Die Wahrheit: Trällernder Reichsbürger

Aus den Lautsprechern der Republik jault Xavier Naidoo. Sein Hit heißt „Marionetten“. Und der Alukappenträger hat dabei sehr spezielle Verbündete.

Ich höre schon lange kein Radio mehr, weil ich so schreckhaft bin. Immerzu fahre ich aus meinen Gedanken hoch und fürchte, nun ist es so weit, nun haben Trump oder Putin oder das lustige Pummelchen aus Nordkorea oder mein islamistischer Obst- und Gemüsehändler von um die Ecke tatsächlich die Bombe gezündet, und dann ist es nach einem kurzen Schreckmoment schon wieder nur Xavier Naidoo, der aus dem Lautsprecher jault, und doch gar nicht die Zivilschutzsirene.

Aber auch als Zeitungs- und Internetleser ist dem wimmernden Mützengesicht nicht zu entgehen. Denn er hat eine neue Platte gemacht, und selbstverständlich muss die Bevölkerung über diesen Katastrophenfall schnellstmöglich informiert werden. Weshalb er ein Lied namens „Marionetten“ aufgenommen hat, in dem er auch tatsächlich ein bisschen wie das Sams aus der Augsburger Puppenkiste vor sich hin schimpft, nur leider ohne jeden Witz: dass die Politiker eben nur Marionetten seien und gesteuert von geheimnisvollen Puppenspielern das Volk verraten, im Übrigen gehören Kinderschänder an die Wand gestellt – was man halt rappt, wenn man sich kritisch geben und doch nur sagen will, was eh alle sagen.

Mit anderen Worten: gerappte deutsche Leitkultur. Immer ein bisschen nebulös gegen die Juden, immer schön selbst das unterdrückte Opfer geben, von Gewaltfantasien getrieben und sich dabei ordentlich die Taschen füllen. Ganz sicher reicht Naidoo zur Begrüßung auch jedem ordentlich die Hand und nennt seinen Namen. Naidoo ist der Fleisch gewordene Zehn-Punkte-Plan von Thomas de Maizière.

Und kaum dass mal ein paar journalistische Kollegen auf die fragwürdigen Inhalte des trällernden Reichsbürgers hinweisen, springt ihm ein Telepolis-Trottel zur Seite. Das auf die etwas anderen Theorien spezialisierte Onlinemagazin überführt uns, also den „Rudeljournalismus“, der „Hetze“ gegen die „Systemkritik“ Naidoos und stellt sich an die Seite des tapferen Barden, der sich auf „einen brutalen Spießrutenlauf einstellen“ muss, „an dessen Ende die Exkommunikation aus der öffentlichen Gemeinschaft stehen kann. Nur wenige Intellektuelle, Künstler etc. sind bereit, diesen Kampf aufzunehmen – Naidoo ist einer von ihnen.“

Ein kämpfender, exkommunizierter Millionär, der auf Zuruf jederzeit in praktisch jedem Fernsehsender sagen kann, was er will, und der so sehr gegen das System ist, dass er nicht einmal davor zurückschreckt, sich über drei Stunden lang mit dem Oberbürgermeister von Mannheim über seine kontroverse Kritik zu unterhalten. Das muss man sich erst mal trauen: mit dem Oberbürgermeister von Mannheim!

Xavier Naidoo ist ein wahrer Rebell. Hand in Hand mit Innenminister Thomas de Maizière kämpft er unerschrocken gegen die Wächter, die ihre abweichenden Meinungen mit aller Macht unterdrücken wollen. Man wüsste gern, was das Sams dazu sagen würde, aber das wäre vermutlich sogar den Puppenspielern in Augsburg zu albern.

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Heiko Werning ist Reptilienforscher aus Berufung, Froschbeschützer aus Notwendigkeit, Schriftsteller aus Gründen und Liedermacher aus Leidenschaft. Er studierte Technischen Umweltschutz und Geographie an der TU Berlin. Er tritt sonntags bei der Berliner „Reformbühne Heim & Welt“ und donnerstags bei den Weddinger „Brauseboys“ auf und schreibt regelmäßig für Taz und Titanic. Letzte Buchveröffentlichung: „Vom Wedding verweht“ (Edition Tiamat).

ist die einzige Satire- und Humorseite einer Tageszeitung weltweit. Sie hat den ©Tom. Und drei Grundsätze.

kari

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