Die Wahrheit: Das radikale Klopfer-Komplott

Die Wahrheit-Ostergeschichte: Wie der Osterhase einmal renitent wurde und partout keine Eier verstecken wollte.

Illustration: Ari Plikat

Tobi fühlte sich, als hätte er Disteln gekotzt. Die tiefe Kerbe in seinem linken Löffel glühte vor Zorn. „Bote“, mümmelte er, „schon wieder Osterbote!“ Mit dem Märzwind flogen Krähen vorbei und keiften sich an, aber für Tobi klang es, als würden die Vögel ihn auslachen.

Es war ja auch lächerlich! Schon das fünfte Jahr in Folge sollte Tobi an die Front. So was hatte es in den letzten hundert Generationen nicht gegeben, soviel Lospech. Wie die Boten in den Jahren davor bestimmt worden waren, wusste Tobi nicht, die Aufzeichnungen waren bei irgendeiner verheerenden Katastrophe zerstört worden.

Die Stiftungsleitung, hatte Rita mit ihrem krausen grünen Lächeln gesagt, lasse ihm ausrichten, wie stolz, blablabla, ein Glück, von dem jeder junge Rammler und so weiter. Von wegen Glück, dachte Tobi. Obwohl die Sonne ihm den Pelz wärmte, fröstelte es ihn in seinem Elend und Selbstmitleid. Die Osterlotterie – Tobi verspürte wieder Brechreiz –, diese Auslosung war ein ganz faules Ei!

Beweisen ließ sich das leider nicht. Nur Mitglieder des Stiftungsdirektorats durften am Gründonnerstag um den Lostopf stehen und hineingreifen. Der alte Hessler (etwas wunderlich, seit er in einen Kessel mit Eierfarbe gefallen war). Netti Heer, die Mutter mit den meisten Würfen im Bau. Pfarrer Poth (dieser Schluckköttel). Und Rita – natürlich, Rita mit dem Petersilienlächeln! Rita Leponida, die sich immer so dicke tat mit ihrem Vater, dem Schweizer Bergkrauter. Rita, die dank ihrem feinen Papa seit fünf Jahren im Direktorat …

Tobi zitterte nicht mehr, er fror ein. Seit fünf Jahren! Und vor knapp sechs Jahren hatte er das Fräulein Leponida sitzen lassen (für eine ziemlich aufregende Zoo-Ausbrecherin). Das konnte er beweisen!

Tobi eilte zur „Knickhecke“. Dort spendierten die Stiftungsleiter den gelosten Osterboten nach alter Sitte einen Eierlikör, manchmal zwei. Tobi hatte vorhin glaubhaft Bauchschmerzen beklagt, um dem Ritual fernbleiben zu dürfen. Aber wollte er seinen Fall vorbringen, musste er nun dorthin. Einen Eierlikör könnte er außerdem gut brauchen.

Es ging hoch her in der „Knickhecke“, doch sobald Tobi eintrat, wurde es still. Die meisten guckten ihn neugierig, einige auch mitleidig an, und sie erkannten, dass dieser Rammler nicht zum Spaß da war. Nur der alte Hessler brabbelte weiter: „… ist auf Bildern zu sehen, wie die drei Hasen aus dem Morgenland den Herrn mit Eiern beschmei… Autsch!“ Pfarrer Poth hatte dem Alten in den Löffel gekniffen.

„Unser Held! Er kooommt trotz Aua zu uns! Du tapfrer Booote des bunten Eis!“, jodelte Mama Netti und sprang wuchtig auf ihn zu. Tobi wich im letzten Moment aus, stolperte über seine und mehrere andere lange Füße und landete auf einer stattlich gepolsterten Blume. Die Häsin, die dazu gehörte, kreischte auf und wirbelte herum: Es war Rita, diesmal ohne Petersilienlächeln.

Später erfuhr Tobi, dass er wie ein Tollwütiger auf sie eingebrüllt und mit den Vorderläufen gefuchtelt hatte, als wollte er Rita umbringen. Der Pfarrer war herbeigehoppelt, um ihn zu beruhigen, aber Tobi hatte nun Poth angeschrien: „Du Schluckköttel! Du Schluckköttel!“, immer wieder. Und dann war Tobi einfach umgefallen, mit ordentlich Schaum vorm Mäulchen. Poth, in Sorge um den Ruf der Osterboten im allgemeinen, hatte den Bewusstlosen sofort in den Pfarrbau verfrachtet und mit großen Löffelgesten die Schaulustigen verscheucht.

