Die Nachbarn des DFB-Quartier (1): „Es hat keinen Zweck, jetzt zu jammern“

Unweit von Salvador da Bahia liegt das DFB-Quartier. Wie blicken die Einwohner auf die WM und ihre neuen Nachbarn auf Zeit? Einige Stimmen.

Valdemira Telma de Jesus Gondim will die Gäste mit göttlicher Energie, vielen Farben und Gerüchen überraschen. Bild: Adenor Gondim/Goethe Inst.

 

Negra Jhô räumt zwei Frisierstühle frei in ihrem schmalen Friseurladen im Pelourinho. Und bittet, sich zu setzen, inmitten verschiedener Götterstatuen und Hausaltare. Zwei Angestellte legen einem jungen Mann die Rastahaare neu.

 

„Meine Tochter, was glaubst du, wann findet die nächste Copa in Brasilien statt?“, fragt sie rhetorisch und fügt bestimmt hinzu: „Wir werden die Besucher mit unserem Axé, der göttlichen Energie, für uns einnehmen. Wir werden sie überraschen mit unseren Farben, unseren Gerüchen, unseren Tänzen.“

 

Negra Jhô - der Name bedeutet im afrikanischen Yorubá „Licht“ - weigerte sich schon als Kind, ihren sechs Geschwistern die Haare mit dem heißen Eisen zu glätten. Sie fand das verpönte Kraushaar und was man daraus machen kann, immer schöner.

 

Inzwischen hat sie schon allen afrobrasilianischen Künstlern „den Kopf gemacht“, wie sie sagt. Was einen doppelten Sinn hat: Es kann bedeuten, Zöpfe zu flechten oder einen Turban zu kreieren. Aber auch, jemanden empfänglich zu machen für die Orixás, die Gottheiten des afrobrasilianischen Candomblé.

 

„Es hat keinen Zweck, jetzt zu jammern, dass es vor sechs Jahren, als die Copa an uns vergeben wurde, besser gewesen wäre, das Geld in Schulen oder Krankenhäuser zu stecken“, sagt Jhô, während sie in ihrem Atelier Hof hält, devote Handküsse entgegennimmt und selbst Passanten Luftküsse zuwirft.

 

„Diese Diskussion müssen wir heute jeden Tag neu in Brasilien führen.“ Sicherlich werde es Trittbrettfahrer in der Politik geben, die von der Copa profitieren werden, oder Unternehmer, die versuchen, sich auf Kosten der Allgemeinheit zu bereichern. Trotzdem ist sie sicher: „Was übrig bleibt von der Copa, das wird gut sein!“

 

Valdemira Telma de Jesus, genannt „Negra Jhô“, 56 Jahre, Haarkünstlerin

 

Die WM ist ein Geschenk für Brasilien. Für mich ein ganz spezielles. Ich freue mich auf alle Besucher. Je mehr kommen, desto besser! Ich zweifle nicht, dass es ein fröhliches Fest wird. Die Demonstrationen hören spätestens auf, wenn die Spiele beginnen. Seit zwölf Jahren arbeite ich jetzt hier in der Altstadt Salvadors als ,Statue'. Meistens in Silber besprüht. Manchmal auch in Gold. Aber das juckt so.

 

Früher arbeitete ich als Tagelöhner bei Bauern und schleppte Zementsäcke. Jetzt mache ich Straßenkunst und kann davon ganz gut leben. Am liebsten sind mir die Touristen aus Portugal und die Deutschen, die werfen Geld in meinen Hut. Alte Amerikaner von den Kreuzfahrtschiffen geben nichts. Auch nicht die Japaner, obwohl die mich stundenlang fotografieren.

 

Bei der WM werde ich Konkurrenz bekommen. Aber andere Statuenkünstler halten es nicht so lange hier aus wie ich.“

 

Adenilton Perreira Ramos aus Estátua, 36 Jahre, Straßenkünstler

„Bei der WM werde ich Konkurrenz bekommen. Aber andere Statuenkünstler halten es nicht so lange hier aus.“ - Adenilton Perreira Ramos Bild: Adenor Gondim/Goethe Inst.

 

"Alle wollten wir die Copa in Brasilien haben, aber jetzt würde ich es am liebsten rückgängig machen. So viel Ärger, wie die mit sich bringt." Cosme Gomes Santana Filho, 45, ist Parkwächter auf dem Terreiro de Jesus. Carranca wird er genannt, so wie die furchterregenden Holzköpfe, die früher den Bug der Transportschiffe auf dem Rio São Francisco zierten, um die Flussungeheuer zu verscheuchen.

 

Seit mehr als 30 Jahren vertrauen ihm seine Kunden die Schlüssel an, damit er deren Autos in den heruntergekommenen und unsicheren Gassen des Pelourinho-Viertels sicher parkt - in den Teilen der Altstadt, in die sich kaum ein Tourist verirrt. Schon früher gab es dort Kleinganoven, nun leben dort vor allem Cracksüchtige. Carranca ist empört und besorgt zugleich: "Ich werde nicht arbeiten können, weil die Fifa die Straßen ums Stadion sperren wird. Das Stadion liegt zwischen meinem Arbeitsplatz und meinem Wohnort."

 

Arbeitet er nicht, kommt kein Geld in die Kasse - so einfach ist das. Jetzt steht Schweiß auf Carrancas Stirn, über dem runden Bauch spannt das T-Shirt, die Plastiklatschen sind zu dünnen Brettchen getreten. "Wir haben die Nase voll. Unsere Kinder haben keine guten Schulen, wenn wir einen Arzt brauchen, müssen wir stundenlang warten - nichts ist besser geworden."

 

Als Kind wusch er in der Altstadt Salvadors Autos, um Brot und Milch kaufen zu können. Viele seiner Kumpels von damals sind nicht mehr am Leben. Andere machten Karriere als Trommler. Carranca hat Familie und einen selbst organisierten Arbeitsplatz, der ein bescheidenes Einkommen ermöglicht. Er hat weder eine Lizenz noch irgendeine soziale Absicherung: "Wer unser Land besucht, wird die Armut sehen, die Gewalt erleben."

 

Er zeigt gen Pelourinho: "Während der Copa werden hier Polizisten stehen, danach sind wir wieder uns selbst überlassen."

 

Cosme Gomes Santana Filho, genannt "Carranca", 45 Jahre, ist selbsternannter Parkwächter.