Die Wahrheit: Ungeheilte Seelen atmen auf

„Jede Zeitungslektüre wird zur Folter“: Endlich ist die Verletzung religiöser Gefühle als medizinisches Krankheitsbild anerkannt.

Bild: Jean La Fleur

Lange wurde sie von der Schulmedizin nicht ernstgenommen und zu Phantomschmerzen kleingeredet: die Verletzung religiöser Gefühle. Als wären die unvorstellbaren Schmerzen, die den Alltag der Betroffenen zur Hölle machen, nicht genug der Pein, klagen diese zusätzlich über Missachtung durch eine immer säkularer werdende Ärzteschaft und eine insgesamt gefühlskalte Gesellschaft, die nur Spott und Hohn für den imaginären Freund im Himmel übrighat.

Der bekennende Katholik Benedikt Erzmoser zum Beispiel leidet seit Jahrzehnten an religiöser Überempfindlichkeit. Die Krankheit brach aus, als seine Eltern ihm erzählten, dass der Weihnachtsmann nicht existierte. Ein Schock für den damals 17-Jährigen. Wochenlang lag er weinend im Bett, nur von heißer Schokolade und Enid-Blyton-Lektüre genährt. Zurück ins Leben holte ihn schließlich ein fachkundiger Exorzismus.

Aus der Bibel, die der diensthabende Exorzist ihm schenkte, schöpfte Erzmoser neue Kraft und fand in Gott einen idealen Weihnachtsmannersatz. Doch damit begann sein Leidensweg erst richtig. „Diese immer wiederkehrenden Berichte über pädophile Priester, diese geschmacklosen Witze, die alle Welt sich mit dem Heiland erlaubt, die heillose Aufklärung mit der man täglich konfrontiert wird, verletzten meine zart sprießenden religiösen Gefühle auf das barbarischste“, erzählt uns Erzmoser. „Jede Zeitungslektüre wird zur Folter.“

Zuerst manifestierte die religiöse Gefühlsverletzung sich in neuronalen Blähungen und mentalem Völlegefühl, die sich auch mit dem Absingen mehrerer Ave Maria nicht wirklich lindern ließen. Bald kamen emotionales Sodbrennen, Seelenkrebs und verbaler Durchfall hinzu, bis am Ende das geistige Immunsystem des heute 45-Jährigen komplett versagte. Der Schwerkranke verbringt seine Tage im Mutterhaus der Boromäerinnen in Landsberg, einer der wenigen spezialisierten Kliniken, die religiöse Gefühlsverletzung als Krankheit ernstnehmen und behandeln.

Santa Claus ist Gott

Hier versucht man seiner gemarterten Seele durch Gebet und das Vorführen von Enthauptungsvideos aus Saudi-Arabien wieder auf die Beine zu helfen. Ob die tückische Krankheit, die viele Patienten am Ende in sabberndes, fauchendes Gemüse verwandelt, durch die Behandlung einen benignen Verlauf nimmt, bleibt abzuwarten.

Von der Gesellschaft verlacht, von der Wissenschaft ignoriert, litten religiös Gefühlsverletzte lange für sich allein. Doch nun ist Wissenschaftlern der Universität Uppsala ein Durchbruch gelungen. Was unerschrockene Querdenker wie Matthias Matussek und Peter Hahne schon lange wussten, ist jetzt von dem renommierten Hysterieexperten Esben P. Blatt wissenschaftlich nachgewiesen worden: Religiöse Gefühlsverletzung ist keine Einbildung, sondern eine ernstzunehmende körperliche Krankheit.

Die Forschungsgruppe um Professor Blatt hat Hunderte an religiöser Gefühlsverletzung Verstorbene obduziert und stieß auf eine überraschende Gemeinsamkeit: Sie alle besitzen kein Gehirn. An der Stelle, wo bei Gesunden das Gehirn sitzt, befindet sich bei den Kranken eine Art Megadrüse, die von den Wissenschaftlern Große Tränendrüse (Glandula Lacrimae Christi) getauft wurde. Dieses hochkomplexe Gebilde beinhaltet weitere hypersensible Strukturen: die Intoleranzkruste (Corpus Henryk M. Broderii), der Sadismus-Cortex (Cortex inquisitionis), ein offensichtlich komplett nutzloser Wurmfortsatz namens christliches Abendland (Terra incognita), der mit einem übelriechenden braungrünen Schleim (Pegida) gefüllt ist, und das Schmerzensreich (Mater dolorosa), ein schwabbeliger Zellhaufen, der Unglückshormone ausschüttet, sobald irgendwo auf der Welt ein Gott, sein Stellvertreter oder sein Prophet gelästert wird.

