Die Wahrheit: Unter Löffeldenkern

Die Wahrheit-Reportage: Bei „Deutschlands größter Kochshow“ mit Johannes „Banänchen“ Kerner in der Frankfurt Festhalle.

Foto: Ari Plikat

Im Rahmen einer Anschafftour durch die Redaktionen der Schimmelkäseblättchen, die im Rhein-Main-Gebiet verteilt werden und die halbwegs seelisch gefestigte Menschen nicht mal als „Arschwisch“ (Rabelais) verwenden, hatte der Mann sein „Geheimrezept“ verraten: „Handkäs’ mit kleingeschnittenen Äpfelchen und Schnittlauch statt der Zwiebeln. Das ist eine tolle Variation von Handkäs’ mit Musik. Dazu geröstetes Schwarzbrot und ein Apfelsektchen.“

So redet dieser Mann, dieser unermüdlich unfassbare Mann, der vor zwanzig Jahren zum ersten Mal seine unvergleichlich sinn- und hirnlose Fernsehkochshow präsentierte oder moderierte oder halt einfach vollkommen besinnungslos durchzog. So redet er. Äpfelchen und Apfelsektchen. Birnchen und Birnenschnäpschen. Chiquitabanänchen und Chiquitabananenweißbierchen. So redet er. Kein Intendant, kein Generalstreik, keine Panzerdivision kann ihn aufhalten. So redet er, redet er, redet er.

Laut Pressemitteilung hat Johannes „Stößchen!“ Kerner Mütterchen Erde 123 Mal seine höllische sogenannte Kochshow aufbürden dürfen, bevor er an diesem Freitag im Januar des Jahres 2016 in die Frankfurter Festhalle lud, zu „Deutschlands größter Kochshow“.

Phallus aus Pappmaché

Links doppelt mannshohe Salz- und Pfefferstreuer, ein bassingroßer Topf, rechts ein Haufen Plastik- oder Pappmachégemüse, aus dem ein meterlanger Karottenphallus emporsteigt, dazwischen der Küchentresen, an dem sich die sechs so beschrienen Spitzenköche Alexander Herrmann, Kolja Kleeberg, Johann Lafer, Nelson Müller, Cornelia Poletto und Alfons Schuhbeck einfinden werden, um eine Bühne zu entweihen, auf der Frank Zappa, Patti Smith, die Stones, Ritchie Blackmore, Neil Young standen. Und gleich wackelt und gackelt da vorne ein so schlimmer Mensch wie Johannes „Gutfried find’ ich gut“ Kerner umher.

„Stößchen!“, sagt Herr Weishaupt, der mir das eingebrockt hat, weil er im Internet auf einen Veranstaltungshinweis gestoßen war und meint, ich „als Kerner-Spezialist“ sei hier zuständig. Er prostet mir mit einem Plastikbierbecherchen zu. „Das wird ein groovy Abend! Gleich rockt der Papst im Kettenhemd, Alter! Da geht die Lutzi ab, das glaubst du aber! Das wird funzen!“

Ich hab in der Gerbermühle an der Stadtgrenze zu Offenbach, in der Goethe ausgiebig herumgelungert haben soll, mal ohne Probleme sechzehn Handkäs’ verräumt. Jetzt, an der Einlasskontrolle, ist mir bereits schlecht.

„Mir fummele heut net“, sagt die freundliche Dame, als wir zuvorkommend die Arme heben. Zwischen 48 und 80 Euro kostet die Karte an der Abendkasse. Eine junge Frau, die sich im Backshop mit Sektausschank verdingen muss, an dem das kopfamputierte Frankfurter Pack eintrudelt, grinst. „Da muss ich einen Tag für arbeiten.“ Auf dem Büchertisch liegt das druckfrische Kerner’sche Meisterwerk „Kocht! Am Herd mit den Besten der Besten“ aus. „Lesen Sie so was?“, frage ich die Verkäuferin. „Na ja, ich koche gern nach Lafer.“

Was ist das für eine Welt, in der so was stattfinden kann? Muss man sich da nicht die alte Leibniz’sche Theodizeefrage stellen? Oder muss man sich die Welt als Laboratorium vorstellen, in dem Gott oder wer auch immer erprobt, wie viel Unflat und Minder- und Untersinn hineinpasst?

Kurz nach acht marschieren die Top-notch-Köche unter Rumsbumsrockklängen, die an „We Will Rock You“ gemahnen, durch den bestuhlten Zuschauerraum irgendwie boxmäßig verhaltensgestört ein und klatschen die in der Nähe hockenden Lemuren ab. Zwei Meter vor mir stolziert „der einzige Sternekoch mit Pilotenschein“ herum. Schließlich er, Johannes „Ich liebe eine gute Dorade oder einen Loup de mer“ Kerner.

