Die Wahrheit: Drei Farben Tod

Art Director Leon Gehrke kuratiert die Illumination des Brandenburger Tors nach allen relevanten Terroranschlägen.

Illustration: Ulrike Haseloff

Leon Gehrke ist zufrieden. „Das sah doch wirklich stylish aus, der Union Jack an unserem Tor, nicht wahr? Und gerade jetzt zum Brexit gab es auch noch so eine kontradiktische zweite Aussageebene, das war ganz großes Projektionskino!“ Der künstlerische Leiter des Brandenburger Tors in Berlin streicht sich zufrieden durch den Hipster-Vollbart, während er die Fotos der jüngsten Gedenkillumination nach dem Terroranschlag in London betrachtet.

„Wir hatten ja erst ästhetische Bedenken wegen der auseinanderdriftenden Symmetrien zwischen dem Tor und dem Kreuz in der Flagge, vertikal versus diagonal, wenn Sie verstehen. Solche Arrangements können leicht das Harmonieempfinden stören. Das mag manchem angesichts der Opfer natürlich ein wenig, nun ja, geschmäcklerisch erscheinen, aber die Erfüllung höchster Standards bei der Gedenk-Eventgestaltung ist nun einmal unsere originäre Aufgabe. Ich sag mal so: Das Auge trauert schließlich auch mit.“

Nach den Anschlägen von Paris im November 2015 waren weltweit als Zeichen der Solidarität und der Betroffenheit Wahrzeichen in den Farben der französischen Tricolore angestrahlt worden. In Berlin kam das so gut an, dass man einfach immer weitergemacht hat. So natürlich auch nach dem Attentat vom Breitscheidplatz. Bei dem Gedanken daran wird Gehrkes Blick noch heute ganz schwärmerisch.

„Das Tor in den Nationalfarben – da ist natürlich ein lang gehegter Traum endlich wahr geworden. Und das in der Weihnachtszeit! Die ganze Stadt ein glänzendes Lichtermeer, und mittendrin als inszenatorischer Höhepunkt das schwarz-rot-goldene Brandenburger Tor, scharf kontrastierend und sich gleichsam wunderbar einfügend in das Gesamtarrangement. Wenn man nicht wüsste, dass dieser Amri ja nur irgend so ein Moslem war, man könnte fast meinen, der habe das so geplant. Aber auch ein islamisches Huhn findet halt mal ein Korn. Das war wirklich eine feierliche Stimmung und sah so megamäßig aus, da konnte man gar nicht anders, als richtig stolz auf Deutschland zu sein, wie toll wir gedenken und wie wahnsinnig mitfühlend wir sind. Die Frauke Petry und der Bernd Höcke waren ebenfalls hier an dem Abend, da hat die Petry auch schon geheult, vor lauter Ergriffenheit und wohl auch ein bisschen vor Freude. Ich meine, für die ist es natürlich noch besser, als wenn Weihnachten und Ostern zusammenfallen, wenn Weihnachten und ein islamistischer Terroranschlag zusammenfallen. Die konnten ihr Glück gar nicht fassen. Das Bild vom schwarz-rot-goldenen Tor hängt der Höcke sich jetzt sicher immer über die Stuhllehne. Klar, könnte man etwas geschmacklos finden den Opfern gegenüber, aber ich sag immer, jeder trauert eben auf seine Weise. Und das Leben geht doch weiter, nicht wahr?“

Kunst testet Grenzen aus

Ob er nicht Sorgen habe, dass das Gedenken von Rechtsnationalen politisch instrumentalisiert werde, fragen wir Gehrke, zumal das Tor immer nur bei islamistischen Terroranschlägen angestrahlt wird. Aber der winkt lässig ab: „Ach was, die haben ja auch schon ordentlich einstecken müssen. Wir hatten ja schon die Regenbogenfahne nach Orlando und die türkische nach dem Silvester-Attentat in Istanbul. Das Brandenburger Tor im Türkenrot mit Halbmond! Sah aus wie ein NPD-Plakat – oder halt ein Spiegel-Cover zur ‚Islamisierung des Abendlandes‘.

