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Die Neunziger wollen ihre Werbung zurückSexualisierung auf dem Laufband

Die Fitnessstudiokette Wellyou sexualisiert Trainierende mit ihrer neuen Kampagne. Ein Shitstorm folgt: Die Toleranz für sexistische Werbung sinkt.

Scheinbar dachte sich Wellyou, Training schreibt sich wie Sexismus Foto: Manu Padilla Photo/Westend61/imago

Die Frau im Fitnessstudio strampelt nackt auf dem Ergometer. Auch die auf dem Laufband ist nackt. Die mit dem Medizinball. Die am Stairmaster. Und ja: Auch die Männer sind nackt, an den Hanteln und am Umkleidespind. Intimbereiche werden jeweils durch Geräte oder Ähnliches verdeckt, aber nackt bleiben sie.

Und jung natürlich, und schön, und durchtrainiert – mit der Realität in Fitnessstudios deckt sich weder die durchgestylte Perfektion noch die Nacktheit. Es handelt sich um eine Werbekampagne des Fitnessstudiobetreibers Wellyou, die seit vergangener Woche vor allem auf Instagram gespielt wird – und seitdem für viel Kritik sorgt. Wellyou mit Hauptsitz in Kiel ist laut Eigenwerbung die „Nummer 1 im Norden“, 40 Fitnessstudios gibt es – die meisten irgendwo zwischen Husum und Hannover.

Im Kampagnenvideo werden die Bilder von nackten schlanken Frauen mit den Worten „Klappe zu, Arsch hoch, mach die Beine breit“ untertitelt; bei den Männern heißt es: „Bis du endlich den Größten hast.“ Eine sexualisierte Absicht bestreitet das Unternehmen. „Wir möchten zeigen, was Training bewirken kann: Stärke, Disziplin und Selbstbewusstsein“, so die Antwort auf Beschwerden von Mitgliedern. Wenn Betrachter „darin dennoch eine sexualisierte Darstellung sehen“, liege das „weniger in unserer Absicht als vielmehr in der individuellen Interpretation der Betrachtenden“.

Shitstorm auf Social Media einkalkuliert

Die Reaktionen auf Social Media sind eindeutig. „Ich dachte, so was gibt's 2025 gar nicht mehr! Was für eine peinliche Werbung“, schreibt eine Kommentatorin unter den Instagram-Beitrag von Wellyou. „Frauen auch weiterhin im gym sexualisieren mit so einer Werbung, toll gemacht“, eine andere. „Kein Kommentar – ich werde das Studio einfach wechseln.“ Auch Profile, die sich eher männlich lesen lassen, kommentieren negativ.

Im Kampagnenvideo werden die Bilder von nackten schlanken Frauen mit den Worten Klappe zu, Arsch hoch, mach die Beine breit untertitelt; bei den Männern heißt es: „Bis du endlich den Größten hast.“

Antworten der Verantwortlichen gibt es bei Instagram kaum. „Shitstorm incoming in 3,2,1, echt das Letzte“, schreibt ein User. „Wellyoufitness“ antwortet mit dem Emoji einer Popcorntüte – in den sozialen Netzwerken ist damit eine Art gespannte (aber unbeteiligte) Erwartung eines unterhaltsamen Konflikts gekennzeichnet.

Auch andere Beiträge des Studiobetreibers verharmlosen die Sexualisierung von Studiobesucherinnen: Ein Video zeigt, wie ein Besucher einer Frau hinterhergafft; ein Mitarbeiter des Ladens rettet ihn vor der Eifersucht seiner Freundin. Und ein anderes spielt erneut mit Doppeldeutigkeiten: Es zeigt einen Mann, der stolz aus der „Ladies Area“ herausdackelt. „How I feel after six girls ask me to go out“, steht darüber – also: „So fühl ich mich, wenn sechs Mädels mit mir ausgehen wollen“ – oder aber: „Wenn sechs Mädels mich raushaben wollten.“

Deutscher Werberat eingeschaltet

Kalkulierte Provokation gilt selbst als Werbemaßnahme: Der Safthersteller TrueFruits zum Beispiel hat das Mittel immer wieder gezielt einsetzt: Mit rassistischen und sexistischen Slogans versuchte das Unternehmen seine Umsätze zu steigern, viele Medien berichteten – auch die taz. Doch Standard ist diese Werbestrategie nicht; die Risiken von Provokation sind schwer überschaubar.

