Die Wahrheit: Der Fluch des behaarten Käfers

Das Oktoberfest ist seit einer Woche vorbei, auch in Dublin. Hier hatte es sogar zwei Tage länger gedauert als in München.

Das Oktoberfest ist seit einer Woche vorbei, auch in Dublin. Hier hatte es sogar zwei Tage länger gedauert als in München. Das Ziel war aber dasselbe: so viel Bier wie möglich. Wer seine Koordinationsfähigkeit noch nicht vollends eingebüßt hatte, konnte an Wettbewerben im Schuhplattlern, Bierkrugstemmen und Jodeln teilnehmen. Oder im „nailing“. Sollten da Menschen ans Kreuz genagelt werden, oder bedeutete „nageln“ gar etwas anderes, fragten sich die Iren. Sie waren jedenfalls fasziniert von so viel ungewöhnlicher Kultur.

Natürlich lungerten im Hafengebiet, wo das Fest stattfand, auch einige zwielichtige Gestalten herum. Eine gab sich als rumänische Zigeunerin aus, die aus der Hand lesen und einem für fünf Euro eine Prognose für den weiteren Lebensweg erstellen konnte. Ihr nur notdürftig kaschierter Dubliner Dialekt und ihre Behauptung, dass sie aus den rumänischen Pyrenäen stammte, verrieten aber eindeutig, dass sie sich nur schlampig vorbereitet hatte.

„Komm bloß weg hier“, meinte unsere Freundin Grainne. „Von Wahrsagerinnen habe ich die Nase voll.“ Ihre Mutter sei sehr gutgläubig, erzählte sie, und nachdem ihr eine Wahrsagerin auf dem Jahrmarkt weisgemacht hatte, es laste ein Fluch auf ihr, unternahm sie einiges, um ihn wieder loszuwerden. So musste sie sich auf Anweisung der Wahrsagerin ein Kreuz aus zwölf 50-Euro-Scheinen an den Mantel heften und um Mitternacht am Grab ihrer Eltern beten. Während sie die Augen fest geschlossen hatte, verbrannte die Wahrsagerin angeblich das Geld. Danach pickte sie einen behaarten Käfer vom Boden und behauptete, das sei der Fluch, der soeben von der Mutter abgefallen sei. Damit er sie nicht noch einmal befalle, müsse er professionell entsorgt werden. „Das kostete noch mal 500 Euro“, stöhnte Grainne.

Die Sache sei ja glimpflich ausgegangen, meinte ich. In England ist vor kurzem eine Frau zu 18 Monaten Gefängnis verurteilt worden, weil sie ihre Kinder versklavt hatte. Auf Anordnung einer Wahrsagerin sperrte sie den Zehnjährigen und die Sechsjährige in ihre Zimmer, schraubte die Glühbirnen heraus, entfernte Spielzeug und Matratzen und gab ihnen lediglich Brot zu essen. Die Kinder bekamen Frostbeulen. Später schickte sie die beiden zur Familie der Wahrsagerin, für die sie arbeiten mussten, statt zur Schule zu gehen. Der Tochter rasierte sie regelmäßig den Kopf, um sie für Kleinigkeiten zu bestrafen. Alles gelogen, behauptete die Mutter: „Ich musste ihr den Kopf rasieren, weil sie aussehen wollte wie Britney Spears.“ Sie schwor, dass sie mit ihren Kindern nie wieder etwas zu haben werde, weil die vor Gericht ausgesagt hatten, sie seien von ihr wie Hunde behandelt worden.

Die Richterin fragte sich, wie es die Wahrsagerin geschafft hatte, die bis dahin fürsorgliche Mutter zu solch „merkwürdigem und unlogischem“ Benehmen zu verleiten. Die Richterin sollte sich mal in dem Bierzelt auf dem Dubliner Oktoberfest umsehen. Dort braucht es keine Wahrsagerin, um die Menschen zu merkwürdigem und unlogischem Verhalten zu animieren.

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Geboren 1954 in Berlin. 1976 bis 1977 Aufenthalt in Belfast als Deutschlehrer. 1984 nach 22 Semestern Studium an der Freien Universität Berlin Diplom als Wirtschaftspädagoge ohne Aussicht auf einen Job. Deshalb 1985 Umzug nach Dublin und erste Versuche als Irland-Korrespondent für die taz, zwei Jahre später auch für Großbritannien zuständig. Und dabei ist es bisher geblieben. Verfasser unzähliger Bücher und Reiseführer über Irland, England und Schottland. U.a.: „Irland. Tückische Insel“, „In Schlucken zwei Spechte“ (mit Harry Rowohlt), „Nichts gegen Iren“, „Der gläserne Trinker“, "Türzwerge schlägt man nicht", "Zocken mit Jesus" (alle Edition Tiamat), „Dublin Blues“ (Rotbuch), "Mein Irland" (Mare) etc. www.sotscheck.net

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kari

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