wurde 1877 bei Meppen durch die Firma Krupp eröffnet, um dort Kanonen zu testen. Als 1917 eine Test-Granate versehentlich das Wahner Pfarrhaus traf, entstanden bereits erste Pläne, den Schießplatz zu erweitern und das Dorf Wahn aufzulösen. Doch das Ende des Ersten Weltkriegs verhinderte das – bis 1936. Da besuchte Adolf Hitler den Schießplatz und ordnete die Auflösung der Gemeinde an. Fünf Jahre später wurden die rund 1.000 Einwohner Wahns in 67 umliegende Ortschaften umgesiedelt, 1942 wurde die Wahner Kirche entwidmet und abgerissen.

Neben den Fundamenten der alten Kirche und der teilweise freigelegten Dorfstraße erinnern heute Informationstafeln und kleine Gedenksteine zwischen Bäumen und Buschwerk an die Wahner Hofstellen, die hier einmal standen. Verlässt man das Waldstück nicht wieder zur Straße hin, sondern in die andere Richtung, landet man mitten auf dem Platz der WTD 91 und einer dazugehörigen riesigen Freifläche voller alter, abgestellter Panzer.

Trotz der Warn- und Verbotsschilder der Bundeswehr mutet die Kulisse eher kurios und aus der Zeit gefallen als bedrohlich an, denn das schwere Kriegsgerät ist uralt, verrostet, umwuchert von Gras und umgeben von Maulwurfshügeln. „Hartziele“ werden die Panzer im Bundeswehr-Jargon genannt: Auf sie wird immer mal wieder geschossen, um die Schlagkraft der Munition zu testen.

„Ich bin mir sicher, dass 2014 entschieden wird, ob Wahn untersucht wird oder nicht“, sagt Jan Deters. Er glaubt deshalb, „dass wir einen gewissen Zeitdruck haben“. Deters ist der Gründer der Arbeitsgruppe gegen das Endlager, zu der auch Schütte zur Wick gehört. Protest gegen ein Atommüll-Lager in Wahn – das kennt Deters schon.

Vor über 35 Jahren, als 17-Jähriger, war er im Vorstand der Bürgerinitiative, die gegen ein Endlager in Wahn gekämpft hat. Heute ist er leitender Redakteur der Web-Zeitung „Wir in Wippingen“ und so gut vernetzt in der Region, Kontakte zu anderen AktivistInnen – auch aus den benachbarten Niederlanden – hat er auch durch den Vorsitz einer Bürgerini gegen ein Kohlekraftwerk im emsländischen Dörpen geknüpft.

Bei ihrem Protest, das betonen sowohl Deters als auch Schütte zur Wick, gehe es der Arbeitsgruppe keineswegs nur um den Standort Wahn: „Wir wenden uns prinzipiell dagegen, zum jetzigen Zeitpunkt ein Endlager zu planen.“

„Ein Schnellschuss“

Freilich, so Deters, gebe es allerlei Argumente speziell gegen Wahn als Standort in einer ohnehin strukturschwachen Region, die verstärkt auf Tourismus als Wirtschaftsfaktor setzt, „aber uns geht es vor allem darum, dass wir ja noch nicht einmal in der Lage sind, eine sichere Lagerung für die nächsten 50 Jahre gewährleisten zu können – wie soll das dann für mehrere tausend Jahre und länger gehen?“ Für den Anti-Endlager-Aktivisten ist die Suche nach einer endgültigen Lösung ein Schnellschluss: „Die Politiker wollen vor allem das Problem mit dem Atommüll endlagern.“

Vielleicht, sagt auch Schütte zur Wick, sei es in ein paar Jahrzehnten möglich, eine sichere Lagerungsmöglichkeit für den strahlenden Müll zu entwickeln, „aber heute noch nicht“. Und deswegen könne sich die Diskussion nur um ein Zwischenlager drehen. Gegen eine solche Anlage hätte er nichts einzuwenden – durchaus auch im Emsland: „Wir haben hier schließlich ein AKW, also müssen wir auch die Verantwortung für den Atommüll übernehmen.“

Wahn sei dafür allerdings nicht geeignet: „Man kommt nur sehr schwer wieder ran an Behälter, die von Salz umschlossen sind.“ Außerdem sei der Salzstock unberührt und müsse ganz von vorne ausgeschachtet und erkundet werden. „Bis 2019 sollen alle fünf Standorte geprüft sein – wie soll das gehen?“

Dass der Zeitrahmen hier eingehalten wird, ist tatsächlich schwer vorstellbar – allein schon die Räumung des Areals von den unzähligen Blindgängern der WTD 91 wäre ein zeitraubendes Unterfangen. Eine oberirdische Lösung hält Schütte zur Wick für sinnvoller. Und Deters plädiert zudem für mehrere Lagerungsstätten: „Die könnten viel problemloser geräumt werden als ein einziges, zentrales Zwischenlager.“

Auch der CDU-regierte Landkreis, der vor Fukushima stets für eine Laufzeitverlängerung des AKW Lingen war, spricht sich deutlich gegen ein Endlager in Wahn aus. „Das tut er“, sagt Deters, „schon seit vielen Jahren, allerdings wird nie gesagt, warum eigentlich.“ Kreisrat Martin Gerenkamp sagt zur aktuellen Diskussion um Wahn, ein Endlager sei im Emsland fehl am Platze. Und man lehne den Standort aufgrund der Erkenntnisse aus der Vergangenheit ab.

„Wir wollen kein Endlager“

Welche Erkenntnisse er damit meinte, ließ Gerenkamp allerdings im Dunkeln. Und auf Anfrage der taz gab es ebenfalls keine Begründung, sondern nur das schriftliche Statement: „Die Position des Landkreises Emsland Wahn betreffend ist seit Jahren eindeutig.“ Sie sei in öffentlichen Erklärungen, in Briefen an die jeweiligen Ministerpräsidenten und in Kreistagssitzungen wiederholt vertreten worden. „Wir werden sie auch künftig vertreten“, verspricht die Verwaltung des Landkreises.

„Alle Mitglieder der Arbeitsgruppe sind froh, dass bei der Frage nach der Lagerung von Atommüll politisch endlich einmal ein gemeinsamer Weg gewählt wurde“, sagt der Schütte zur Wick, „und niemand von uns ist gegen Wahn, bloß weil es vor der eigenen Haustüre liegt.“ Eine Infoveranstaltung, die demnächst für BürgerInnen ausgerichtet werden soll, soll auch genau diese Botschaft transportieren. „Wir wollen schlichtweg kein Endlager – wegbuddeln, dichtmachen und nie wieder aufmachen, das klappt einfach nicht.“

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