Die Wahrheit: Der Mann mit dem Vogel

Ein letztes Wort zum Vogelschiss. Was ist neben den zwölf Nazi-Jahren mit dem Rest der über tausendjährigen deutschen Geschichte?

Kaum hat Alexander Gauland seine kleine historische Ausführung zur Nazizeit, die nur ein „Vogelschiss“ sei in der tausendjährigen deutschen Geschichte, beendet, bricht ein empörter Vogel-Shitstorm über ihn los. Dabei könnte man es doch durchaus als zivilisatorischen Fortschritt begrüßen, dass jetzt schon die Nazis die Nazizeit scheiße finden. Wenn das der Führer wüsste!

Und muss man denn immer alles gegen den Mann auslegen? Mit Rechten reden, heißt es doch überall. Dazu muss man erst mal zuhören. Ein Vogelschiss also – aber es gibt ja auch ganz schön große Vögel! Haben Sie mal den Schiss eines Straußes gesehen? Der würde formatfüllend auf Gaulands Glatze passen!

Und wenn also die Nazizeit stinkende Straußenscheiße ist, wie verhält es sich dann mit den anderen neunhundertachtundachzig Jahren? Die deutsche Performance rund um den Ersten Weltkrieg – kolossale Kasuarkacke? Die deutsche Kolonialzeit mitsamt dem Völkermord an den Herero – dunstender Dododung? Stasi, Bautzen und die Mauertoten – schwelende Schwalmenscheiße? Germanische Menschenopfer, Hexenverbrennungen, jahrhundertelange Diskriminierung Homosexueller, die RAF – hässliche Hühnerhaufen? Der Antisemitismus von Martin Luther bis Martin Walser, die antijüdischen Krawalle vor der Reichsgründung 1819 und bei der Märzrevolution 1848 – amorphes Amsel-Aa? Rostock, Solingen, der NSU – fiese Finkenfäzes?

Und die Kulturgeschichte erst! Wo andere Verdi, Bob Dylan oder die Beatles haben, lärmen die Deutschen mit Wagner, Dieter Bohlen und Ralph Siegel herum – käsiger Kolibrikot! Statt Jazz, Blues, Rock ’n’ Roll oder Reggae kommt aus Deutschland Schlager, Polka und Jodeln – peinliches Puten-Poo! Die viel beschworenen deutschen Denker und Schriftsteller: Man vergleiche nur Philip Roth oder Gabriel García Márquez mit Günter Grass – faule Falkenfäkalien, und man ist schon wieder bei Antisemitismus und Waffen-SS.

Es wird nicht besser, wenn wir in die Küche schauen: Statt auf Köstlichkeiten wie Pizza, Pasta oder Hummus stoßen wir in deutschen Gasthäusern auf Weißwurst, Jägerschnitzel und Steak au four – eklige Entenexkremente!

Selbst ein Blick in die Naturgeschichte zeigt eine deprimierende Artenarmut, und kaum lässt sich mal ein interessantes Tier wie der Wolf wieder hier blicken, fordern Gaulands Volksgenossen umgehend, ihn abzuballern – lausige Lachmöwenlosung! Und von deutschem Humor, deutschem Karneval und deutscher Lebensfreude haben wir da noch gar nicht gesprochen!

Derart in tausendjährigen Bezug gesetzt, lässt Alexander Gaulands Bemerkung aufhorchen. Wollte der vogelige Greis verklausuliert einen ganz anderen, altbekannten Slogan rezitieren, nämlich „Deutschland, du mieses Stück Vogelscheiße“? Das aber wäre ja glatt eine strafbare Verächtlichmachung von Deutschland! Staatsschutz, bitte übernehmen Sie!

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Heiko Werning ist Reptilienforscher aus Berufung, Froschbeschützer aus Notwendigkeit, Schriftsteller aus Gründen und Liedermacher aus Leidenschaft. Er studierte Technischen Umweltschutz und Geographie an der TU Berlin. Er tritt sonntags bei der Berliner „Reformbühne Heim & Welt“ und donnerstags bei den Weddinger „Brauseboys“ auf und schreibt regelmäßig für Taz und Titanic. Letzte Buchveröffentlichung: „Vom Wedding verweht“ (Edition Tiamat).

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kari

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