Die Wellyou-Kampagne ist erst seit einer Woche online und es ist bereits eine hohe zweistellige Zahl an Beschwerden beim Deutschen Werberat eingegangen. Zum Vergleich: Im ganzen ersten Halbjahr 2025 gab es nur 302 Beschwerden zu insgesamt 196 Vorfällen. Zur Einschätzung möchte man noch nichts sagen – man sei noch in der Prüfung.

Direkte Möglichkeiten, Werbung zu unterbinden, hat der Werberat nicht. Er prüft die Beschwerden – zuletzt wurden etwa 78 Prozent der kritisierten Werbekampagnen am Ende nicht beanstandet. Die übrigen Werbetreibenden zögen meist selbst Schlüsse, „viele kleine Betriebe wissen es erst mal nicht besser“, so ein Pressesprecher des Werberats. Nur wenn die Unternehmen nicht selbst reagieren, spricht der Werberat eine Rüge aus – das war im ersten Halbjahr 2025 dreimal der Fall.

Die Rüge ist schon das schärfste Schwert des Werberats. Im Bundesland Bremen ist das anders: Bür­ge­r*in­nen dort können seit 2017 sexistische Werbung bei der Zentralstelle der Landesfrauenbeauftragten (ZGF) melden. Wenn die ZGF die Werbung kritikwürdig findet, kann die Baubehörde Plakate auf öffentlichen Werbeflächen entfernen lassen. Bei digitaler Werbung und auch bei Plakaten in den Fitnessstudios selbst, wie es bei den beiden Bremer Wellyou-Filialen der Fall ist, ist man aber machtlos.

In dem Satz ‚Mach die Beine breit‘ bei der Frau kann man sogar die Andeutung von Gewalt sehen.

Sprecherin von Bremens Landesfrauenbeauftragter

Sexistisch nach den Kriterien des Deutschen Werberats sei das Wellyou-Video auf jeden Fall, schreibt die Sprecherin von Bremens Landesfrauenbeauftragter auf Nachfrage der taz. „Hier werden Personen auf ihre rein sexuelle Funktion reduziert, die sexuellen Anspielungen und übertrieben herausgestellte Nacktheit der Models haben nichts mit dem beworbenen Produkt, der Mitgliedschaft im Fitnessstudio, zu tun.“ Es werde mit Doppeldeutigkeit gespielt, aber die sexuelle Anspielung sei klar. Und: „In dem Satz ‚Mach die Beine breit‘ bei der Frau kann man sogar die Andeutung von Gewalt sehen.“

Bewusstsein für Sexismus in Bremen gewachsen

Bleiben die vielen Beschwerden gegen Wellyou aber folgenlos, weil der Werberat kein Möglichkeit hat, ein Verbot auszusprechen? Beim Werberat selbst glaubt man das nicht: Eine Rüge ziehe meist eine Verhaltensänderung nach sich, Wiederholungstäter gebe es fast nie.

In Bremen glaubt man sogar, einen allgemeinen Trend zu erkennen: Seit Bestand der Beschwerdestelle im Jahr 2017 gebe es immer weniger Beschwerden, wohl auch, weil die Zahl der sexistischen Plakate zurückgegangen sei. Das Bewusstsein sei gewachsen – das, was sexistisch ist, fällt dann noch mehr negativ auf.

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18 Kommentare

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  • Mal ehrlich, rechtlich kann man wenig machen. Ignorieren wäre wohl das Beste. Ich denke Frauen werden dort keinen Vertrag abschliessen. Und wenn die Männer, die aufgrund der Werbung dort anfangen, dann unter sich sind, werden die auch nicht lange bleiben.

  • Erstaunlich, dass jetzt ausgerechnet das bisschen (mehr an) Nacktheit für einen Shitstorm sorgt, obwohl die Werbung von Wellyou schon immer extrem sexistisch mit kaum zu übersehender pornografischen Note war.

  • Anhand eines "Shitstorms" zu konstatieren, die Toleranz für sexistische Werbung würde sinken, finde ich nicht wahnsinnig überzeugend. Schließlich ist in einer Aufmerksamkeitsökonomie so etwas wie "schlechte Presse" gar nicht existent. Mal abgesehen davon hat es für mich schon etwas von neuer Prüderie, wenn man aufgrund nackter Körper und doppeldeutiger Slogans auffordert, eine Werbung zu unterbinden. In den 90ern war solche Werbung schließlich ebenfalls provokativ - nur waren es damals eher konservative "Tugendwächter", die sich beklagten.

