Die Wahrheit: Murks mit Aua

Der Kalauer ist das schwarze Schaf unter den Witzen, das Schmuddelkind in der Familie der gepflegten Wortspiele. Eine Ehrenrettung tut not.

Zwei Schauspieler, ein Mann und eine Frau, schauen sich an

„Das fängt ja trist an, i solde gleich aufhören, weiterzulesen“​: Schon Nietzsche langweilte sich wohl heftig mit Wagners Partitur der tragisch Liebenden Foto: dpa

Obwohl an den meisten Romanen etwas auszusetzen ist, verfällt kein Literaturwissenschaftler auf die Idee, die ganze Gattung als minderwertig abzutun. Gründe – zu lang, Fehler im Handlungsaufbau, schlecht gezeichnete Charaktere, triviale Sprache und banaler Gehalt, also alles in allem mangelhaft – gäbe es genug.

Auch das Gedicht an sich, wenngleich nicht wenige belanglos, kunstfrei und wertlos sind, wird in den Definitionen der Philologen niemals abfällig beurteilt. Selbst das Drama, obwohl eine große Menge Murks sich auf der Theaterbühne angesammelt hat, wird von den Germanisten und ihren Fachverwandten nicht aus dem Reich des Schönen, Guten und Wahren ausgeschlossen. Sondern nur der Kalauer.

Der ist das schwarze Schaf unter den Witzen, das Schmuddelkind in der Familie der gepflegten, geistreichen Wortspiele. Er gilt als „fauler Wortwitz“ (Gero von Wilpert und ebenso Otto F. Best), wird „als albern gewertet“ (Metzler Literaturlexikon) und steht „vielleicht zu Recht für die niedrigste Form des Humors“ (der US-Amerikaner Jim Holt in seinem von Martin Hielscher übersetzten Büchlein „Kennen Sie den schon? Geschichte und Philosophie des Witzes“). „Kalauer sind sozusagen schlechte Wortspiele“, fasst Ralph Müller in seinem Werk über „Die Pointe“ die gängige Lehrmeinung zusammen.

Man kann sich billig damit trösten, dass Literaturwissenschaftler vom Kalauer so wenig verstehen wie von Romanen, Gedichten und Dramen. Die Beispiele, wenn sie welche anführen, sind jedenfalls danach: „eine Flasche in einem (Schnell-)Zuge austrinken“ lautet das Muster von einem Kalauer, mit dem das „Reallexikon der deutschen Literaturwissenschaft“ in die Mottenkiste greift.

Schweinigeln statt Schnäbeln

Wenig besser macht es Ralph Müller, der den betagten „Poeta Ka-Laureatus“ auf Lager hat. Und Jim Holt gibt diesen Kalauer zum Besten: „Als ein Englischprofessor Vladimir Nabokov von einer Nonne erzählte, die an einem seiner Seminare teilnahm und sich darüber beklagt hatte, dass zwei Studenten hinten im Seminarraum während einer Sitzung ,geschnäbelt' hätten, sagte Nabokov: ,Sie hätten sagen sollen: ,Schwester, seien Sie doch froh, dass sie nicht ,geferkelt‘ haben.'“ Dumm nur, dass das gar kein Kalauer ist, der auf der Klangähnlichkeit von Wörtern unterschiedlicher Bedeutung fußt, ja nicht mal ein Witz – dazu müsste es statt „geschnäbelt“ nämlich „geschweinigelt“ heißen.

Im 19. Jahrhundert waren Kalauer Mode. Die Humoristen hatten die Sprache als Spielfeld entdeckt, und die erstmals 1844 erschienenen Fliegenden Blätter wurden ihr Zentralorgan. Tief im 20. Jahrhundert dann schritt Robert Gernhardt zur fälligen Ehrenrettung: „Zu den wenig erfreulichen Erscheinungen unseres Kulturlebens gehört die Tatsache, dass der Kalauer, jene niedrigste Gattung des Witzes, auszusterben scheint“.

Derart hebt, schön paradox allgemeines Vorurteil und persönliche Wertschätzung verschmelzend, sein Beitrag „Der Kalauer und seine Wirkung auf die deutsche Geistesgeschichte“ an, in dem er behauptet, Walther von der Vogelweide habe seinen Rivalen Hartmann von Aue aufgefordert, sich „Hartmann von Aua“ zu nennen, weil in seinen Epen so viel geprügelt werde.

