Die Wahlverlierer in Venezuela: „Wir haben fest an den Sieg geglaubt“

Die Anhänger des Oppositionsführers Capriles sind nach dem Wahlsieg von Präsident Chavez am Boden zerstört. Von seiner kommenden Amtszeit erwarten sie nichts Gutes.

Der Wahlverlierer Henrique Capriles Radonski auf einer Pressekonferenz. Bild: dpa/Comando Venezuela Press

CARACAS taz | Alejandra klickt sich durch ihre Erinnerungsfotos. „Hier mussten wir den Hang hochklettern. Die Chavistas ließen unseren Bus nicht durch. Einige von ihnen waren bewaffnet.“ Seit Februar machte sie Wahlkampf für den Kandidaten der rechten Opposition, Henrique Capriles Radonski. Am Wahlabend fiel sie in sich zusammen. „Wir haben so fest an seinen Sieg geglaubt.“

Dass die 36-Jährige in der Wir-Form spricht, ist bezeichnend für die Anhänger der venezolanischen Opposition nach ihrer Niederlage bei den Präsidentschaftswahlen am vergangenen Sonntag. Wo und wann auch immer man vor der Wahl mit Caprilistas sprach, sie waren vom bevorstehenden Triumph überzeugt.

„Was ist passiert? Was haben wir falsch gemacht?“, waren die ersten Gedanken von Nieves Saluotto. Dann habe sie nur noch Ohnmacht und Fassungslosigkeit gespürt.

Jetzt ist die Leiterin von Capriles Partei Primero Justica in der Gemeinde San Pedro in Caracas wieder gefasst. „Wir leiden unter dem Nachwahlsyndrom.“ Das sei, „wenn eine Hälfte der Gesellschaft feiert und die andere in bodenlose Trauer stürzt“. Ihr Mann und einer ihrer drei Söhne sind Chavistas.

Das Ergebnis: Nach dem amtlichen Endergebnis der Präsidentschaftswahl kam der amtierende Präsident Hugo Chávez auf 8.136.964 Stimmen (55,25 Prozent), sein Herausforderer Henrique Capriles auf 6.499.575 Stimmen (44,13 Prozent).

Neuer Vizepräsident ist seit Mittwoch der bisherige Außenminister Nicolás Maduro, 49. Maduro gilt als engster Vertrauter Chávez und wurde in den Debatten über dessen Gesundheitszustand als möglicher Nachfolger gehandelt.

Wer Salz in die Wunden der Caprilistas streuen möchte, der muss ihnen nur die Zahlen vor Augen halten. Ist es noch zu verkraften, dass landesweit knapp über 8 Millionen Menschen für Chávez und 6,5 Millionen für Capriles stimmten, so ist die Niederlage auf Bundesstaatsebene fast unvorstellbar.

In nur 2 von 24 Bundesstaaten lag Capriles vor Chávez. Von den Bundesstaaten, in denen die Opposition den Gouverneursposten besetzt, gewann sie lediglich Táchira. „Warum haben wir in Zulia verloren, wo wir noch nie verloren haben?“, fragte Henry Ramos Allup, Generalsekretär der oppositionellen Acción Democrática (AD). Antworten hat er keine.

Anerkennung für den Gegner

„Wenn du Chávez schlagen willst, musst du so gut organisiert sein wie die Chavistas“, sagt Nieves Saluotto. Die Wahlkampfmaschinerie des Präsidenten und seiner Anhänger habe perfekt funktioniert, sagt sie anerkennend. „Die haben eine unglaubliche Disziplin und Geschlossenheit.“

In der vermeintlich geschlossenen Opposition hätten dagegen einige ihr eigenes Süppchen gekocht. Gerade die sich schon vor Chávez an der Macht abwechselnden traditionellen Parteien hätten nicht konsequent mitgezogen.

Im Gegensatz zum Regierungslager habe bei der Opposition die Operación Progreso, nach der jeder Anhänger zehn weitere Personen an die Wahlurne bringen soll, nicht funktioniert, bestätigte ihr ein führendes Parteimitglied.

Betrogen wurde nicht

Capriles zog zwei Tage nach der Wahl öffentlich Bilanz. „Es gab keinen Wahlbetrug“, stellte er klar. Er habe die Wahl verloren, nicht die Wähler, sagte er weiter und übernahm die Verantwortung. Den Grund für die Niederlage ließ er offen. Am Wahlabend habe er wie viele geweint, aber jetzt seien die Tränen getrocknet.

Im Unterton seiner Sätze machte Capriles seinen Führungsanspruch in der neuen Opposition geltend: Er sei durch Abstimmungen legitimiert und nicht durch Mauscheleien.

Und Chávez habe keinen Blankoscheck: 6,5 Millionen denken anders, und 8 Millionen haben große Erwartungen, so seine Analyse: „Auf der Regierung lastet ein großer Druck.“ Dann verwies Capriles auf die Gouverneurswahlen in den 24 Bundesstaaten am 16. Dezember. Ob er selbst antritt, wird in Kürze entschieden.

Panama ist schon voll

Bei Andres Hermoso gehen derweil die Anrufe ein. Der 42-Jährige bietet Immobilien in der Dominikanischen Republik an. Seit Montag ist das Interesse enorm gestiegen. Für Venezuelas Mittel- und Oberschicht war die Entscheidung vom Sonntag richtungweisend. Weitere sechs Jahre Chavismus wollen viele nicht erleben. Neu ist der Abwanderungstrend nicht. Panama ist schon voll, sagt Hermoso.

Nieves Saluotto schaut in sich. Zwei ihrer Söhne wollen gehen. „Sie haben gute Jobs“, sagt sie. Aber das ist nicht alles. „Du willst ausgehen, ohne überfallen zu werden, und du willst nicht weiter in dieser ständigen politischen Polarisierung leben“, sagt sie. „Wenn wir die Konfrontation nicht überwinden und die Wähler der Chavisten erreichen, dann werden wir noch lange einen Chávez haben.“

Alejandra wird in Venezuela bleiben. Sie macht schon wieder Wahlkampf. Während Capriles im Fernseher spricht, tackert sie seine Worte auf die Facebookseiten der Caprilistas und schreibt Kommentare. „Nach der Hälfte seiner Amtszeit kann der Präsident mit einen Referendum aus den Amt gehoben werden“, erinnert sie an die Verfassung.

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