Die Wahrheit: Der bunte Hooligan

Der geheimnisvolle Bruder Shakespeares. Eine historische Entdeckung.

Die einzige erhaltene, zeitgenössische Darstellung von Bobby Shakespeare aus der Spätrenaissance. Bild: reuters

Während wir vom großen William Shakespeare nur bruchstückhaft die Lebensdaten kennen und sich sogar die Frage stellt, ob er überhaupt gelebt hat oder nicht vielmehr ein völliger anderer, womöglich eine Frau war - liegt die Sache bei seinem jüngeren Halbbruder Robert Shakespeare völlig anders; und zwar viel, viel einfacher.

"Bobby", wie ihn alle riefen, war nämlich in Stratford-upon-Avon so etwas wie der "coloured dog", der bunte Hund in allen Gassen. Keine Uraufführung fand statt, ohne dass noch vor dem Hochrollen des Vorhangs Bobby auf die Bühne gesprungen wäre und dem Publikum den Stinkefinger zeigte. Jede Premierenkritik im Stratforder Guardian kam aus seiner Feder - und Voreingenommenheit gegenüber den Stücken seines Bruders kann man ihm dabei wahrlich nicht vorwerfen. Seine knappen Kommentare erschöpften sich weitgehend in den zwei Worten "Forget it!".

Wo andere aus ihrer Geheimdiensttätigkeit beim MI5 ein großes Geheimnis machten - wie etwa der Faust-Dichter Christopher Marlowe, hatte Bobby Shakespeare diesen Job sogar als Berufsbezeichnung auf seiner Visitenkarte stehen. So war es nicht verwunderlich, dass der stadtbekannte Hooligan bei den samstäglichen Fußballvergnügungen Narrenfreiheit hatte. Sein nächtlicher Aufenthalt in der Ausnüchterungszelle war eher freiwillig, denn einen festen Wohnsitz besaß er zeitlebens nicht.

Die meiste Zeit verbrachte er sowieso in den Häusern irgendwelcher Frauenzimmer. Die Damenwelt lag ihm nämlich genauso zu Füßen wie die Brauergilde der Stadt. Von den Brauern hatten gleich mehrere die Hoffnung in Bobby gesetzt, mal einen schmissigen Spruch für ihre Bierdeckelwerbung zu bekommen, und ihn mit üppigen Voraushonoraren bedacht. Allein es kam nichts - genauso wenig wie ein Sonett zustande, auf das seine Geliebten so sehnsüchtig hofften. Der einzig überlieferte Vierzeiler "The zebra in the zoo / is suffering from flu. / It sneezes and it blows / the tickling from his nose." entsprach so gar nicht den hochgesteckten Erwartungen - mal abgesehen von den noch fehlenden zehn Restzeilen für ein Vollsonett.

Bobby Shakespeare war eben ein Mann der Tat, der lieber "riots and revolutions" anzettelte - und das in wöchentlichen Abständen. Seine öffentlich vorgetragene Absicht, "dem Schweinehund von König demnächst eigenhändig die Rübe abzuhacken", verbreitete nur anfangs noch einen gewissen Schrecken. Die königlichen Leibwächter waren nämlich in der Folgezeit immer bestens auf die angedrohten Attacken vorbereitet. Ein eigens am Tower in London aufgestelltes Schild mit einem Zugangsplan zur königlichen Kemenate führten den Randalierer geradewegs in ein Verließ, aus dem er dann aber gegen Hinterlegung einer Kaution von sieben Pence genauso schnell wieder entlassen wurde, wie er hineingekommen war. Vermutlich auch deshalb, weil er bei jedem seiner Mordversuche in ein Bärenfell gehüllt war, das die Königliche Wache dann für neue Uniformmützen, die "Bobbys", verwendete.

Über Bobbys Beziehung zu William liegt indessen der ungelüftete Mantel der Geschichte. Und das ist wiederum nicht Bobby anzulasten. Denn neben seinen Schmähkritiken zu des Bruders Stücken ließ er auch an dessen geheimniskrämerischen Lebensstil kein gutes Haar. Er muss gewusst haben, dass William weder in Verona noch in Venedig gewesen war. Denn er mokierte sich heftig über die Unart, Theaterstücke in langweiligen Tourismusorten handeln zu lassen, wo doch in Stratford "eine ganz andere Art von Post abging". Möglicherweise hat es Bobby dem Bruder übel genommen, nicht auch selber mal die Hauptrolle in einem Stück des Bruders bekommen zu haben. Zwar hatte es Bobby eines Tages bei einer Bootsparty in einem Sturm sogar bis nach Dänemark verschlagen, aber daraus Andeutungen über sein Mitwirken in Williams Dramen herauszulesen, wagt die Literaturkritik bis heute nicht.

Am schillerndsten belegt ist übrigens Bobbys Ende. Nachdem er hochbetagt noch Zeuge des Aufstands von Oliver Cromwell gegen die Krone wurde, misstraute er den Aufständischen nicht nur, sondern hielt sie auch für unfähig, "so eine Sache durchzuziehen". Als schließlich König Karl I. in London hingerichtet werden sollte, mokierte sich Bobby Shakespeare über die Schärfe des Fallbeils, mit dem der Monarch enthauptet werden sollte. "Nie und nimmer klappt das so!", soll er höhnend ausgerufen haben und stellte sich, die eigenen Worte zu beweisen, als Testdelinquent zur Verfügung. Und genau an dieser Stelle hat sich der große Bobby, der immer alles besser wusste, dann doch einmal geirrt.

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