Die Umweltministerin über Ökoleben: „Wir haben doch keine Chance!”

Barbara Hendricks birgt Widersprüche in sich. Früher hat sie sich für die Steinkohle eingesetzt, jetzt will sie den Klimaschutz voranbringen.

Fun fact: Hendricks soll einem Kollegen aus Wut die Zigarette auf der Hand ausgedrückt haben, sie gilt trotzdem als besonnen. Bild: dpa

zeo2: Frau Hendricks, kann Ökoleben Spaß machen?

Barbara Hendricks: Sie meinen ein 100-Prozent-Ökoleben? Das schafft ja kein Mensch!

Setzen Sie sich nur Ziele, die Sie auch erreichen können?

Die dürfen ehrgeizig sein. Aber wir leben nun mal in einer Industriegesellschaft, nehmen teil am Wirtschaftsleben und konsumieren. Und für manchen ist der Weg zur Arbeit zu weit, um mit dem Rad zu fahren. Oder die Bus- und Bahnverbindungen sind einfach zu schlecht.

Sie fahren mit dem Rad ins Büro?

Meinen Sommerurlaub verbringe ich gewöhnlich auf dem Rad. Aber ich nehme den Dienstwagen, wenn ich zum Ministerium oder ins Parlament fahre. Ich will nicht nass geregnet oder verschwitzt zu Terminen kommen.

Kann man sich mit gutem Gewissen ein Handy kaufen, wenn mit Metallen wie Coltan Rebellen im Kongo ihre Waffen finanzieren?

Dem entkommen Sie als Verbraucher nicht. Da haben wir doch gar keine Chance!

So fatalistisch?

Wir beziehen in Deutschland ganz viele Rohstoffe aus Ländern, in denen die Menschenrechte mit Füßen getreten werden. Das betrifft nicht nur das Handy. Das macht uns ein schlechtes Gewissen. Aber der normale Mensch wird sich keinen vollständigen Überblick verschaffen können. Völlig undenkbar.

Also machen wir am besten – gar nichts?

Die mündigen Staatsbürger sind da schon gefragt. Denn sie müssen zulassen, dass wir Steuermittel aufwenden, um zum Beispiel Nichtregierungsorganisationen zu unterstützen, die für die Einhaltung der Menschenrechte kämpfen. Ein Konsument kann aber immerhin eins entscheiden: weniger zu kaufen.

Wie viele Pullover haben Sie?

Ganz gewiss bin ich niemand, der übermäßig einkauft oder viel wegwirft. Ich habe in diesem Winter zwei Pullover gekauft.

Kaufen Sie nach Biosiegel?

Lebensmittel ja, aber sonst eher nein. Ich bin keine 100-prozentige ökologische Verbraucherin. Das räume ich ein. Und ich verspreche auch nicht, dass ich es jetzt als Umweltministerin werde. Ich kann auch nicht zu Fuß zum Klimagipfel in Lima reisen, da muss man fliegen.

Frau Hendricks, wenn Sie Ihren Job als Umweltministerin ernst nehmen, ein Tempolimit fordern, Plastiktüten verbieten, könnten Sie schnell als Spaßverderberin gelten...

… das habe ich nicht vor. Ich werde nicht mit erhobenem Zeigefinger durch die Gegend laufen und sagen: Es ist moralisch verwerflich, wenn ihr anders lebt. Das muss jeder Mensch in eigener Verantwortung entscheiden. Ich werde nicht in das Privatleben der Menschen eindringen.

Was wollen Sie tun?

Ich will anständige Arbeit abliefern. Meine Themen heißen Umwelt, Naturschutz, Bauen und Reaktorsicherheit. Mit letzterem gewinnt man sicher keine Blumentöpfe.

Die Erneuerbaren Energien sind aus dem Umweltressort ins Wirtschaftsministerium gewandert, wie viel Macht haben Sie da eigentlich noch im Kabinett? Sie fordern mehr Wildnis in Deutschland – und alle nicken?

Wir kommen mit unseren Themen gut durch. In den nächsten zwei Jahren nehmen wir uns besonders den Klimaschutz vor. Nicht zuletzt deswegen machen wir ja auch die Energiewende.

Wie wollen Sie sich als Klimaministerin profilieren?

Entscheidend ist die Klimakonferenz Ende 2015 in Paris, da muss es ein bindendes Nachfolge-Abkommen zum Kyoto-Protokoll geben. Es geht darum, in welchem Umfang und in welchem Zeitraum die Treibhausgasemissionen weltweit gemindert werden. Wir wollen weiter Vorreiter sein. Und zum Glück gibt es Länder, die vergleichbare Positionen vertreten wie wir.

Säße jetzt der chinesische Premier vor Ihnen, was würde Sie ihm sagen, um ihn ins Boot zu holen?

Der chinesische Premier ist heute gar nicht mehr der schwierigste Partner. Die Chinesen sehen vor dem Hintergrund ihrer wirtschaftlichen Entwicklung, dass sie das Klima schützen müssen, weil sonst ihre Menschen in den Städten nicht mehr leben können. Und sie haben verstanden, dass Investitionen in den Klimaschutz ihre Wirtschaft stärker machen. Dieselbe Erfahrung machen noch nicht alle Schwellenländer.

Polen auch nicht. Wie überzeugen Sie die?

Für Polen müssen die Nachbarn einen Ausgleich finden. Das ist klar. Es gibt eben unterschiedliche Interessenlagen.