Wenn in Brasilien ein Ungläubiger das Dogma der unbefleckten Empfängnis mit Füßen tritt, brechen auf der ganzen Welt Eiterbeulen voller Indignation auf. Wenn ein Unwissender in Wladiwostok die Unfehlbarkeit des Papstes infrage stellt, dann winden Tausende kranke Katholiken sich in Höllenqualen.

Die herkömmliche Pharmazie hat keine Mittel gegen religiöse Gefühlsverletzung im Angebot. Versuche mit Substanzen wie Paracetamol oder Nasivin verliefen erfolglos. Weihrauchdämpfe einatmen lindert die Schmerzen zumindest vorübergehend. Bessere Ergebnisse erzielten sich mit Verhaltenstherapie. Die Versuchsgläubigen, die man eine Ratte steinigen ließ, die angeblich Gott gelästert hatte, fühlten sich sofort erquickt.

Als man weitere Patienten „blasphemische“ Ratten einfangen, verstümmeln und erschießen, mit Weihwasser besprühen und auf Scheiterhaufen verbrennen ließ, führte dies zu einem raschen Verschwinden der morbiden Symptome. Offenbar fungieren Personen, die Religion kritisieren oder verspotten, als Krankheitserreger für religiöse Gefühlsverletzung. Sobald diese Erreger möglichst schmerzhaft, am besten mit dem Tod, bestraft werden, setzt der Gesundungsprozess ein. Die Wissenschaftler vermuten, dass der Sadismus-Cortex Antikörper produziert, welche die verletzten religiösen Gefühle wieder heile machen.

Jesus ist Comedy

Gut möglich, dass die Forschung auf dem richtigen Weg ist, denn bereits in der Antike wurde religiöse Gefühlsverletzung durch Vernichtung des Erregers erfolgreich geheilt. So wurde der beliebte jüdische Komiker Jesus Christus, der mit seinen Stand-up-Programmen („Der König der Juden“, „Der Sohn Gottes“, „Die Bergpredigt“) für verletzte heidnische Gefühle im römischen Imperium sorgte, aus medizinischen Gründen gekreuzigt, und kurz darauf hatten die Behörden die Lage wieder im Griff. Noch heute dient das Kreuz als Symbol für medizinische Berufe.

Die Krankheit ist konfessions- und länderübergreifend. Natürlich findet sich die Mehrheit der Fälle in den großen Weltreligionen. Aber auch Satanisten, Odinisten, Okkultisten, Anhänger des Wicca-Kults und sogar Elvis-Presley- und Harry-Potter-Fans oder Tolkien-Leser, denen die Vorstellung, dass Auenland nur eine Illusion ist, unvorstellbare Qualen bereitet, sind von der Krankheit betroffen.

Die Therapie variiert je nach Götzenkult. So geht es Satanisten schlagartig besser, wenn sie eine Kirche anzünden oder eine Jungfrau opfern dürfen. Odinisten gesunden, wenn man ihnen erlaubt, einen Ragnarök-Leugner zu verfemen und komplett im Moor zu versenken.

Atheismus ist Qual

Neuerdings wurden sogar Symptome bei orthodoxen Atheisten festgestellt. Die Betroffenen klagen über Juckreiz und andere allergische Symptome, wenn sie in die Nähe eines Gotteshauses kommen. Ob es sich hier um religiöse Gefühlsverletzung im klassischen Sinn handelt, wird von vielen Fachleuten jedoch angezweifelt. Möglicherweise handelt es sich um eine (nicht ganz unbegründete) Angstneurose.

Der Mehrheit der gesunden Gläubigen aller Konfessionen, also jener die im Besitz eines funktionierenden Gehirns sind, erschließt sich Lage der Kranken nicht. Während Gesunde mit Achselzucken oder schlimmstenfalls Ärger auf mehr oder weniger gute Witze über ihr Idol reagieren, erleiden religiös Gefühlsverletzte Schmerzen, die selbst der gewiefteste Inquisitor sich nicht, aber auch gar nicht ausdenken könnte.

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