Die Wahrheit: Mutter, Schwester, Kind und Tod

Vater, Mutter, Kind: Das war eine unumstößliche Spiel­anordnung – jahrhundertelang. Heute ist dabei allerdings einiges anders.

Meine kleine Tochter und ihre Freundinnen spielen. Sie spielen am Nachmittag, sie spielen am Wochenende, sie spielen immer das Gleiche. „Ich bin die Mutter.“ – „Ich das Baby.“ – „Und ich die große Schwester.“ – „Und wo ist eigentlich der Vater?“, klinke ich mich vorsichtig ein. „Gestorben“, sagt meine Tochter. „Autounfall“, präzisiert ihre Freundin Maja. „Nee, Kopfkrebs, wie mein Opa“, verbessert Lina. Darauf können sich alle einigen.

Vater, Mutter, Kind: Das war mal, in den achtziger Jahren, als ich Kind war und die Spielfamilie aus diesen Helden bestehen musste, koste es, was es wolle, auch die Laune des Mädchens, das den Vaterpart übernehmen musste, war gerade kein Junge zur Hand. Der Spielvater ging zur Arbeit, motzte über die zerknitterte Fernsehzeitung oder trank ein imaginäres Bier.

Vater, Mutter, Kind: Das war eine unumstößliche Spiel­anordnung, jahrhundertelang; auf mittelalterlichen Markplätzen, im aufstrebenden Bürgertum, ja noch in den pro­gressivsten Hippie-Kinderläden der siebziger Jahre verzichtete man lieber auf den Sonntagsbesuch vom Baghwan als auf den Vater.

„Aufstehen, Kinder!“ Bei meiner Tochter und ihren Freundinnen beginnt gerade ein neuer Tag. Die Mutter macht die Kinder fertig, bringt sie zur Kita, geht arbeiten, holt die Kinder wieder ab, kocht, motzt über die zerknitterte ­Fernsehzeitung und hält sich die alte Babynuckelflasche geradewegs an den Hals: „Is Bier drin!“ – „Hört mal, Mädels“, klinke ich mich noch einmal ein, „könnte der Vater nicht wenigstens hackedicht irgendwo rumliegen oder für ein paar Tage getürmt sein?“ – „Nö“, sagt Maja, „dann kommt er ja wieder.“

Was hätten wir damals gesagt, in den Achtzigern? Atomkrieg, vom Ozonloch verschlungen oder beim Waldsterben gleich mitgestorben, von der RAF niedergestreckt oder dem Biervorrat der Freiwilligen Feuerwehr? Aber nie hätten wir auf den Vater verzichtet, niemals.

Kindliche Rollenspiele spiegeln zeitgenössische gesellschaftliche Entwicklungen wider, sagt eine Kindertherapeutin. Aber warum reden die Kinder dann immer nur von Autounfall und Krebs? Also unorigineller geht’s nicht! Wenn schon zeitgemäß, dann richtig: „Warum denn nicht mal ein tödlicher E-Bike-Unfall“, rufe ich in die Runde, „überrollt vom Tesla-Auto, im Darknet verendet oder von einem Meteoriten erschlagen? Aber ein Autounfall, pfff, das ist doch achtziger Jahre! Aber gut“, mein Tonfall wird plötzlich versöhnlicher, „aber ward ihr wenigstens bei der Beerdigung des Vaters?“ – „Keine Zeit. Große Schwester musste zum Ballett.“

Dann ist Abendbrotzeit, die Freundinnen sollen heim. „Nur noch ein bisschen“, bittet meine Tochter. „Die Mutter“, sie zeigt auf Maja, „will nicht mehr allein sein. Sie will noch schnell heiraten.“ – „Toll“, sage ich. „Wie heißt er denn?“ – „Charlotte. Und was soll überhaupt wieder diese heteronormative Kackfrage?“, würde sie berechtigterweise ergänzen, wenn sie hochintelligent und frühreif wäre, was sie aber beileibe nicht ist.

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