Während Immanuel Kant insofern in Schutz genommen wird, als er „keineswegs der Erfinder des Kanthakens ist, wie Herder einmal witzelte“, führt Gernhardt das Zerwürfnis zwischen Wagner und Nietzsche darauf zurück, dass Letzteren die Partitur von „Tristan und Isolde“ enttäuscht habe: „Das fängt ja trist an, i solde gleich aufhören, weiterzulesen.“

Herrlich unnütz

Das sind prächtige Wortwitze, die nicht unbedingt etwas über die Person oder die Sache, also Kants Rang beziehungsweise den der Epen oder der Oper, besagen. Das ist der springende Punkt: Gerade was am Kalauer verdammt wird, ist, was seine Qualität ausmacht. Er befreit den Witz von der Pflicht zur mit Anspielungen gespickten und schwerer Bedeutung befrachteten Aussage, die über Gott und die Welt unfassbar Tiefschürfendes zum Vorschein bringt. Wie herrlich unnütz sind dagegen die „Bilde mal einen Satz mit“-Kalauerverse, die derselbe Gernhardt, eine volkstümliche Scherzfragentradition aufgreifend, erfunden hat!

In seinem 1981 erschienenen Gedichtband „Wörtersee“ machte er es vor und reimte zum Beispiel auf „Krise“: „Peter Pudding? So heißt du? / Ach, du kri se Tür nicht zu!“ Auf „Minister“: „Aus welchem Mund dringt dies Geplärr? / ,Min is ter Rachen‘, spricht der Herr.“ Oder auf „lesbisch“: „Und als die ersten Hörer grollten / und schon den Saal verlassen wollten, / da sprach der Dichter ungerührt: / ,Ich les bisch euch der Arsch abfriert.'“

Im Lauf der Jahre erwuchs daraus eine Bewegung, die 2007 in dem Sammelband „Bilden Sie mal einen Satz mit?“ dokumentiert wurde. 555 Zwei-, Vier- und Vielzeiler fanden in dem Buche Platz.

„Mein Gott, ist das beziehungsreich, / ich glaub‘, ich übergeb' mich gleich“, dichtete Gernhardt. Bei Kalauern hingegen „könnte man nur von einem mehr oder weniger reichen Bedeutungszusammenhang sprechen“, stellt der eingangs zitierte Müller fest, und wo er recht hat, hat er recht. Wenn er fortfährt, dass „ein Kalauer aufgrund geringer Bedeutungsbezüge nicht unbedingt als pointiert betrachtet werden muss“, hat er allerdings unrecht, wie die pointierten Scherzgedichte beweisen.

Immerhin weiß Müller, was ein Kalauer ist. Die meisten wissen es nicht. So zitiert die taz „einen Kalauer von Frank Henkel: Linksextremismus, so Berlins Innensenator (CDU), sei eine im wahrsten Wortsinne gewaltige Herausforderung für unsere Demokratie“ – aber anders als bei einem mit dem Doppelsinn der Wörter spielenden Wortwitz ist festzuhalten, dass „gewaltig“ nicht im wahrsten Wortsinne „gewalttätig“ bedeutet und das Ganze allenfalls ein missglückter Kalauer ist.

Nicht einmal solche sind es, die Konkret bei Botho Strauß zu finden wähnt: „Sekundiert wird die Klang- und Bilderrutschbahn mit besinnlichen Kalauern: ,Alles hat seine Zeit, nur die Orte haben ihre Weile‘, ,Ihre Vernunft verfiel wie Geranien in einem trockenen Blumenkasten', ,Bist du ein Mistelzweig, dann bleibst du grün.‘“

Wortspiel ist kein Kalauer

Selbst das Fachblatt Titanic ist nicht immer sattelfest. In der Kolumne „Vom Fachmann für Kenner“ schildert ein Radfahrer seine Begegnung mit bettelnden Punks: „Ich wollte gerade ansetzen, den dekadenten Kalauer rauszuhauen, ich hätte kein Kleingeld, sondern nur Scheine, doch da brüllte es schon hinter mir: ,Und dies ist übrigens kein Radweg!'“ Richtig hätte der Punker brüllen müssen: „Und das wäre übrigens kein Kalauer gewesen!“

Doch vor allem die taz ist eine Fundgrube: Ronald Pofalla „hatte, das ist so weit ein Kalauer, seinerzeit die NSA-Affäre für beendet erklärt“; im Fußball „ist Spanien in der Krise, der Kalauer mag erlaubt sein: Nicht weil da jetzt ein König abdankte, sondern weil die Monarchen des Fußballs allzu erschöpft waren“; und wenn in einem Theaterstück, das im vorrevolutionären Russland spielt, geklagt wird: „Mein kleiner Babyzar stirbt“, dann „sind das so die Kalauer, die die Zarin von sich geben muss“.

Aber wie sollen die Leute wissen, was ein Kalauer ist, wenn sie schon nicht wissen, was ein Wortspiel ist! Besonders toll trieb es einst ein Fußballreporter im Hörfunk: „Aber Dede hat den Braten gerochen, um mal dieses alte Wortspiel zu benutzen.“ Warum „Wortspiel“? Warum nicht gleich „Bauernregel“? Oder, noch besser: „Briefroman“!

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