Die Wahrheit: Studis in der Schusslinie

Der angemahnte Akademisierungswahn treibt merkwürdige Blüten und ruft so manchen Jäger des verlorenen Handwerks auf den Plan.

Und wieder wird ein Studienplatz frei. Bild: Reuters

Die Verlockungen für die Jugend heutzutage sind groß. Die Frage, die sich stelllt, ist: Beginne ich ein Sinologiestudium oder eine Lehre auf dem Bau? Hier winken jahrelange unbezahlte Praktika und Kurzsichtigkeit, dort Hungerlohn und Biertitten. So viele Möglichkeiten hatte noch keine Generation zuvor. Doch das Versprechen auf Autos und Weiber, das mit einem Bachelor-Abschluss einhergeht, lässt die Universitäten aus allen Nähten platzen, während das Handwerk mit leeren schwieligen Händen dasteht.

Der ehemalige Kulturstaatsminister Julian Nida-Rümelin sprang deshalb vor Kurzem dem Handwerk zur Seite und forderte ein Ende des „Akademisierungswahns“. Angesichts des klappernden Geräuschs ab Tempo 220 irgendwo links vorne in seinem SUV, für den er innerhalb von zwei Monaten keinen Termin in der Werkstatt bekommt, weil es nicht genügend Mechaniker gibt, müsse der Zustrom an die Universitäten sofort gestoppt werden. „Eine Gesellschaft, in der jeder eine akademische Karriere einschlägt und als ehemaliger Kulturstaatsminister ein, zwei Vorlesungen in der Woche hält, ist nicht überlebensfähig.“

Handwerkspräsident Hans Peter Wollseifer sieht die Sache ähnlich. Doch statt nur zu reden, packt er als Mann der Tat das Problem lieber direkt an. Seit Beginn des Wintersemesters steht er deshalb auf dem Dach des Schlosses in Münster, wo er ein Banner über dem darunter befindlichen Eingang zum Studierendensekretariat entrollt hat. „Handwerk hat goldenen Bodden – Akademicker haben kleine Schwenze!“ (sic!).

Wollseifer hat es sich zur Aufgabe gemacht, Abiturienten davon abzuhalten, sich an der Universität einzuschreiben. „Der Trend zu Abi und Studium ist fatal und trifft das Handwerk“, erklärt Wollseifer. „Wenn ich mit meinem SUV in der Werkstatt vorfahre und denen erkläre, dass ab Tempo 240 hinten am Auspuff irgendwas klappert, lachen die nur und sagen, ich solle in einem halben Jahr noch mal vorbeischauen.“

Als eine Gruppe junger Leute auf den Schlossplatz einbiegt, legt Wollsiefer mit seinem Jagdgewehr an, wartet, bis sie das Banner lesen können, und gibt dann ein paar Warnschüsse ab. Irritiert bleibt die Gruppe kurz stehen und setzt dann ihren Weg fort, allerdings schneller und im Zickzack. „Schauen Sie, wie unbeholfen der Dicke versucht, Haken zu schlagen! Bestimmt ein Informatiker.“ Erneut schießt Wollseifer, doch diesmal geht der vermeintliche Informatiker zu Boden. Wollseifer springt auf, reckt das Gewehr in die Höhe und schreit: „Was nützt dir dein Abitur jetzt, Fetti? Hättest du mal was Vernünftiges gelernt!“

Endlich auf Elitepartner.de

„Und anstatt hinter den Bäumen da vorne in Deckung zu gehen, rennen sie zu ihrem Kumpel und mir damit genau in die Schusslinie. Gedient haben die jedenfalls alle nicht“, stellt Wollseifer ernüchtert fest, bevor er die nächste Salve abfeuert, um dem deutschen Handwerk zu seinem Recht zu verhelfen. Das Argument, dass mit dieser Methode der Mangel an Lehrstellenbewerbern auch nicht behoben wird, lässt Wollseifer nicht gelten. „Das sind doch akademische Spitzfindigkeiten. Sind Sie etwa auch einer von denen?“

Ein weiterer Kämpfer für das Handwerk ist Dr. Günther Persig. In seiner psychiatrischen Praxis behandelt er fast nur noch Patienten, die von einem Universitätsstudium besessen sind. „Für einen Studienplatz der Neueren deutschen Literaturgeschichte“, erklärt er, „gehen diese Menschen über Leichen.“ Dr. Persig begann, sich auf Akademisierungswahn zu spezialisieren, als er bei Tempo 310 ein leises Klappern im Handschuhfach seines SUV bemerkte und ein Termin in der Werkstatt „vor Mai 2019 nicht realisierbar“ sei.

„Neun von zehn Akademisierungswahnsinnigen kann recht einfach geholfen werden“, erklärt Dr. Persig. „Das sind die, die nur studieren wollen, um sich endlich auf Elitepartner.de anmelden zu dürfen. Denen hilft meist schon Normaleleute.de. Die restlichen zehn Prozent sind langwierigere Fälle. Die kommen aus der Unterschicht und denken, ihnen sollte es mal besser gehen als ihren Eltern. Da erfolgt die Heilung erst, wenn sie meine Rechnungen nicht mehr bezahlen können und sich ein Studium dann sowieso erledigt hat.“

Doch Dr. Persig ist ob dieser Erfolge zwiegespalten. Auf der einen Seite lebt er gut von den neuen Patienten, andererseits, lacht er, könne er ironischerweise wohl in Zukunft auf Mechaniker verzichten und sich stattdessen einfach einen neuen SUV kaufen. „Und der“, so der Doktor, „wird ja schließlich von Ingenieuren gebaut.“

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