Was kann Deutschland anbieten?

Für Polen steht Versorgungssicherheit an erster Stelle. Gaslieferungen aus Norwegen nach Polen könnten helfen und wir könnten eine Vermittlerrolle einnehmen, denn mit den norwegischen Gaslieferanten arbeiten wir schon 25 Jahre vertrauensvoll zusammen.

Frau Hendricks, wer neu in seinen Job kommt, bringt aus dem alten meistens etwas mit. Ursula von der Leyen hat als erstes eine familienfreundliche Truppe gefordert. Preschen Sie als einstige Finanzstaatssekretärin und SPD-Schatzmeisterin mit einer Erhöhung der Ökosteuer vor?

Warum sollte ich? Die Ökosteuer ist doch gut so.

Eine Ressourcensteuer?

Kann ich mir prinzipiell vorstellen, steht aber nicht auf meiner Agenda. Diese Koalition hat verabredet, keine steuerlichen Maßnahmen zu ergreifen. Das hindert mich aber nicht daran, den Ressourcenschutz voranzutreiben und auch den Flächenverbrauch zu minimieren. Wir verbauen zur Zeit noch jeden Tag 70 Hektar Fläche, das Ziel heißt aber seit langem 30. Da ist es gut, dass Bauen und Naturschutz jetzt in einem Ministerium angesiedelt sind.

Wer den Naturschutz voranbringen will, muss doch vor allem die Landwirtschaft ökologisieren – im zuständigen Ministerium sitzen aber rückwärtsgewandte Industrie-Agrarier.

Das sagen Sie. Wir werden uns da verständigen. Hundert Prozent ihrer Wünsche wird dabei sicher keine Seite durchsetzen können.

Was werden Sie von den anderen Kabinettskollegen verlangen?

Klimaforscher sagen, ohne einen Abschied vom gewohnten Lebensstandard wird es nicht gehen. Wir müssen bei der Vermeidung der Treibhausgase vorankommen, damit Deutschland das selbst gesetzte Ziel – 40 Prozent weniger CO2 bis 2020 im Vergleich zu 1990 – schafft. Machen wir so weiter wie bisher, landen wir eher bei 33 Prozent. Darum werden wir ein Sofortprogramm Klimaschutz machen: Dazu gehören die Wiederbelebung des Emissionshandels, aber auch Maßnahmen in anderen Sektoren, auch im Verkehr.

Also doch ein Tempolimit?

Es wird Aufgabe der einzelnen Ressorts sein, Vorschläge zur CO2-Minderung in ihrem Bereich zu unterbreiten. Das muss kein Tempolimit sein. Es gibt auch andere Hebel. Man könnte alternative Antriebsarten begünstigen, zum Beispiel kostenfreies Parken für Elektroautos und dergleichen.

Sagen Sie denn der Verteidigungsministerin, dass Sie die Truppe auf Ökologie trimmen und andere Panzer kaufen muss?

Für die Ökobilanz wäre es sicher besser, gar keine neuen Panzer zu kaufen! Auf jeden Fall sollte die Beschaffung bei der Bundeswehr – wie auch in der gesamten öffentlichen Hand – unter ökologischen Gesichtspunkten überprüft werden. Aber das muss man mit Augenmaß machen. Wenn im deutschen Camp in Kundus Mülltrennung vorgeschrieben ist, anschließend aber alles auf dieselbe Mülldeponie gekippt wird, ist das Unsinn. Das schafft auch kein Umweltbewusstsein.

Angela Merkel, aber auch Sie haben versprochen, „das gute Leben“ zur Sache der Regierung zu machen. Machen Sie dafür auch ein Sofortprogramm?

Das ist sicher kein Sofortprogramm, sondern eine Daueraufgabe wie der Sozialismus.

Was heißt denn gutes Leben – funktioniert da noch das Modell arbeiten in Berlin, wohnen am Niederrhein?

Ich habe meinen Wahlkreis am Niederrhein. Aber auch mein persönlicher Lebensmittelpunkt ist dort. Das sind weite Wege, die man in Kauf nehmen muss. Ministeramt und Parlament lassen sich nicht im Home-Office erledigen.

Frau Hendricks, wie werden wir künftig wohnen? Werden wir nach dunklen, kühlen Wohnungen suchen, um mit zunehmend heißen Sommern in der Stadt klar zu kommen?

Das einzige, was hilft, sind grüne Achsen in der Stadt, durch die kühle Luft weht, und Wasser. Etwa Springbrunnen in den Innenhöfen.

In schrumpfenden Städte wie Dessau werden Viertel abgerissen und wieder der Natur zurückgegeben?

Hier und da schon. Wir werden in Deutschland zum ersten Mal seit Jahrhunderten wieder Wüstungen haben, also aufgegebene Dörfer, weil die Zahl der Einwohner regional zurückgeht.

Welche Dörfer geben wir auf?

Was heißt aufgeben? Das ist ja in erster Linie keine politische Entscheidung, sondern die Entscheidung derer, die dort zu Hause sind. Wenn in einer Region nur noch fünf Menschen leben, die von sich aus sagen, dass sie lieber weg wollen, dann kann es im Sinne der Daseinsvorsorge sein, ihnen ein vernünftiges Angebot zu machen, damit sie anderswo besser leben können.

Das Interview führten Marcus Franken und Hanna Gersmann.

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