Die Wahrheit: Bitte ein Dutt!

Der Craft-Beer-Boom treibt immer seltsamere Blüten, wie ein Besuch in Berlins derzeit angesagtester Biermanufaktur beweist.

Eine Hand hält ein Glas Bier

Ehrgeizige Mikrobrauer suchen nach dem heiligen Gral des aromatisch Gehopften Foto: dpa

„Sie können die Augenbinden jetzt abnehmen“, hören wir eine tiefe, angenehm sonore Stimme, und nach der dreistündigen Autofahrt tun wir nichts lieber als das, auch wenn wir bereits ahnen, dass wir den Prenzlauer Berg in Berlin gar nicht verlassen haben. Wir stehen vor der derzeit angesagtesten Craft-Beer-Manufaktur der Hauptstadt und die Stimme gehört natürlich Stefan „The Dutt“ Duttlinger, dem „Meister der Maische“ („Craft durch Beer“ Ausgabe 9/16), der nun fast entschuldigend klingt, als er hinzufügt: „Sorry, aber das musste sein.“

„Angst vor Industriespionage?“, entfährt es uns und Duttlinger lächelt so breit, dass wir seine Grübchen unter dem gepflegten Vollbart erahnen können: „Ja, auch. Aber im Grunde hat mich die Serie „Narcos“ dazu inspiriert. Aber ich bin kein Netflix-Junkie“, stellt er schnell klar, fügt noch rascher hinzu: „Dazu habe ich auch gar keine Zeit. Ich habe ja immerhin ein Imperium zu führen.“

Nun ist es an uns, zu lächeln. Denn wir stehen inmitten von Duttlingers „Imperium“, das in Größe, Dekor und Geruch stark an eine Dorfkneipe erinnert: neben der wuchtigen Theke Tische mit rotkarierten Deckchen, an der Wand Jagdszenen in Öl, die Toilettentüren gekennzeichnet mit den nackten Kindern aus den „Liebe ist …“–Zeichnungen.

„Büro, Verköstigung, Ironie“, kommentiert The Dutt und zwinkert. Wir lachen höflich, wenden uns dann dem Herzstück des Duttlinger’schen Schaffens zu: den beiden kupfernen Braukesseln, die auf einem Podest geschäftig vor sich hin dampfen und gluckern.

Nur 2.500 handgefertigte Dutt-Flaschen befinden sich weltweit im Umlauf

Bevor wir eine Frage zur Produktion stellen können, ist der Meister uns schon wieder voraus: „Links entsteht das klassische Dutt, rechts unser neuestes Baby. Die genaue Rezeptur ist natürlich geheim.“

Nur kurzfristig dümmer

„Können Sie uns verraten, ob es ein Ale wird?“ – „Na, das wird sich zeigen, oder?“, antwortet der Shootingstar unter den Braumeistern. „Die Idee dazu kam mir jedenfalls, als die Trockenblumensträuße vom Gebälk in die Maische gefallen sind.“ Und da ist es schon wieder, das berühmte Duttlinger-Zwinkern, das als Metapher für das hier Gebraute dient: Man wird nicht schlau draus, aber zumindest nur kurzfristig dümmer.

„Herr Duttlinger, es gibt ja durchaus Kritik an Ihrer Preisgestaltung. 14 Euro für den halben Liter, wie rechtfertigen Sie das?“ Duttlinger zwinkert und weist auf eine steile Treppe, die hinter den Kesseln hinab führt: „Die Antwort befindet sich hinter dieser Tür. Folgen Sie mir!“

Nach kurzer, tiefer Ohnmacht erwachen wir wieder. „The Dutt“ beruhigt: „Keine Bange. Das sind nur die Dämpfe aus der Schleuse. Schauen Sie lieber das wahre Wunder!“ Der Zauberbrauer deutet auf die riesige, hellerleuchtete Halle, die sich vor uns erstreckt, und in der geschäftiges Treiben herrscht. In langen Reihen sitzen dort sehr jugendlich wirkende Arbeiter, die mit bloßen Händen Etiketten von Flaschen knibbeln: „Recycling ist bei uns kein leeres Versprechen. Und wir leben Inklusion“, erläutert Duttlinger, „Beschäftigung statt Ritalin ist das Motto, und die kleinen Hände vollbringen wirklich Großartiges. Nur auf diese Art wird aus jeder Flasche Dutt ein Unikat. Nur 2.500 dieser handgefertigten Schätze befinden sich weltweit im Umlauf.“ The Dutt streichelt zärtlich über den Hals einer Flasche: „Das ist zum Beispiel eine aus erster Serie. Ja, das ist die 0816. Oder Paloma, wie sie intern heißt. Ein Prachtstück.“

Reinheitsgebot, Schweinheitsgebot

Wir betrachten Paloma in den Händen ihres Schöpfers, vernehmen ein leicht borkiges Aroma, das ihrem Hals entströmt. Duttlinger zwinkert: „Um Ihrer Frage zuvorzukommen: Nein, natürlich spülen wir unsere Flaschen nach der Rücksendung durch den Kunden nicht heiß durch. Das gefährdet die Patina.“ Wir nicken verständnislos, erhaschen im Weitergehen einen Blick in die Rumpelecke, in der über verstaubten Fässern mit Totenkopfemblem die dänische Flagge hängt: „Tja, Reinheitsgebot, Schweinheitsgebot. Andere Länder sind da viel weiter. Europa wächst zwar zusammen, aber noch müssen wir tricksen“, kommentiert The Dutt. „Viel interessanter sind aber unsere Markenbotschafter, gleich hier.“

Er weist auf das Dutzend bärtiger Männer, das am Notausgang strammsteht. Alle salutieren stumm, als der Chef erklärt: „Ganz tolle Jungs. Je nach Einsatzgebiet stutzen wir die Bärte etwas kürzer oder verändern die Farbe ihrer Flanellhemden. In Asien wird ja eher der glatte Typ bevorzugt, da arbeiten wir noch dran.“ Alle Markenbotschafter zwinkern. The Dutt lacht:„Keine Sorge, wir klonen hier nicht. Das geschieht im Nebentrakt, haha! Jetzt vielleicht eine kleine Kostprobe? Trinken Sie, trinken Sie.“

Wir finden uns im Büro wieder, unter den Schreibtischen, liegend. Der Schmerz im Rücken ist stechend, aber er lässt nach, als wir aufstehen und uns gegenseitig die Kronkorken von den Rücken pulen. Einer glänzt, als sei er aus purem Gold. Stumm nicken wir uns zu, machen uns auf den Weg. Wir suchen einen tiefen Schlund, in den wir ihn werfen wollen.

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kari

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