Die Wahrheit: Sprich, Tier, sprich!

Die lustige Tierwelt und ihre ernste Erforschung (16): Welcher mitteilungsfreudigen Spezies von Frosch bis Vogel verdanken wir unsere Sprachfähigkeit?

ein kleiner grüner Frosch hängt an einem Ast

Der Frosch besticht durch filigrane Anmut und ausufernde Wortgewalt Foto: dpa

Charles Darwin zeigte, dass nicht Gott die Lebewesen geschaffen hat, sondern die Evolution und dass speziell die Menschen aus Affen hervorgingen, die irgendwann von Afrika aus im aufrechten Gang, der ja laut Ernst Bloch zuletzt gelernt wird, losmarschierten. Bekanntlich hatte Gott uns, als er noch nicht von Nietzsche für tot erklärt worden war, die Sprache verliehen – als Alleinstellungsmerkmal quasi. Deswegen hatte Darwin nach seiner Evolutionstheorie die Not, zu erklären, wie die menschliche Sprache denn nun wirklich entstand.

Hundert Jahre zuvor hatten die Universitäten in Paris und London bereits so viele Preise für den klügsten Essay über den „Ursprung der Sprache“ ausgeschrieben, dass sie beschlossen, dazu keine Texte mehr anzunehmen. Die Suche nach der „Ursprache“ hatte die gelehrten Gesellschaften mit einer Lawine von „Denkschriften“ überhäuft. Im Grunde suchte man die „Ursprache“ schon seit 2.500 Jahren. Überliefert ist das Sprachexperiment des ägyptischen Pharaos Psammetich I.: Er übergab einem Hirten zwei Neugeborene, die als „Ansprechpartner“ nur einige Ziegen hatten. Nach zwei Jahren konnten sie gerade einmal meckern.

Einen ähnlichen Versuch führte dann im Jahr 1240 der empiriefreudige Stauferkaiser Friedrich II. durch: Seine Versuchskinder wuchsen auf, ohne dass Erwachsene sie ansprachen. Alle Kinder starben – nahezu stumm. Friedrich II resümierte: „Sie vermochten nicht zu leben ohne das Händepatschen und das fröhliche Gesichterschneiden und die Koseworte ihrer Ammen“.

Darwin'sche Trennung

Die auf Borneo lebende Orang-Utan-Forscherin Birute Galdikas berichtete 1995, dass ihr Sohn, der mit Affen aufwuchs, zuerst die „Gibbonsprache“ lernte, dann die „Orang Utan-Sprache“ und schließlich die der einheimischen Dayaks. Ähnliches berichtete auch der US-Psychologe Winthrop Kellog über seinen Sohn, den er zusammen mit einem Schimpansen großzog.

Darwin hatte 1871 zur Sprachentwicklung geschrieben: „Genau an dem Punkte, wo der Mensch sich von der Thierwelt lostrennt, bei dem ersten Aufblitzen der Vernunft, als die Offenbarung des Lichts in uns, finden wir die Geburtsstätte der Sprache.“ Neodarwinistisch ausgedrückt – mit dem US-Linguisten Noam Chomsky, der von 1981 bis 2001 an seiner Theorie feilte: 1. Der Mensch besitzt eine Universalgrammatik. 2. Die sie ermöglichende grammatische Struktur ist allein in den menschlichen Genen verankert beziehungsweise im menschlichen Gehirn kodiert. Und 3. Das ist mit der Darwin’schen „Trennung“ gemeint.

Waren womöglich die Frösche unsere Ahnen beim Spracherwerb?

Abgesehen davon, dass es noch Stammesgesellschaften gibt, die sich ganz ohne „unsere“ Universalgrammatik prima untereinander verständigen, bleibt trotzdem die Frage, woraus sie sich einst entwickelt hat. In seiner Schrift über die „Abstammung des Menschen“ hatte Darwin sich zwar „mit der gebotenen Vorsicht“, wie die FAZ schreibt, geäußert, dafür aber unmissverständlich: Die Sprache entwickelte sich aus dem Vogelgesang, so dass die Anfänge der menschlichen Sprache dann auch zunächst Gesänge waren, vielleicht sogar nachgeahmte.

Unter den Menschenaffen gelang dies nur den in Südostasien lebenden Gibbons: Sie können wie die Vögel singen – hoch und tief zwitschern. Laut dem umstrittenen Ethnopharmakologen Terence McKenna und dem Autor des Buches „Darwin's Pharmacy“ Richard Doyle verdanken wir die Sprache einigen Affen, die sich Pilze mit psychedelischer Wirkung einverleibten – eine im Wortsinn „bewusstseinserweiternde Droge“.

