Die Wahrheit: Honecker im Schwimmbad

Die Wahrheit-Enthüllungsstory: Wie ich einmal einen längst tot geglaubten Diktator beim sehr lebendigen Sporteln enttarnte.

Foto: Jean La Fleur

Vorgestern habe ich bei der Wassergymnastik Erich Honecker getroffen. „Ach“, sage ich zu meiner Frau, der Ingeborg, „das ist doch der Honecker“, aber ohne Brille sieht sie nicht gut, und deshalb konnte sie’s nicht sagen.

Als die Stunde zu Ende war und alle noch im Wasser geplaudert haben, bin ich hin zu ihm und hab gesagt: „Herr Honecker, was machen Sie denn hier?“ Der wollte allerdings nichts davon wissen. Kennt man ja: Diese Prominenten tun immer so, als ob sie’s nicht sind, wenn man sie drauf anspricht. Wollen ihre Ruhe haben. Kann man ja auch verstehen. Erst recht bei so einem ehemaligen Diktator. Aber ich hab nicht locker gelassen, hab sein Spiel natürlich gleich durchschaut. Ich also: „Sie hier und nicht in Chile? Auf Heimatbesuch, wie? Und dann gleich so sportlich! Respekt!“

„Aber wenn ich’s Ihnen doch sage, ich bin nicht Erich Honecker. Mein Name ist Grassner, Paul-Anton Grassner.“

Unbescholtener Mitbürger

Er will schon raus aus dem Wasser, mit einem Bein auf der Treppe, was ziemlich unhöflich ist, sich einfach so abzuwenden, wenn ich mit ihm rede, so schlimm ist es doch nun auch nicht, dass ich ihn erkannt habe, ist das nicht eh alles inzwischen verjährt? Wie auch immer, ich ihm also nach: „Was haben Sie denn? Schämen Sie sich immer noch wegen der DDR? Aber mir haben Sie doch nichts getan! Können wir uns nicht kurz unterhalten?“

Da dreht er sich um, guckt mir ganz scharf in die Augen, dass mir heiß und kalt wird, und zischt mich an, was mir einfiele, einem „unbescholtenen Mitbürger“ derart zuzusetzen. Er sei nicht Honecker – und damit gut. „Unbescholten, ha!“, rufe ich so laut, dass die ersten schon gucken. Ingeborg löst sich aus dem Gespräch mit Frau Franz und kommt an den Beckenrand gepaddelt.

„Walter, was ist denn los?“ – „Der Mann will nicht zugeben, dass er Erich Honecker ist!“ – „Vielleicht ist er’s ja wirklich nicht.“ – „Natürlich ist er es.“

Honecker ist inzwischen Richtung Dusche verschwunden. Ich ihm nach. So leicht gebe ich mich nicht geschlagen. Sehe schon die Schlagzeile der Lokalzeitung vor mir: „Rentner enttarnt Exdiktator im Schwimmbad“. Was heißt hier Lokalzeitung: Weltweit wird das Schlagzeilen machen.

Honecker steht bereits unter der Dusche und schäumt sich den Haarkranz ein.

„Herr Honecker!“

„Lassen Sie mich in Ruhe! Jedes Kind weiß doch, dass Erich Honecker seit Jahren tot ist!“ Hastig duscht er sich die Seife vom Körper und greift zum Handtuch.

Darauf hab ich nur gewartet. Natürlich wurde Honeckers Tod seinerzeit überall gemeldet. Ich hab das aber damals schon nicht geglaubt. Der wollte doch bloß unter falschem Namen untertauchen. Da lässt man ja gern mal jemanden „sterben“. Neuer Pass, neue Biografie, Kinderspiel. Die Verbindungen zum Geheimdienst wird er ja noch gehabt haben.

Ich kann mir ein triumphierendes Lächeln nicht verkneifen. „Ja, offiziell sind Sie tot. Aber inoffiziell stehen sie doch quicklebendig vor mir!“

Er unterbricht sein Haarerubbeln und sieht mich ungläubig an. „Sie sind ja völlig plemplem.“ Er schlingt sich das Handtuch um die Hüften und verlässt den Duschraum.

