Die Wahrheit: Im Gedankenkleiderbad

Die aktuelle Sprachkritik: Fehler, Patzer und Verwechslungen. Irre Sprachbilder aus dem dunklen Kabinett des Journalismus.

Je schiefer die Sprachbilder, desto länger die Zunge des Sprechers. Bild: dpa

„Die Sprache ist das Kleid des Gedankens“, so in etwa soll es vor hundert oder zweihundert oder noch mehr Jahren ein Schriftsteller gesagt haben. Leider fehlt die Zeit, um nachzuprüfen, weil die Maxime „Sicherheit vor Schnelligkeit“ längst nicht mehr gilt, sondern das Gegenteil. Das hohe Tempo, das im Journalismus herrscht, hat allerdings einen Vorteil: Viele durch die Terminhatz bedingte Fehler, Irrtümer und Ungenauigkeiten werden von den Lesern bei der hastigen Lektüre nicht bemerkt oder rasch vergessen. Es hat aber auch einen Nachteil: Einige Patzer werden bemerkt und in einer Glosse festgehalten, um „immer nicht“ vergessen zu werden.

Beispielsweise schrieb die taz vor einiger Zeit über die Proteste gegen ein brutales Vorgehen der Polizei in Frankfurt am Main: „Unterstützt wurden die Demonstranten von dem Kabarettisten Urban Priol, der Zustände ,wie in Bayern‘ widmete“ – womit dem Verfasser in der Eile ein Wort in den Bericht rutschte, das nur so ähnlich klingt wie „witterte“.

In den Hohberg Nachrichten führte eine solche Verwechslung zum Kannibalismus, ja zur Autophagie des Bürgermeisters und dreier Gemeinderäte: Sie „fuhren auf einer Rikscha mit Wein, Baguette und Salami und verkosteten nicht nur die Zuschauer, sondern auch sich selbst.“

Mitunter missverständlich wird „für“ verwendet

Harmloser, dafür rätselhaft ging es in der Bremen-Ausgabe der taz zu, als sich an der Universität „52.000 Studierende auf 7.400 Plätze beworben“ hatten – nur warum, wenn sie bereits studieren, wie es ausdrücklich heißt? Studenten und Studienbewerber stehen sich immerhin nahe. Aber im hektischen Redaktionsalltag kann sich der Sinn schon mal ins Gegenteil verkehren: „Tatsächlich war die Wirkung der Langspielplatte auf das, was erst Jahrzehnte später ’Popkultur‘ genannt wurde, kaum zu unterschätzen“ – sie war also gleich null?! „Wir Ureinwohner Amerikas haben dem Fortschritt nie im Wege gestanden. Das wird uns oft vorgeworfen.“ Nicht eher das Gegenteil? Und wenn die Regierung „verfügt, dass Fernbusse bis Ende 2019 barrierefrei sein müssen“ (alle drei Zitate: taz) – müssen sie es ab 2020 also nicht mehr sein?

Der Sinn erschließt sich aus dem Zusammenhang, aber festzuhalten bleibt, dass die Präposition „bis“ häufig in einer janushaften Weise verwendet wird – und damit in einer Reihe steht wie das Verb „sanktionieren“, das sowohl „bestrafen“ als auch „gutheißen“ bedeuten kann.

Nicht nur doppeldeutig und mitunter missverständlich, sondern falsch wird die Präposition „für“ verwendet. Herauskommt im Arte-Magazin die Frage: „Wer hätte gedacht, dass es der Seeotter war, für den Russland Alaska besiedelte?“ Niemand, tat es Russland doch im Gegenteil wegen des Seeotters; sein Fell war es, dessentwegen die russischen Eroberer kamen.

Widersinnige Wendungen wie „zunehmend weniger“ oder „wahrscheinlich sicher“ sind so alltäglich geworden, dass man sie wohl nicht mehr nachweisen muss – die „unglaubliche Glaubwürdigkeit“ aber schon: 3sat, „Kulturzeit“. 3sat versteht sich als Bildungskanal, aber paradoxe Sätze wie „Das kann sein sicheres Ende sein“ hört man auch dort.

Besser als die eben erwähnten Seeotter hatten es, wie die taz weiß, die Papua auf Neuguinea: „Bevor er keinen Schädel eines Gegners ’erobert‘ hatte, galt kein Mann als Erwachsener.“ Also wie bei uns, wo Mord und Totschlag seit 1945 ebenfalls keine Voraussetzung dafür sind!

Doch apropos Mord: „Das KZ Mißler war Ort schlimmer Misshandlungen durch SA und SS. Nun soll ein Wohnpark so heißen“, wird in der taz berichtet. Darf heutzutage wirklich eine Wohnsiedlung „KZ Mißler“ heißen? Da hat der Autor, der in Gedanken das „KZ“ im neuen Namen getilgt hatte, wohl zu kurz gedacht.

Mensch und Maschine wachsen zusammen

Irgendwas zu kurz geraten ist auch im folgenden Satz, demzufolge „Nigeria die Sezession Südostnigerias unter dem Namen Biafra durch Aushungern gewann“ (na klar: taz), was dummerweise wieder aufs Gegenteil des Gemeinten hinausläuft, weil Nigeria im Sezessionskrieg 1970 die Abspaltung Biafras verhinderte.

Mensch und Maschine wachsen zusammen, das hört und liest man allenthalben. In der Sprache, wo sich die Leute bei einer Firma „verdingen“ oder Philologen einen Dichter zum „Gegenstand“ ihrer Forschung machen, keine unbekannte Erscheinung. Gleichwohl sind Person und Personalie, Mensch und Sache auseinanderzuhalten, sonst ertrinkt der neue Hauptstadtbüroleiter des Spiegels, dessen Ernennung umstritten war: „Vielleicht hat Blome tatsächlich gehofft, dass er in diesem Gewimmel [anderer, wichtigerer Themen, d. Red.] untergeht.“ Und wenn die taz über ein Theaterstück schreibt: „Der Pseudonym-Autor einzlkind hat mit ’Gretchen‘ eine extravagante Dramaqueen im Zwangsexil geschaffen“ – dann geraten dank der Anführungszeichen Theaterstück und Hauptperson durcheinander. Aber korrekte Zeichensetzung wäre ein eigenes Thema.

Übrigens: Der Satz „Die Sprache ist die Kleidung der Gedanken“ stammt von dem englischen Schriftsteller Samuel Johnson (gest. 1784).

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kari

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