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Die Tränen des BundeskanzlersSie sind glaubwürdig

Kommentar von Klaus Hillenbrand

Friedrich Merz war bei der Einweihung der Münchner Synagoge sichtlich ergriffen. Das war neu. Bei der Migrationsfrage indes war er ganz der Alte.

Bundeskanzler Merz und Rachel Salamander (vorne) Foto: Sven Hoppe/dpa

I n München wurde eine Synagoge eingeweiht. Der Kanzler kam, Markus Söder war da und Rachel Salamander, eine Münchner Jüdin, die für die Restaurierung gekämpft hat. Ein Pflichttermin für die Staatsspitze, die diese mit Routine bewältigen wird, so die allgemeine Erwartung.

Als Friedrich Merz in seiner Rede auf den Lebensweg Salamanders eingeht, die in einem Nachkriegslager für heimatlose Juden in Bayern aufwuchs, versagt ihm die Stimme. Ob denn den Juden niemand geholfen habe, hätte Rachel als kleines Mädchen gefragt, sagt Merz. Die allermeisten Deutschen hätten eben weggeschaut, sagt er mit belegter Stimme.

Der Bundeskanzler ist kein Schauspieler. Man kann ihm die Erschütterung, die ihn in diesem Moment ergriff, schon abnehmen. Anders als in seiner bisherigen Karriere trägt er nun die Verantwortung dafür, dass jüdische Menschen in diesem Land nicht nur unbeschadet leben können, sondern auch gern. Das zu ermöglichen, ist vor allem eine polizeiliche Aufgabe. Wenn die Beamten Übergriffe und Anschläge verhindern können, ist das gut. Zugleich ist es ein Eingeständnis des Versagens von Staat und Gesellschaft, dass die Polizei 80 Jahre nach der Befreiung von den Nazis Wache schieben muss, um eine Minderheit zu schützen. Es ist auch ein Zeichen der Hilflosigkeit, auch die eines Bundeskanzlers. Dennoch: „Nie wieder“ sei eine Pflicht, ein Versprechen, sagte Merz in der Synagoge in München.

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Als er sich wieder gefasst hat, spricht Merz die Ursachen für die antisemitische Welle an, unter der die Jüdinnen und Juden in Deutschland leiden. Rechtsradikale erwähnt er dabei nicht, aber dafür diejenigen Einwanderer aus Herkunftsländern, „in denen Antisemitismus geradezu Staatsdoktrin ist, Israel­hass schon Kindern vermittelt wird“. Da ist er wieder, der Merz, wie wir ihn kennen. Ein CDU-Politiker, der die Bedrohung durch deutsche Neo­nazis nicht so laut anspricht, die – zweifellos auch vorhandene – durch Nicht-Deutsche aber umso lauter. Für einen Moment aber hat Friedrich Merz gezeigt, dass Empathie in ihm steckt.

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taz-Autor
Jahrgang 1957, ist Mitarbeiter der taz und Buchautor. Seine Themenschwerpunkte sind Zeitgeschichte und der Nahe Osten. Hillenbrand ist Autor mehrerer Bücher zur NS-Geschichte und Judenverfolgung. Zuletzt erschien von ihm: "Die geschützte Insel. Das jüdische Auerbach'sche Waisenhaus in Berlin", Hentrich & Hentrich 2024
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16 Kommentare

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  • Ich glaube schon, dass die Tränen des Kanzlers echt waren, seine Worte nehme ich ihm aber nicht ab.

    Er hat ja schon Schwierigkeiten, im Umgang mit seiner eigenen Familiengeschichte, wie in diesem taz-Artikel gut dargestellt wird.

    taz.de/Friedrich-M...-Naziopa/!6086702/

    Wie soll ich jemand ernst nehmen, der nicht mal zu der eigenen Familiengeschichte klar bezug nehmen kann? Wie soll ich jemand ernst nehmen, der einerseits das Leid der Juden anerkennt, andererseits aber nicht das Leid der Palästinenser wahrnehmen will.



    Vielleicht galten seine Tränen eher sich selbst und seinen inneren Widersprüchen.

  • "Der Bundeskanzler ist kein Schauspieler. Man kann ihm die Erschütterung, die ihn in diesem Moment ergriff, schon abnehmen. "

    Eine Einschätzungsfrage. Aber mal angenommen, es ist so. Dann könnte man sich fragen, warum er bei den Bildern verhungernder palästinensischer Kinder in Gaza nicht weint. Die Frage will ich vielleicht lieber gar nicht beantwortet bekommen.



    Mir sind diese Bilder im Fernsehen inzwischen schon zu hart; ich kann das angesichts der Tatenlosigkeit unserer Regierung nicht mehr mit ansehen. Wenn ich das sehe, dann weine ich. Er nicht.

  • Viele platte, ironische, sarkastische, zynische Wortspielereien fallen mir ein. Die lasse ich weg.



    Ich bin aber der Meinung, dass Merz doch ein Schauspieler ist. Einer, der im Stande ist, per Autosuggestion eigene Ergriffenheit zu erzeugen. Sieht dann aus wie Empathie.

  • Nun kann ich nicht in Merzens Kopf schauen, aber egal ob die Tränen echt waren oder nicht - sie zeigen die unerträgliche Doppelmoral deutscher Eliten, die um die Toten der Vergangenheit weinen und gleichzeitig den Voelkermördern zuarbeiten. Das ist keine Moral, sondern ein moderner Anlasshandel auf Kosten anderer.