Ob er vielleicht dement ist? Er sieht zwar noch gut aus, das schon. Aber rein äußerlich merkt man einem Menschen das ja nicht an. Vielleicht weiß er einfach nicht mehr, dass er Honecker ist? Moment, wo hab ich das noch gelesen: Wenn demente Menschen Lieder aus ihrer Jugend hören, erleben sie manchmal einen klaren Moment. Vielleicht kann ich dem Mann seine Identität zurückgeben! Also los zum Spind, Sachen schnappen, Umkleide.

„Walter?“ Ingeborgs Stimme. „Wo bist du denn?“

„Ich ziehe mich schon um.“ Ich hab richtiggehend Herzklopfen, aber immerhin werde ich der ganzen Welt gleich die größte Enthüllung seit dem Kanzlerspion Günter Guillaume präsentieren. Hose. Unterhemd. Pullover. Socken. Schuhe, egal. Ich stürme raus.

Tuschelnde Badegäste

Und ja, da sitzt er. Fönt sich in aller Seelenruhe die Füße. Feierlich schreite ich auf ihn zu, baue mich neben ihm auf, hole tief Luft und hebe an: „Auferstanden aus Ruinen und der Zukunft zugewandt, lass uns dir zum Guten dienen, Deutschland einig Vater …“

Aua. Hat er mich wirklich gerade geohrfeigt?

„Ich rufe jetzt die Polizei.“

Aus einigen Kabinen lugen Köpfe. Tuscheln. Ingeborg kommt barfuß und im Unterhemd herbeigelaufen.

„Walter, was …?“

„Aber Herr Honecker …“

„Wie oft soll ich es denn noch sagen? I-c-h b-i-n n-i-c-h-t ­E-r-i-c-h H-o-n-e-c-k-e-r!“

Ingeborg hat inzwischen ihre Bluse an, aber falsch geknöpft.

Honecker greift zum Handy, wählt die 110. „Grassner mein Name. Ich rufe an, weil ich hartnäckig belästigt werde … Im Stadtbad … Danke … Ich warte im Foyer. Nein, es besteht keine Fluchtgefahr. Wiederhören.“

Kommt mir eigentlich gelegen. Die Beamten werden ihn unter Garantie erkennen.

Erstaunlich schnell ist die Streife da. Ich winke sie heran. „Hier, das ist Erich Honecker, der frühere …“

„Hören Sie endlich auf!“, fährt Honecker mich an. „Genau darum geht es“, sagt er zu den Beamten. „Dieser Mann behauptet steif und fest, ich wäre Erich ­Honecker!“

„Ist er es denn nicht?“, schaltet sich Ingeborg ein.

„Papiere bitte!“ Honecker und ich händigen den Streifenbeamten unsere Personalausweise aus. „Das besagt gar nichts“, rufe ich. „Alles gefälscht!“

„Ruhe bitte! Alle Umstehenden gehen bitte weiter. Das ist eine Routineüberprüfung.“

Klirrende Handschellen

Ein Handy klingelt. Der zweite Polizist redet, nickt, schielt zu Honecker hinüber, ja, ja, okay. Dann beendet er das Gespräch und zeigt seinem Kollegen etwas auf dem Bildschirm. Der schaut überrascht, setzt dann sein offizielles Polizistengesicht auf und sagt im Amtston zu Honecker: „Herr Erich Honecker, ich verhafte Sie wegen Dokumentenfälschung sowie wegen Korruption und Amtsmissbrauch in der DDR. Sie sind vorläufig festgenommen.“ Handschellen klirren. „Und Ihnen, Herr Gruber, danke für Ihren couragierten Einsatz.“ Er drückt mir die Hand. Die beiden verlassen mit dem gefesselten Honecker das Gebäude. Irgendwie tut er mir jetzt ein bisschen leid.

Ingeborg drückt mir erleichtert einen Kuss auf die Wange. „Und ich dachte schon, jetzt bist du total übergeschnappt!“

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