Die Wahrheit: Fakten? Nicht mit uns

Eine Berliner PR-Agentur schreibt ausschließlich Erfolgsgeschichte: History Repainting ist ihr Name.

History repainting: Auch die WK 1-Schlacht bei Tannenberg endete unentschieden und nur mit leichten Blechschäden. Bild: Reuters

„Es gibt eben dieses Bedürfnis. Und wo ein Bedürfnis ist, da gibt es auch einen Anbieter. Und das sind wir!“ So fasst Markus Hall den Erfolg seiner Agentur zusammen. Zufrieden dreht er sich mit seinem Ledersessel in einem Büro in Berlin-Friedrichshain, wo er sich mit seinen Mitstreitern ein 200-Quadratmeter-Domizil teilt. „Natürlich ist nach dem Weltmeisterschaftstitel das Interesse noch gestiegen. Fußballweltmeisterschaften sind ja immer ein unglaublicher Durchlauferhitzer für unser kleines Unternehmen.“

Was Markus Hall so bescheiden „unser kleines Unternehmen“ nennt, ist tatsächlich eine der größten Erfolgsgeschichten der jüngeren deutschen PR-Geschichte. Angefangen hatte alles mit einem verlorenen Fußballspiel. Als 2006 die deutsche Nationalelf im Halbfinale gegen Italien den Kürzeren zieht, sitzt tags darauf Hall in einem Biergarten. „Da haben alle dauernd Sachen gesagt, wie: ’Aber wenn der da nicht …‘, ’Wenn das nicht passiert wäre, dann hätte der doch …‘ oder ’Wir hätten einfach ganz anders reagieren müssen …‘ Plötzlich macht es ’Bing!‘ in meinem Kopf und ich hab mich gefragt, wie viele Menschen in unserem Land jetzt gerade haargenau dasselbe Gespräch führen.“

Noch am selben Abend stellt Hall einen alternativen Spielbericht auf seine Website: Detailliert, packend, griffig formuliert – und mit einem günstigeren Ausgang des Spiels. In seiner Version siegt Deutschland 3:2 und steht im Finale.

„Die Resonanz war riesig!“, freut sich Markus Hall noch heute. „Der Artikel verbreitete sich wie ein Lauffeuer.“ Auch die Beauftragte für Öffentlichkeitsarbeit der Gemeinde Leberdingen, nahe der bayerisch-baden-württembergischen Grenze, wird auf Hall aufmerksam und kontaktiert ihn. Die Dame muss 2007 die Veranstaltungsreihe „1.000 Jahre Leberdingen“ ausrichten und hierbei darf ein historischer Rückblick natürlich nicht fehlen. Dummerweise muss darin auch die „Mordnacht von Meuchlingen“ erwähnt werden: Im Dreißigjährigen Krieg hatten die Leberdinger das ohnehin schwer in Mitleidenschaft gezogene Nachbarstädtchen Meuchlingen nach dem Abzug der Schweden noch einmal gebrandschatzt und zerstört. In Meuchlingen kennt auch 300 Jahre später jeder die Geschichte. Die Leberdinger dagegen wollen lieber nicht daran erinnert werden. Was also tun?

„Ich habe mich durch die Stadtchroniken gelesen, um einen Grund für dieses Gemetzel zu finden. Aber es gab keinen. Also hab ich einen erfunden.“ Die „neuesten Forschungsergebnisse“, die Markus Hall in der Broschüre „1.000 Jahre Leberdingen“ präsentiert, lassen den Blutrausch plötzlich als Ausbruch gerechten Zornes erscheinen: Hall erzählt von zwölf jungen Frauen und Männern, die sich eine Woche vor dem Massaker auf Wallfahrt nach Rom befinden und auf dem Meuchlinger Marktplatz überfallen und gelyncht werden. „Die sollen mir erst mal beweisen, dass das nicht passiert ist. Da bei der Mordnacht sowohl das Rathaus als auch die Kirche samt deren Amtsbüchern niedergebrannt worden sind, war es für die Meuchlinger natürlich unmöglich, einen Gegenbeweis zu erbringen“, merkt Hall schelmisch grinsend an.

Die Leberdinger sind hoch zufrieden mit dem Geschichtsschreiber und empfehlen ihn weiter. „Dann ging es Schritt für Schritt. Zuerst kleinere Kommunen, dann Landkreise, kreisfreie Städte, aber auch Unternehmen und öffentliche Institutionen. Letztlich hat jeder irgendwo Dreck am Stecken. Aber jeder hat auch irgendwann mal Geburtstag und möchte dann zufrieden zurückschauen können. Und damit das auch reibungslos klappt, dafür gibt es uns.“

History Repainting nennt sich seine Agentur heute, inspiriert durch einen alten Hit von Shirley Bassey und den Propellerheads. Sie kann sich vor Aufträgen kaum erwehren. „Unser Personalaufwand steigt. Am Anfang dachte ich noch, ich müsste Historiker einstellen. Aber das war ein Fehler. Die wollten immer einen Quellennachweis! Mit solchen Korinthenkackern kann man nicht arbeiten.“

Heute rekrutiert Hall seine Mitarbeiter vor allem unter Publizistikstudenten, Werbetextern und arbeitslosen Schauspielern. Aber auch ein ehemaliger Stasi-Offizier und eine pensionierte Sekretärin des Verfassungsschutzes sind mit im Boot. Überhaupt sei 2014 laut Hall regelrecht „Goldgräberstimmung“ ausgebrochen: „100 Jahre Erstes Weltkrieg, 75 Jahre Zweiter Weltkrieg, 70 Jahre Stauffenberg, 25 Jahre Mauerfall. Da wollen sich sehr, sehr viele ins rechte Licht rücken.“

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