Bienentanz mit Missverständnissen

Umstritten war auch die vom österreichischen Biologen Karl von Frisch entdeckte und mit einem Nobelpreis bedachte „Tanzsprache“ der Bienen, mit denen eine Anzahl „Suchbienen“ den übrigen den Weg zur nächstgrößeren Blütentracht weisen. Unter anderem Noam Chomsky hielt dagegen: der Bienentanz – das sei keine Sprache; ein Vergleich dieser Tänze mit unserer Sprache wäre zwar naheliegend, dennoch: „Die Bienen können über Honig kommunizieren: wo er ist, wie weit entfernt, in welcher Richtung. Das ist es dann aber auch.“ Von Frisch hatte demgegenüber experimentell festgestellt, dass es sogar verschiedene Sprachen bei den Bienentänzen gibt: So stößt zum Beispiel der Schwänzeltanz einer italienischen Biene bei den hiesigen Artgenossen zunächst auf Missverständnisse – die Entfernung betreffend.

In seinem 2016 erschienenen Essay „The Kingdom of Speech“ weist der US-Schriftsteller Tom Wolfe gleich beiden – Darwin und Chomsky – eine Upperclass-Unmoral nach, die sich gegen den Aufstieg zweier Empiriker aus der unteren Klasse (Wallace und Everett) richtete, die es besser, das heißt, genauer wussten. Aber zum einen zieht Tom Wolfe sich dabei am Ende auf eine ästhetische Sprachtheorie zurück: „Zu sagen, dass die Tiere sich in Menschen entwickelt haben, ist das Selbe, als würde man die Meinung vertreten, dass ein Stück Carrara-Marmor zu Michelangelos ,David' evolutionierte.“ Zum Anderen hatte die „dunkle Geschichte“ um die Priorität bei der Evolutionstheorie (Wallace oder Darwin?) bereits der Evolutionsforscher am Berliner Naturkundemuseum Matthias Glaubrecht 2013 gründlicher erhellt – mit seinem Buch: „Am Ende des Archipels“.

Unendliche Froschgrammatiken

Neben den Darwinschen Vögeln gibt es auch noch die Frösche, die unsere „Ahnen“ beim Spracherwerb – und damit bei der Menschwerdung – gewesen sein sollen. Der Sprachforscher und Aufsichtskommissar bei der französischen Eisenbahn Jean-Pierre Brisset hat dafür zwischen 1883 und 1913 Beweise gesammelt. Die Pariser Avantgarde hat ihn deswegen als „Fürst der Denker“ gefeiert. Unter diesem Ehrentitel erschien 2016 eine „Dokumentation“ über ihn.

Seine Sprachanalysen resultierten aus langen Wanderungen „in den Sommernächten“ durch die „umliegenden Sümpfe“ seines Wohnortes, wo er „dem Gesang der Frösche lauschte. Aufmerksam notiert er ihre Laute.“ Alles ist darin zu hören, „wenn man nur hören will. Die Frösche, sie sprechen eine Sprache,“ wie es im Vorwort heißt. Brisset schrieb: „Die Zahl der Grammatiken ist unendlich.“ In der Ankündigung der Veranstaltung zu seinen Ehren hieß es: „Die Ursprünge des Menschen endlich enthüllt. Wir stammen vom Frosch ab. Beweise aus der menschlichen Sprache sowie dem Körperbau, den Sitten und Rufen des Frosches erbracht.“

Brisset führte dazu aus: „Der Klang der Stimme und die Modulation des Gesangs des Frosches haben bereits etwas Menschliches. Seine Augen, sein Blick ähneln den unseren; und kein Tier besitzt eine körperliche Anmut von der Ferse bis zum Hals, die es so sehr dem menschlichen Körper annähern würde; wenige Menschen, selbst die jungen, sind so elegant.“

Brisset setzte allein die französische Sprache derart in Szene, seine Werke sind nicht so sehr Ausdruck einer Geistesverwirrung, sondern eher die (bio)logische Konsequenz aus dem alten gallischen Brauch Froschschenkel zu essen, weswegen man in den USA die Franzosen abschätzig „Frogs“ nennt und in England „Frogeater“.

Du bist, was du isst

Ähnlich denkt auch der Etholinguist Dr. Salm-Schwader, für den das grunzende Deutsch, die helle Hautfarbe und die Specknackigkeit unserer Altvorderen auf die germanische Vorliebe für Schweinefleisch zurückgehen. Inzwischen transplantiert man hierzulande sogar schon Herzklappen von Schweinen in Menschen. Salm-Schwaders Leitgedanke geht auf den Biosophen Ernst Fuhrmann zurück: „Du bist, was du isst.“ Folgt man der Mikrobiologin Lynn Margulis, ist das so zu verstehen: Einige der ersten Einzeller verschluckten eine Bakterie, die sie jedoch nicht verdauten, sie kooperierten stattdessen mit ihr. So ging es fort bis heute, da mittlerweile in jeder unserer Körperzellen, auch in den Zellen der Pflanzen, ehemals freilebende Bakterien – Mitochondrien und Plastiden – als Individuen fortexistieren.

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