Tobi konnte sich an nichts erinnern und schämte sich halbtot, nachdem Poth ihm die Geschichte erzählt hatte. „Warum bloß hast du das getan, mein Sohn?“, fragte der Vater der Gemeinde. „Wegen Rita Leponida“, antwortete Tobi. „Sie will mir dieses kleine Techtelmechtel nicht verzeihen, sie will‘s mir heimzahlen. Aber Rita und ich waren doch praktisch noch Kinder, kein echtes Paar – wir hatten erst acht Würfe miteinander!“

Tobis Knopfaugen glänzten. „Sie weiß ganz genau, wie gern ich in der Osternacht frei hätte. Ums Feuer springen, Eierlikör schlürfen, mit den Zibben tanzen … Stattdessen krieche ich seit fünf Jahren in den Gärten herum und den Parks und verstecke diese bescheuerten Eier. Hier, schau!“, rief Tobi und zeigte auf die Kerbe in seinem Löffel. „Das hab ich mir beim dritten Mal geholt, an Natodraht. Ich hätte verbluten können! Rita hat sich wahrscheinlich darüber gefreut. Und wenn ich übermorgen draufgehe? Lachst du dann auch, Vater?“

Pfarrer Poth schüttelte den Kopf, dass die Löffel flappten. Und haute Tobi eine runter. „Zur Strafe für dein sündiges Gerede, dein Gejammer und deine hässlichen Verdächtigungen!“ Er jagte den Osterboten davon und begann laut zu beten, irgendwas mit Weihrauch und Möhre.

Die Hasen sammelten seltsame Dinge ein

Am Karfreitag hatte Tobi alle Pfoten voll zu tun. Er sammelte in den Äckern seltsame Dinge und auf den Wiesen Verbündete. Berni und Wuschel, zwei bis unten am Fluss bekannte Hallodris, machten sofort mit, Tommi und Hopper etwas später. Junge Hasen lieben es nämlich, Schaden anzurichten, nur fällt ihnen außerhalb der Salatsaison selten ein, wie.

Tobis Plan verhieß jedenfalls ungeheuer viel Schaden. Und weil die vier anderen Boten genauso wenig Lust hatten wie Tobi, nachts mit gefärbten Eiern durch die Gegend zu wetzen, dachten sie über weitere Folgen nicht nach. Nur Tobi, der in seiner Wut so klar sah wie nie, wusste, dass er das Ende des Osterhasentums an sich vorbereitete.

Am Karsamstagabend nahmen die fünf Verschwörer brav ihre Eierkörbe entgegen und banden sogar diese albernen Schleifen um den Hals, mit denen man sich überall verhedderte. Tobis linker Löffel zuckte heftig, doch Pfarrer Poth und Mama Netti, die alles überwachten, hatten sich etwas zu oft mit Kräuterschnaps „gestärkt“ und merkten nichts. Der Pfarrer lallte seinen Segen, und als die Osterboten gemessen davonhüpften, hörten sie noch lange Netti jodeln: „Ihr seid sooo liebe Bengel, solche Prachtrammler!“

Die Hasenbande platzierte die gefüllten Nester überall

Tobi führte die Bande zu seinem Versteck und übergab dort jedem einen großen Sack: „Hier, das ist das Wichtigste. Das sind die Osternester, in die ihr eure Eier ablegen müsst.“ Berni lugte in seinen Beutel: „Pfui Spinne!“ Tobi nickte grimmig und sagte: „Kaum zu glauben, wie viele tote Vögel überall rumliegen, wenn man erst mal anfängt zu suchen.“ Dann legten sie los, fünf Schatten in der Nacht, und Brandgeruch war in der Luft.

Sein letztes Nest platzierte Tobi in der Morgendämmerung vorm Stiftungsbau: eine Drossel, deren halbverwester Rest wie zum Brüten auf einem roten und einem grünen Ei lag. Er setzte sich – dreckverschmiert, zerkratzt, aber zufrieden – unter einen Forsythienstrauch und wartete auf Rita. Es dauerte nicht lange, bis in der Ferne Kinderschreie zu hören waren – immer mehr, immer näher, bald überall. Im Stiftungsbau raschelte es. Tobis linker Löffel bebte vor Aufregung.

Die Wahrheit auf taz.de

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

ist die einzige Satire- und Humorseite einer Tageszeitung weltweit. Sie hat den ©Tom. Und drei Grundsätze.

kari

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.