Die Wahrheit: Beim Schwager vorn

Was die öffentliche Personenbeförderung angeht, muss es an dieser Stelle endlich zu einer Eloge auf den Postbus kommen.

Und ab geht die Post: Walter Scheel predigt seit Jahrzehnten die Vorzüge des gelben Wagens. Bild: Norbert Försterling/dpa

Seit vor einem Jahr das Monopol der Bahn auf Fernbusse gefallen ist, brummen Dutzende neuer Fuhrunternehmen durchs Land. Der Beste davon aber ist der ADAC-Postbus, und er ist der ausgesuchte Champion, wenn es darum geht, die Deutsche Bahn für immer in den Staub zu treten. Denn wo man für den ICE Frankfurt–Berlin und retour inzwischen knapp 400 Euro bezahlt, was grob der Kreditrate für einen Kleinwagen entspricht, kostet dieselbe Fahrt mit dem Postbus nicht mal ein Zehntel davon.

Was für Menschen sind nun im Postbus unterwegs? Die besten natürlich! Nicht dieses verhetzte, in sündhaft hässliche Windjacken gewobene Business- und Funktionärspack der Bahnkunden, sondern kernige Gestalten. Da streift uns der Blick einer geheimnisvollen Schönen, schwarze Glutaugen funkeln durch den Schlitz ihrer Burka, und der Ehemann nebendran funkelt zünftig mit. Da wollen Thüringer Gothic-Damen nach Leipzig, sich mit Gothic-Boys paaren, und schimpfen wie die Waschweiber, wenn ihre perfekt aufgerüschten Reifröcke nicht durch den Gang passen.

Da schläft ein schmächtiger junger Türke ein, bettet seinen Kopf unwillkürlich auf der Schulter eines bulligen „Freiwild“-Fans – der ihn für diesmal sanft gewähren lässt. Es herrscht ein friedliches Durcheinander, Lebenswelten verheddern sich heillos, und wo man in der Bahn aus Gepäckstücken Burgen baut, sich hinter Laptops verbarrikadiert und auch sonst rege Geschäftigkeit simuliert, um nur keinen Außeneinflüssen ausgesetzt zu sein, zwingt der Postbus zur Reflexion, und ja, auch zur Solidarität.

Die Herrschaften, die die bequemen Sitze nächst der Toilette gewählt haben, warnen mit launigen Sprüchen, wenn diese gerade besetzt ist, verwickeln den Wartenden in einen amüsanten Plausch. Sie sind zu spät am Busbahnhof? Kein Problem! Bei vielen Linien wartet der Fahrer noch ein Weilchen, wenn ein Fahrgast nicht rechtzeitig kommt, ruft ihn eventuell auf dem Handy an: „Wie, Sie fahren jetzt doch mit der Mitfahrtzentrale? Na, Sie sind mir ja einer. Gute Fahrt!“ Herzlichkeit und Menschlichkeit sind erste Einstellungsvoraussetzungen für einen Postbusfahrer.

Internet für alle

Dann dieses: Im Postbus gibt es WLAN. Einfach so, ständig, eine Selbstverständlichkeit im 21. Jahrhundert. Die Bahn hingegen hat sich vor Jahren dazu entschlossen, mit dem Scientology-Ableger „Deutsche Telekom“ zusammenzuarbeiten, was bedeutet, dass man nur als operierender Thetan der achten Stufe Internet erhält, und auch dann nur zu unverschämten Konditionen. Und nicht nur das: Im Postbus gibt’s auch einen Medienserver, von dem man sich handverlesene Kino-Blockbuster, Musik und Hörbücher herunterladen kann, zusammengestellt von einem Menschen mit Geschmack, der uns unter drei Folgen Harry Potter auch den neuesten Woody Allen gemischt hat, auf dass sich unser Verstand weite und unsere Herzen größer werden.

Und weht uns da nicht ein Hauch deutscher Klassik an, schmeckt’s da nicht nach einem schöneren Gestern? Goethe, Schiller, Mozart, Weyerstraß, alle fuhren sie mit der Postkutsche durchs Land, direkte Vorfahrin der Postbusse. Hei, wie das rumpelte! Fünfzehn Stunden von Berlin nach Spandau, achtzig Tage von Wien nach Bratislava – ein dröges Einerlei, unterbrochen nur durch Raubüberfälle oder weinende Kinder auf dem Rücksitz. Alternativen gab’s keine, und war vor Weimar plötzlich Krieg oder bekamen die Pferde die Franzosenpest, ging einfach nichts mehr. Genug Zeit für große Ideen! Haben wir dieser Monotonie, dieser entsetzlichen Langeweile nicht die wunderbarsten Werke der schönen Künste zu verdanken?

Gelebter Proletkult

Tritt vielleicht der Postbus auch dieses geistige Erbe an? Wer weiß, vielleicht hockt da neben uns im Schalensitz, hingelümmelt in Tortillakrümeln, ein neuer Dante, ein neuer Danton? Denken wir auch an die Romantik der amerikanischen Überlandbusse, der Greyhounds, hervorgegangen aus einem Fahrdienst für Bergleute, verewigt in zahllosen Schnulzballaden. Busfahren ist gelebter Proletkult, sogar antifaschistisch, denn Bahnzwang respektive Busverbot kamen natürlich von den Nazis, und das Erbe der Nazis ist bei der Bahn überall mit Händen zu greifen.

Fahrt mit dem Postbus, Leute! Lest das gute Bordmagazin, wo Hans Zippert eine Kolumne hat und wir von den überspannten Sportlerporträts und scheußlichen Krimi-Vorabdrucken des DB-Magazins Mobil verschont bleiben. Lauscht den guten Witzen des Busfahrers, nickt ihm anerkennend zu, wenn er euch im Stau raus zum Rauchen lässt.

Fühlt euch jedes Mal wie auf der Klassenfahrt, werdet noch mal 16 Jahre alt, legt euch mit dem komplett faschistoiden Junggesellenabschied aus dem Vordertaunus an und lasst euch von den übrigen Fahrgästen applaudieren, wenn ihr die besoffenen Provinztrottel niederbrüllt. Und tut all dies in dem Wissen, dass jede Fahrt mit dem Postbus eine knallharte Ohrfeige ins feiste Face von Bahnchef Grube ist!

Die Wahrheit auf taz.de

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

ist die einzige Satire- und Humorseite einer Tageszeitung weltweit. Sie hat den ©Tom. Und drei Grundsätze.

kari

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.