Aber am heftigsten ging es ab, als wir die israelische Flagge nach dem Laster-Anschlag in Jerusalem aufs Tor projiziert haben. Zugegeben, das war natürlich auch ein bisschen provokativ. So ein Zeichen der Juden mitten in Berlin, nach allem, was die uns angetan haben damals. Da brach hier fast der Server zusammen vor Protesteinträgen in unserem virtuellen Gästebuch. Da waren sie alle auf den Barrikaden: die Rechten, die Linken, die Moslems. Aber ich sag mal: Gute Kunst muss auch Grenzen austesten.“

Beliebte Attraktion

Auf jeden Fall hat sich die Illumination des Brandenburger Tors nach Terroranschlägen inzwischen als festes Highlight im Berliner Eventkalender und als beliebte Touristenattraktion etabliert, die der Stadt ein ordentliches Besucherplus bringt. Deswegen wurde Gehrkes Stelle als „Art Director of Brandenburger Tor Illumination“ geschaffen. „Da hat der Berliner Senat ganz entgegen den Gepflogenheiten hier recht zügig gehandelt“, lacht Gehrke, „aber die Finanzierung der Stelle mit Mitteln der Tourismusförderung war kein Problem, zumal die Geschäftsleute Unter den Linden ordentlich was dazugetan haben. Ist ja auch in deren Interesse, wenn die Leute zum Terrortorgucken herkommen. Nach dem Gedenken an so eine furchtbare Bluttat geht man ja gern mal schick essen oder ein gemütliches Bierchen trinken, oder?“

Zudem habe die Stadt mit der Love Parade, Klaus Wowereit und den Pandas im Zoo drei Besuchermagneten verloren, da komme das neue Tor-Sightseeing gerade recht. Sicherlich, gesteht Gehrke zu, der Job sei nicht immer einfach. „Neulich war nur die Praktikantin da, als die Nachricht von diesem Terroranschlag in einer Moschee in Quebec mit sechs Toten über den Ticker ging. Da hatte die schon die Folie mit der kanadischen Flagge für die Illumination organisiert. Zum Glück war ich rechtzeitig hier, um Schlimmeres zu verhindern. Das hätte ein Hallo gegeben! Ich meine: Da waren ja Moslems die Opfer. Wo sollte das hinführen? Sollen wir dann bei jedem Anschlag im Irak das Tor erleuchten? Da könnten wir es ja gleich mit Leuchtfarben anstreichen!“

Man müsse schon vorsichtig sein, das Tor nicht zu inflationär zu illuminieren. „Sonst ist es ja nichts Besonderes mehr. Wir müssen schließlich auch auf die Würde des Ortes achten.“

Man muss differenzieren

So gesehen sei die Illumination nach dem jüngsten Londoner Anschlag etwas grenzwertig gewesen: „Sicherlich, an sich hat da alles gepasst: weiße Opfer, ein Täter mit islamischem Hintergrund, dafür werfen wir den Projektor eigentlich gerne an. Aber nur vier Opfer und als Tatwaffe ein x-beliebiges Auto, das ist natürlich eher dürftig. Da könnte man im Grunde ja jedes Wochenende nach den Unfallberichten von den Autobahnen das Tor anstrahlen.

Aber da muss man eben einen klaren Kurs fahren: Für uns gilt nur als illuminationswürdiger Terror, wenn der Täter an den Dschihad glaubt, nicht an ‚Freie Fahrt für freie Bürger‘. Da muss man fein differenzieren. Aber dafür sind wir ja schließlich da!“

Der nächste Anschlag

Wir verabschieden uns bei Oliver Gehrke und bedanken uns für den interessanten Blick auf dieses neue Berufsbild, nicht ohne ihn zum Abschied noch nach seinen Wünschen für die Zukunft zu fragen. „Ach, vorstellen kann man sich natürlich so einiges“, antwortet der oberste Illuminat Berlins, „aber ganz persönlich gesagt: Die brasilianische Flagge ist wirklich sehr ansprechend, und es wäre auch eine künstlerische Herausforderung, die am Tor in Szene zu setzen. Auch Uruguay wäre ganz hübsch.“ Er seufzt ein wenig wehmütig. „Aber diese Islamisten scheinen Südamerika ja überhaupt nicht auf der Landkarte zu haben.“

Sofort hellt sein Gesicht sich wieder auf: „Aber dafür haben wir im Oktober ja wieder das Festival of Lights, dann können wir uns kreativ richtig austoben. Natürlich fehlt da etwas der Tiefgang durch die Bedeutung, diese künstlerische Ambivalenz. Aber letztlich ist es natürlich die Mischung, auf die es ankommt. Und der nächste Terroranschlag kommt ganz bestimmt.“

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