    Die Witze sind sicherlich Geschmackssache. Wer aber in einem Herrenwitz eine "Aufforderung zur Gewalt" sieht, dem empfehle ich doch tatsächlich, die Kirche im Dorf zu lassen.

  • Wer gar kein inhaltliches Argument hat, setzt auf Provokationen der dümmlichsten Art. Solche Verzweiflungsakte sollten nicht lange Bestand haben.



    Konkret: Wer auf hübsche Mädchen im Studio setzt, um die Jungs anzulocken, sollte diese nicht so werblich wegklatschen.

  • Bizarres Brunft- und Balzverhalten beschert uns bescheidene Bevölkerungszahlen.

  • Ich musste bei dem Spruch "Mach die Beine breit" lauthals losprusten. So was von gestrig und aus der Zeit gefallen, diese Mucki-Bude ist ja so was von 80er - da ist ja Verstehen Sie Spaß noch taufrischer. Paola und Kurt Felix übernehmen Sie.

  • Meine Bank wirbt seit längerer Zeit mit einer EC-Karte, die in einer Poritze steckt unter dem Titel "FKK - Freie Konto Kultur".

    Na und? Lass die Leute doch mit nackten Leuten werben. Viel schädlicher ist für mich individualisierte Werbung, darunter leiden wir alle ganz direkt, bezahlen mit Geld und Lebenszeit...

  • Scheint ein weltweiter Trend zu sein: Ich wohne In Argentinien, hier gleich zwei solche Kampagnen trotz großer Empörung dieses Jahr. In beiden wird eine



    Frau in einen Müllsack gesteckt und "entsorgt". Ein Video von "SHELL", das andere von "YPF", beide lokale Marktführer bei Tankstellen. Alles auch hier wohl abgesprochene und gezielte Provokation, die sich dann nach einer bizarren Debatte in den Medien, ob Mann Frauen in Müllsäcke stopfen darf, auszahlt.

    share.google/1s5LUT5DhOewMBms8

    DIE ZEIT LÄUFT RÜCKWÄRTS, ÜBERALL mit Volldampf in den Muff der 50' zigerJahre. Ist so, hilft nix.

  • Das ist beabsichtigt, dass es einen Shitstorm gibt. Das bedeutet x-fache kostenlose Werbung. So wie jetzt hier in der taz.

    Besser kann man es nicht machen.

  • Und Hunderte springen über das Stöckchen, das ihnen hingehalten wird.

  • Gibt es so eine "nackte" Werbung nicht auch für irgendein Schmerzmittel? War/Ist da die Aufregung genauso groß?

    • @Ahnungsloser:

      Keine Ahnung ob es die gibt. Falls nicht gab es auch keine Reaktion

    • @Ahnungsloser:

      Hast du mehr als die Überschrift gelesen? Es geht weniger um die Nacktheit, sondern darum dass diese mit wirklich widerlichen Sprüchen eingeordnet wird als, ... ja ich weiß auch nicht so genau zu was hier aufgerufen wird. Das hat schon so ein bisschen was vom Stil solcher Misogynie-Sekten.

  • "Und jung natürlich, und schön, und durchtrainiert – mit der Realität in Fitnessstudios deckt sich weder die durchgestylte Perfektion noch die Nacktheit."

    Ich bin erschüttert. Werbung deckt sich nicht mit der Realität.

    • @Jim Hawkins:

      Ja. Eine Welt bricht zusammen 😀

  • Ich glaube ja die Zielgruppe der Werbenden und die Kritiker der Kampagne sind nicht wirklich deckungsgleich.



    So gibt es also viel Lärm um Nichts und die Werber nehmen die öffentlichkeitswirksame Publicity sicher gern mit.

    • @Šarru-kīnu:

      Naja, wer im realen Studio keine junge Frau mehr sieht, weil die nämlich auf Gaffen und dumme Werbung null Bock hat - der schließt auch nicht ab als junger Mann.

    • @Šarru-kīnu:

      Sie meinen also jede Frau die in einem dieser Studios trainiert möchte von Männern in der Damenumkleide dazu aufgefordert werden die Beine breit zu machen?