Die Wahrheit: Der Sprache sein Genus

Die Fixierung aufs Untenrum in der Sprache entspricht zwar dem sexualisierten Zeitgeist, aber der/die/das Schreibende kämpft oft mit Durcheinander/innen.

Mann, Frau, Mensch – das ist alles so ermüdend. Bild: imago/steinach

Dass es mit den Geschlechtern nicht so eindeutig ist, dürfte spätestens seit dem 1. November 2013 eine Binsenweisheit sein. Ihnen auch in der Sprache Gerechtigkeit widerfahren zu lassen, scheint nahezu unmöglich, zumal hier weit über die bloße Feminisierung des patriarchalisch geprägten Deutsch hinauszugehen wäre.

Doppelformen wie die Rede von den „Lesern und Leserinnen“ dieser Glosse oder der Gebrauch des Binnen-I à la „LeserInnen“ zeigen ja nur zwei Geschlechter an, ebenso die behördenhafte Schreibweise „Leser/innen“, deren Schrägstrich genau genommen eine andere Intonation erzwingt: Gewöhnlich wird nach einem Schrägstrich zu einem neuen Wort angesetzt, das hier abwegigerweise „innen“ lauten würde.

Genauso wenig hilft der ausschließliche Gebrauch des Femininums, weil die Behauptung, in der Form „Leserinnen“ seien die „Leser“ enthalten, auf der bekannten Verwechslung von Genus und Sexus beruht. (Setzte man beides radikal in eins, wäre nur der Mann ein Mensch und die Person immer eine Frau. Wer’s mag!) Nichtsdestoweniger beschloss die Universität Leipzig unlängst, im Plural nurmehr weibliche Amtsbezeichnungen zu verwenden; ein Experiment, dem ein löblicher moralischer Antrieb zugrunde liegt, das jedoch kaum wissenschaftlichem Anspruch genügt.

Wie auch immer: Die Schwierigkeiten wären sowieso nicht behoben, wenn Männlein und Weiblein sprachlich ausgewogen zum Vorschein kämen, da es in der Realität mehr als zwei unterscheidbare Geschlechter gibt; ein Faktum, dem das neue Personenstandsgesetz Rechnung trägt. Und die Sprache? Das Deutsche verfügt zwar über ein drittes Genus, so dass man, frau und was auch immer das Neutrum gebrauchen könnte. Das schlug, nicht ganz im Ernst, einst die Linguistin Luise Pusch vor: „das Leser“. Im Plural „die Leser“, so Pusch, wären sowohl Feminines („die“) wie Maskulines („Leser“) vertreten. Im Klartext: wieder nur zwei Geschlechter.

Die Semantik spielt nicht richtig mit

Bessere Chancen, liebes Leser, hat das Präsenspartizip. Im Sprachgebrauch mancher Hochschulen, die ja keine Studenten mehr haben, sondern Studierende, existiert es schon seit der Weimarer Republik. Das Partizip klingt geschlechtergerechter, doch spielt die Semantik nicht richtig mit. Das Präsens bezeichnet eine Tätigkeit, die, liebe Lesende, in diesem Augenblick ausgeübt wird; es soll aber Studierende geben, die nicht 24 Stunden am Tag büffeln.

Um den Widerspruch deutlicher zu machen, sei die neue Straßenverkehrsordnung herangezogen: Dort hat der Gesetzgeber oder die Gesetzgeberin, vielleicht auch das Gesetzgebende bzw. Gesetz Gebende die Radfahrer und Fußgänger in Rad Fahrende und zu Fuß Gehende verwandelt. Rad fahrende Studierende aber sind praktisch ein Ding der Unmöglichkeit, ausgenommen einzelne Sportstudenten, pardon: Sport Studierende.

Eine andere, neuere Möglichkeit ist der Unterstrich, liebe Leser_innen; doch bleibt die Frage, ob jene, die eben nicht in das Muster männlich/weiblich passen, sich als Leerstelle diskriminiert sehen wollen. Auch dies ist also ebenso wenig der „König_innenweg“ (taz) wie das Sternchen, liebe Leser*innen, auch wenn es wenigstens nicht gelb ist.

Was richtig und falsch, weiß bald keineR(s) mehr. Wenn die taz bittet: „Wählen Sie IhreN HeldIn“ – ist dann auf einen männlichen „Held“ zu schließen, der um sein Akkusativ-Schwänzchen „en“ beschnitten ist? Bedeutet „Ottilie NormalbahnfahrerIn“ (dito: taz), dass der männliche Normalbahnfahrer ebenfalls Ottilie heißt? Handelt es sich um eineN Tranvestiti/en, wenn das ARTE Magazin in der Inhaltsangabe eines Films schreibt, ein „einflussreicher Banker“ verliebe sich in „Sonja, dessen Mann für ihn arbeitet“? Bzw. liegt ein(e) Transsexuelle(r) vor, wenn der Spiegel in einer Rezension „den früh verstorbenen Augusta Ada Byron, die Tochter des Poeten Lord Byron“ erwähnt?

Gerechtigkeit sucht sich seinen Weg

Ja, der Mensch ist wesentlich ihre Sprache! Die Unklarheit bei der Zuschreibung des Geschlechts spiegelt sich deshalb grammatikalisch wider: Die taz, die schon „zur Feier des neuen iranischen Jahrs, der am Frühlingsanfang begonnen hat“, was durcheinanderbringt, kann in Charlotte Roches „Schoßgebeten“ auch „einen Roman über eine Herkunft und seine Gefühlserbschaften erkennen“.

Die VG Wort teilt mit: „Die Deutsche Literaturkonferenz verweist auf seine seit Langem vorliegenden Vorschläge“, und die Hannoversche Allgemeine schreibt über Marseille: „Die alte französische Hafenstadt putzt sich heraus, behält aber seinen alten Charme“; das ZDF weiß: „Kunst hat eben seinen Preis“, und der WDR videotextet: „Korruption sucht sich seinen Weg“.

So sucht auch sprachliche Gerechtigkeit sich seinen Weg. Indes: Die Fixierung aufs Untenrum in der Sprache entspricht zwar dem sexualisierten Zeitgeist. Doch müssten nicht auch Formen entwickelt werden, um Schwarze, Behinderte, Arbeitslose, Ausländer, Junge, Kleine, Dicke, Dumme usw. sprachlich sichtbar zu machen? Mit weniger sollte mensch sich nicht zufriedengeben. Gerechtigkeit hat seinen Preis, meint der dies geschrieben Habende.

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