Mit 7.000 zahlenden Gästen hatte man gerechnet. 4.000 Pasta-Esel mögen es sein. Die Freikarten waren wie Sauerampferbier angeboten worden, freilich auch von unserem allerbesten öffentlich-rechtlichen Hessischen Rundfunk.

Triumph des Frohsinns

Johannes „Pasta ist toll“ Kerner legt dar, eine Kochshow sei „der letzte Ort, wo Anarchie noch möglich ist“. Dann zuckelt er los, entkorkt eine Flasche und kredenzt ausgewählten Zuschauern Champagner. Klatschen. „Gut, Sie überhaupt alle zu sehen. Es ist alles nicht geplant und geprobt.“ Klatschen.

Ein Tisch mit Zutaten wird auf die Bühne gezogen. Eine große „Euphoriekultur“ (Markus Söder) bricht aus, man klatscht. Schopenhauer, Nietzsche, Adorno, Marcuse? Helfen auch nicht weiter. „Ich weiß gar nicht mehr, wo mir der Kopf steht“ (Eichendorff, Taugenichts). Kein Ankommen gegen eine Welt der Kerner’schen Kategorielosigkeit. In der sich contentmäßig echt nichts mehr rührt. In der die unglaublichste Mischung aus Banalität, Leere und Konfektionsfrohsinn triumphiert. Was ausrichten gegen eine Massenrestgeistvernichtungswaffe wie Johannes B. Kerner?

Mario Kotaska ersetzt den unentschuldigt fehlenden Schleimer Schuhbeck und sagt: „Ne Zwiebel braucht jeder Koch.“ Frau Coletta hat sechs Kilo Steinbutt mitgebracht. Der selbsternannte „Afroschwabe“ Nelson Müller bereitet Monstermaultaschen vor. „Ach, kleiner Spaß!“ juchzt die Ranwanze Kerner.

Ein Sechs-Gänge-Menu wollen sie da oben auf der Bühne „zaubern“, an diesem „kunterbunten Abend mit Entertainment, Musik, Magie und verrückten Spektakeln“, bekundete Johannes „Es geht auch ganz ohne Fisch und Fleisch“ Kerner im Vorfeld. Jetzt entfährt diesem inkommensurablen TV-Tycoon, „die freundlichen und freundschaftlichen Gesichter überall“ im haferdummen Publikum stimmten ihn wahrlich grandios froh, nur um die dressierten Blödlinge und Bezirkstrottel sogleich anzublaffen: „Macht euch auch hinten beliebt! Wenn die Hinteren auch was haben wollen, müssen sie auch weiterklatschen!“

Auf dem Programm stand ja: die Herstellung des „größten und leckersten“ Kaiserschmarrens der Welt, aus 640 Eiern; die Anfertigung eines Riesenhamburgers, der mit einer Kettensäge portioniert und im Festhallenrund serviert werden sollte. Denn Demokratie heute heißt, Häppchen aus Kerners segnender Hand entgegenzunehmen.

Abbruch der Heimsuchung

Das philosophische Problem der Letztbegründung ist auf dreierlei Weise lös- oder abwendbar: durch einen Zirkelschluss, durch den infiniten Regress oder durch den dogmatischen Abbruch.

Die Frage, was das, was wir da sehen, angesichts des Verschwindens des häuslichen Kochens und der obwaltenden Naturvernichtung und Lebensmittelverschwendung zu bedeuten haben könnte, vermag ich nicht zu beantworten. Und, gewiss, vor den Lohn hat Gott die Fron gesetzt. Aber wie groß darf die Heimsuchung sein, die man sich in dieser Welt der Lafers, Kerners und anderer Löffeldenker aufzutischen hat?

Nach einer Stunde „ganz klar großer Unterhaltung“ (Kerner), nach harten 60 Minuten Hirnüberlebenstraining sind wir jedenfalls gegangen, bevor ich tatsächlich hätte vomieren müssen. Dogmatischer Abbruch.

Vor der Festhalle stießen wir auf einen Ordner. „Ich versteh’ die Leut auch nicht, warum die da hingehen“, sagte er. „Halten Sie durch!“ versetzten wir. Er: „Deshalb hab ich den Job hier draußen.“ Bisweilen ist es ein Glück, vor die Tür gesetzt worden zu sein.

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