Die Wahrheit: Hübscher als Theo Lingen

Komplimente machen, bedeutet nicht selten, ins Fettnäpfchen treten – oder ist es möglicherweise vielleicht genau andersherum?

Als ich neulich mal einen Oberbürgermeister besuchte, stellte der mich einigen seiner Freunde und Kollegen nicht etwa mit den charmanten Worten vor: „Ich möchte euch hier eine überaus reizende Dame vorstellen“, sondern er rief im Brustton der Überzeugung und in der Lautstärke eines Donnerschlags: „Das Erste, was ich heute Morgen beim Aufwachen dachte, war: Ach scheiße, heute kommt ja Corinna.“ Und ich saß daneben und spürte die mitleidigen Blicke aus einem Dutzend Augenpaaren wie Stiche von glühenden Stricknadeln!

Ein anderes Mal fragte mich ein von mir verehrter Theaterintendant: „Sag mal Corinna, ist es eigentlich ein Negativkompliment für dich, wenn ich dir sage, dass ich dich hauptsächlich für deine Intelligenz schätze?“ Ich wusste darauf nicht zu antworten, denn ich hatte mir meinen hübschesten Pulli angezogen. Aber ich war damals auch erkältet, und der Rotz floss mir aus beiden Nasenlöchern, und ich musste unentwegt husten. Vielleicht lag es daran.

Vor einiger Zeit schaute ich mir mit meinem damaligen Gespielen einen alten SchwarzWeiß-Film an. Irritiert bemerkte ich, wie mich der Freund eine Weile lang nachdenklich von der Seite betrachtete. Auf meinen fragenden Blick hin flüsterte er zärtlich: „Du bist ehrlich viel, viel hübscher als Theo Lingen.“

Es ist noch nicht sehr lange her, da saß ich mit meinem Verlobten am Ufer eines kristallklaren Bergsees. Schweigend und einander tief verbunden betrachteten wir die zwei Schwäne, die majestätisch Seite an Seite ruhig ihre Kreise drehten. Es war ein Augenblick vollendeter Harmonie und Romantik. Und mein Verlobter legte seinen Arm um mich und sprach – den verträumten Blick in die Ferne gerichtet: „Mit dir zusammen ist es fast so schön wie allein.“

Ich bin aber auch nicht schlecht im Komplimente machen: Als mein Gefährte und ich bei seinem Vorgesetzten zum ersten Mal zum Abendessen eingeladen waren, schwor ich mir, mich vorbildlich zu benehmen. Kaum angekommen, führten uns die Gastgeber durch ihre herrliche Wohnung und zeigten uns all die wunderschönen Einrichtungsgegenstände und Kostbarkeiten, mit denen sie ihr Heim in eine Oase des perfekten Geschmacks verzaubert hatten.

Ich war ehrlich beeindruckt – der Höhepunkt aber war die Küche. Noch nie hatte ich eine solche Mischung aus Funktionalität und stilsicherer Schönheit gesehen und es verschlug mir beinahe den Atem.

Als die Gastgeber am Ende der Besichtigung ihren elegant versteckten Brotkasten vorführten, der „allein schon 600 Euro gekostet“ hatte, bildete ich mir ein, dass sie mich erwartungsvoll ansähen. Mir war klar, ich musste irgendwas Lobendes sagen und zwar schnell, da rief ich aus: „Hier ist es genauso schön wie bei Ikea!“ Augenblicklich spürte ich, wie ich puterrot anlief, denn das war wohl nicht ganz angemessen, und ich legte stammelnd nach: „Und so schön sauber ist es hier auch! Und auch so aufgeräumt!“ Und ich betete in Gedanken: „Erde, tu dich auf und verschlinge mich …“

Die Wahrheit auf taz.de

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

ist die einzige Satire- und Humorseite einer Tageszeitung weltweit. Sie hat den ©Tom. Und drei Grundsätze.

kari

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.