Die Wahrheit: Wir Kinder vom Imbiss Zoo

Geschmuggelte Rügenwalder und Bratfett-Infusionen: Ein erschütternder Bericht aus der Wurstszene verstört nachhaltig die Nation.

Wurstjunkie beim Setzen des vorfinalen, fettigen Schusses. Foto: dpa

„Wurstgenuss verstopft Ihren Arsch und kann zu Darmkrebs führen.“ – „Schinken tötet.“ – „Der Genuss von verarbeitetem roten Fleisch fügt Ihnen und den Menschen in Ihrer Umgebung erheblichen Schaden zu.“ Bereits kurz nach ihrer aufsehenerregenden Studie lässt die Weltgesundheitsorganisation WHO Fleischprodukte weltweit mit Warnhinweisen versehen.

Erst wird der Wurstverkauf an Minderjährige, dann die Wurstwerbung und später der Handel mit Wurst verboten. Schließlich werden auch Genuss, Besitz und Anbau sämtlicher Wurstwaren unter Strafe gestellt.

Es ist wie damals bei den Anti-Raucher-Gesetzen: In zuvor nicht für möglich gehaltenem Tempo etabliert sich der Wandel und sorgt für einen Erdrutsch bei den Einstellungen und Gepflogenheiten der Menschen. Das Konsumverhalten, die Kunst, die Kultur werden nachhaltig beeinflusst. Und natürlich auch die Literatur.

„Wir Kinder vom Imbiss Zoo“, heißt ein aufsehenerregender Buch-Report aus der Wurstszene um den Westberliner Fernbahnhof. Geschildert wird der unaufhaltsame Abstieg der 13-jährigen Sarah W. aus der Berliner Gropiusstadt hin zur hochgefährdeten Wurstkonsumentin. Zu Beginn des Verhängnisses steht eine Scheibe Bärchenwurst, die die kleine Sarah von der Wurstfachverkäuferin (ein aus heutiger Sicht unvorstellbarer Beruf) sogar mit Erlaubnis der eigenen Mutter (!) über den Tresen gereicht bekommt. Die Einstiegsdroge, noch lang vor dem Verbot.

Im Imbiss geht es nur um die Wurst

Über den Erwerb kleiner Speckstückchen (im Szenejargon: „halbes Halbes“) und sogenannter Kesselware landet sie schließlich am Imbiss Zoo. Dort geht es nur um die Wurst – jeder der Abhängigen ist sich selbst der Nächste. Prostitution (“mit oder ohne Darm?“) und Beschaffungskriminalität wie Senftütchenklau finanzieren die Sucht. Durch den Wurstmissbrauch geht es Sarah immer schlechter. Äußerlich proper, doch im Inneren ausgezehrt, droht ihr der sichere Krebstod. Sind keine Brat- oder Currywürste verfügbar oder reicht das Geld nicht, knallt sie sich mit „Berliner Schinken“ zu, einer noch gefährlicheren Mischung aus Pökelsalz und Schlachtresten.

Als Sarah W., die mit bürgerlichem Namen Sarah Wiener heißt, von einer Sondereinheit der WHO beim Kochen eines Knackers überrascht wird, entzieht sie sich ihrer Verhaftung durch einen Sprung aus dem Fenster im ersten Stock. Anschließend haust sie in einer WG, die von den Wurstjunkies nur als Fressraum genutzt wird. An der Wand klebt Ketchup, Wurstpellen werden vom Balkon geworfen und Fettspritzer landen einfach im Teppich – die Zustände sind unbeschreiblich.

Erst als Sarahs beste Freundin Babsi sich mit einer Überdosis Salami den „geräucherten Schuss“ setzt und auf der Toilette einer Fleischerei innerhalb von Sekunden an Darmkrebs stirbt, ist das wie ein Weckruf. „Sie war erst vierzehn“, titelt das Berliner-Boulevardblatt B.Z. über die bis dahin jüngste Wurst- und Schinkentote Deutschlands.

Ausrasten bei Gurkenscheiben

Sarah W. willigt nun endlich in einen Entzug ein. In einer von der Selbsthilfeorganisation „Veganon“ betriebenen Bio-Klinik unterzieht sie sich einer Obst-, Gemüse-, und Gesprächstherapie. Als Sarah die erste Gurkenscheibe sieht, verwüstet sie den Speisesaal und wird zu ihrer, aber auch zur allgemeinen Sicherheit ans Bett geschnallt. Eine hochprozentige Bratfett-Infusion verhindert die lebensbedrohlichen Begleiterscheinungen des Entzugs.

Kaum davon erholt, hat sie das erste Mal Ausgang und landet gleich wieder bei Konnopke, einem berüchtigten Wurstumschlagplatz in Prenzlauer Berg. Rücksichtslose Dealer handeln hier mit nitrat- und knorpelgestrecktem Zeug. Abgerissene Gestalten mit fettigen Mündern und bekleckerten Hosen streiten um fast leergezuzelte Wurstzipfel. Die meisten von ihnen sind vom Darmkrebs bereits sichtlich gezeichnet. An ihrem alten Treffpunkt, dem Imbiss Zoo, gibt es nach zahlreichen Razzien inzwischen nur noch Salat, doch die WHO führt einen aussichtslosen Kampf: Die Szene verschwindet ja nicht einfach, sie wird nur verdrängt.

Für eine Mitpatientin schmuggelt Sarah eine Rügenwalder in die Einrichtung. Die Methode ist so einfach wie genial: Kann es für eine Wurst ein unauffälligeres Versteck als das Rektum geben?

Noch am selben Tag stirbt die Mitpatientin: Magenkrebs, Darmkrebs – und die Wurst war wohl auch nicht mehr so richtig frisch. An dieser Stelle im Buch findet Sarah W. nun zu Gott. Eine reichlich hanebüchene Wendung – schade für ein bis dahin rasantes, realistisches und gut recherchiertes Buch.

Sarah W.: „Wir Kinder vom Imbiss Zoo“. Edition Fleischmann, 260 Gramm am Stück, 4,98 Euro

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