    • @O.F.:

      "... sie zeigen die unerträgliche Doppelmoral deutscher Eliten, die um die Toten der Vergangenheit weinen und gleichzeitig den Voelkermördern zuarbeiten. ..."

      Dem kann ich vorbehaltlos zustimmen, auch wenn wir unterschiedlicher Meinung sind, wer die Völkermörder und wer ihre Opfer sind.

      • @*Sabine*:

        Es steht Ihnen frei, das Gutachten der UN-Kommission sowie die Berichte etlicher - auch israelischer - Menschenrechtorganisationen und unabhängiger Experten zu lesen (und sich vielleicht auch in die Geschichte des NO-Konflikts einzulesen. Was Foristen dazu bewegt, vor einem solchen vor der Weltöffentlichkeit begangenen Menschenheitsverbrechen die Augen zu verschließen oder es sogar zu rechtfertigen, entzieht sich meiner Vorstellungskraft.

  • Merz ist der lebende Beweis, dass man zurecht gerührt sein und dennoch nichts begriffen haben kann. Was für ein unwürdiger Kanzler.

  • "Der Bundeskanzler ist kein Schauspieler."

    Dann belügt er nicht nur alle anderen, sondern auch sich selbst.

  • Mich hat die emotionale Reaktion von Herrn Merz berührt und ich bin froh darüber, dass er sich hinsichtlich jüdischen Lebens in Deutschland so eindeutig und für mich glaubwürdig positioniert. Ich hoffe er wird und kann, trotz aller innen- und außenpolitischen Widerstände, weiterhin auch den einzigen jüdischen Staat auf dieser Welt unterstützen und in dem gegenwärtigen Krieg nicht die Seite wechseln, wie es so viele andere europäische Länder getan haben.

    Meiner Meinung nach muss, wer jüdisches Leben schützen will, auch den Staat Israel schützen.

    • @*Sabine*:

      Wen meinen Sie denn mit "Staat Israel"? Meiner Meinung nach gehört die gegenwärtige Regierung dort aufgefordert, die Menschen in Palästina zu schützen.

      • @OndaOnda:

        Ich meine mit "Staat Israel" die jüdischen und nicht-jüdischen Bürger Israels, ebenso das "Staatsgebilde"; aus meiner Sicht ist Israel sehr wichtig um jüdischen Menschen Zuflucht zu bieten, falls sich die Lebenssituation dieser weltweit weiterhin verschlechtert. Von zumindest Deutschland und Frankreich weiß ich, dass jüdische Menschen erneut Angriffen und Verfolgung ausgesetzt sind. Ich habe von Margot Friedländer nicht nur "Seid Menschen." für immer im Ohr, sondern auch ihr "So hat es ja damals auch angefangen." Davor graut mir(, obwohl ich weder Jüdin noch Israelin bin.)

        Die Menschen in Gaza sind meiner Meinung nach von der gazanischen Regierung und ihren Kämpfern zu schützen(, worin diese eklatant, besonders durch den provozierten Krieg und trotz enormer finanzieller Mittel, versagen.)

        Die Menschen im Westjordanland A-Gebiete sollten von der PA/Fatah geschützt werden, die B- und C-Gebiete von der israelischen Regierung.

        Grundsätzlich kann ich zu "in Palästina" wenig sagen, da ich auf Grund der vielen Kriege und Verhandlungen und dem ganzen hin und her nicht weiß, wie die Grenzen verlaufen bzw. es für mich vorerst! noch so eine Art "Nimmerland" ist.

  • Der Moment der Empathielosigkeit Ende Januar, der im Parteiaustritt von Michel Friedman und der Rückgabe des Bundesverdienstkreuzes von Albrecht Weinberg aus Rhauderfehn gipfelte, scheint ja schon vergessen...

  • Aus Milan Kunderas Buch "Die unerträgliche Leichtigkeit des Seins" ein, in dem er sich mit dem Begriff "Kitsch" beschäftigt:

    "Der Kitsch ruft zwei nebeneinander fließende Tränen der Rührung hervor. Die erste Träne besagt: wie schön sind doch auf dem Rasen



    rennende Kinder!



    Die zweite Träne besagt: wie schön ist es doch, gemeinsam mit der



    ganzen Menschheit beim Anblick von auf dem Rasen rennenden Kin-



    dern gerührt zu sein! Erst diese zweite Träne macht den Kitsch zum



    Kitsch."



    "Einmal hatte eine politische Gruppierung in Deutschland für Sabi-



    na eine Ausstellung organisiert. Sabina nahm den Katalog zur Hand:



    über ihr Foto war ein Stacheldraht gezeichnet. Die abgedruckte Bio-



    graphie glich einer Hagiographie von Märtyrern: sie hatte gelitten, gegen Ungerechtigkeit gekämpft, ihr gefoltertes Vaterland verlassen



    müssen, und sie kämpfte weiter. »Sie kämpft mit ihren Bildern für das



    Glück«, lautete der letzte Satz des Textes.



    Sie protestierte, doch man verstand sie nicht."

    Damit, und das möchte ich betonen, sage ich keineswegs, dass Tränen angesichts der Fragen eines Kindes an seine Eltern, die die Shoaher- und überlebten, nicht vollkommen menschlich wären.

  • Ob er über den "Völkermord" in Gaza auch schon einmal eine Träne vergossen hat?

  • Der Bürgergeldempfänger, der Migrant... diese totale Einfalllosigkeit der CDU wird uns noch die Demokratie kosten, und dann wird es für alle Minderheiten gefährlich in diesem Land.

    • @Moritz Pierwoss:

      Das ist keine Einfallslosigkeit, das ist Opportunismus.