Die Wahrheit: Die Elefantenmacher

Die lustige Tierwelt und ihre ernste Erforschung (63): Mit der Mücke will und kann der Mensch offenbar so gar nicht koexistieren.

Eine Mücke

Da schau her: die Anopheles-Mücke steht Modell im Natural History Museum in London Foto: reuters

Es gibt viele tückische Stechmücken, und noch mehr Namen für sie. Die Gelbfiebermücke oder Tigermücke, die Moskito- oder Malaria- oder Anopheles-Mücke, die japanische Buschmoskito … um nur einige zu nennen. Mit den zu Stech- und Saugrüsseln geformten Mundwerkzeugen saugen ihre Weibchen Blut, dabei können sie Malaria-Viren, West-Nil-Viren, Zika-Viren, Dengue-Viren, Sindbis-Viren und so weiter übertragen.

Und ein Virus kommt selten allein. Vereint schaffen sie es jedoch, dass zum Beispiel in diesem Jahr bereits 70 Menschen in Südeuropa am West-Nil-Virus starben, alljährlich 30.000 an Gelbfieber sterben und etwa eine halbe Million Menschen, vor allem in Afrika, an Malaria.

Die Krankheitserreger, die diese Stechmücken übertragen, gehören zur Gattung der Plasmodien, „einzellige Parasiten“ laut Wikipedia, „infektiöse Partikel“ – „Viren“. Es sind genau genommen keine Lebewesen, denn sie brauchen lebende Zellen, um sich zu vermehren. Darin entwickeln die Plasmodien „Geschlechtsformen“, ihre Vermehrung geschieht jedoch ungeschlechtlich durch „Vielfachteilung“, aus der sich ein „Schizont“ entwickelt. Und nicht jede Plasmodienart überträgt Malaria. Hierzulande kennen wir im übrigen nur noch die „Flughafen-Malaria“, die von mitgeflogenen Stechmücken herrührt.

Mücken vermehren sich, indem die Männchen in Schwärmen im Sonnenlicht über feuchte Gebiete tanzen. Die Weibchen fliegen dort hinein und befruchtet wieder heraus. Heinz Sielmann zeigte einmal einen solchen Schwarm und raunte dazu aus dem Off: „Sie haben nur ein Interesse – sich zu vermehren!“

Gern Kopulierende

Das ist natürlich Quatsch, aber kopulieren wollen sie schon gern. Dabei passen sie die Tonhöhe ihrer Flügelschläge einander an. Zur Ausbildung der befruchteten Eier müssen die Weibchen dringend Blut saugen. Letztere leben nur etwa drei Wochen, die Männchen bloß zehn Tage.

Wegen ihrer dünnen und zudem unbehaarten Haut fliegen die Weibchen am liebsten Menschen an. Diese versuchen sich mit allerlei Chemikalien und Moskitonetzen dagegen zu wehren. Da die Mücken ihre etwa je 300 Eier in stehende Gewässer, und seien sie noch so klein, ablegen, hat man beispielsweise im heutigen Myanmar schon seit Jahrhunderten einen Teil des dort geförderten Erdöls auf Tümpel verteilt, um das Schlüpfen der Larven, die an der Wasseroberfläche atmen müssen, zu verhindern. Von den Mückenlarven, die sich vier Mal häuten und nach fünf Tagen verpuppen, ernährt sich jedoch eine Vielzahl von Wassertieren, die meist mitsterben.

„Mücken haben nur ein Interesse – sich zu vermehren!“ Heinz Sielmann irrte

Während der linksliberale Pathologe Rudolf Virchow entgegen der Erwartung seiner Berliner Vorgesetzten bei der Untersuchung der „Hungertyphus“-Epidemie in Oberschlesien die üble preußische Kolonisierung der Polen für die wahre Ursache der „Seuche“ hielt und nicht irgendeinen „Erreger“, was ihn zum Begründer der „Sozialmedizin“ machte, griffen die europäischen Verwalter der überseeischen Kolonien bei der Bekämpfung der Malaria auf den medizinischen Begriff der „Segregation“ zurück. Will heißen, sie schufen einen „cordon sanitaire“ zwischen ihren Siedlungen und denen der Eingeborenen und deren besonders betroffener Kinder, woraus sich später die „Apartheitspolitik“ entwickelte.

Da die weiblichen Stechmücken etwa eine Meile weit fliegen können, wurden die Schutzzonen um ihre „gated communities“ ebenso weit gezogen. Der konservative Bakteriologe Robert Koch schlug im Falle der Tsetse-Fliege, die die Schlafkrankheit überträgt, sogar die Einrichtung von Konzentrationslagern für Schwarze vor. Als er sich mit seiner Frau auf eine fünfjährige Weltreise begab, musste diese mehrmals wegen eines Malariaanfalls die Reise unterbrechen.

Jeder Erreger ein Feind

Vor allem die USA waren wenig später schnell bereit, in jedem Krankheitserreger einen Feind zu sehen, da man bei vielen Krankheiten nicht wie meist in Europa die sozialen Lebensumstände verantwortlich machte, sondern versuchte, die Erreger mit geeigneten Mitteln individuell zu bekämpfen.

An den damaligen UNO-Kampagnen zur weltweiten Ausrottung der Moskitos beteiligte sich auch die Rockefeller Foundation. Deren Präsident meinte vor nun genau 100 Jahren: „Zum Zwecke der Besänftigung primitiver und zweifelhafter Leute hat die Medizin einige entscheidende Vorteile gegenüber Maschinengewehren.“

Als die italienischen Faschisten sich daran machten, die Pontinischen Sümpfe nahe Rom trocken zu legen, stellten sie eine „Anti-Moskito-Miliz“ auf. Und ab 1945 erwies sich das Ausbringen von DDT mit Flugzeugen als ein erfolgreiches Mittel: „Aus der Perspektive der medizinischen Entomologie war das aufregendste Ergebnis des Zweiten Weltkriegs die Entdeckung des DDT,“ hieß es in einer US-Malariastudie, die der Wiener Künstler und Philosoph Fahim Amir in seinem Buch „Schweine und Zeit. Tiere, Politik, Revolte“ (2018) zitiert.

Aber bald schon wurden nach 1945 immer mehr Moskitos resistent gegen das Gift. Bei mit DDT imprägnierten Moskitonetzen verlegten sie ihre Angriffe auf den Tag – so wirkten alle anderen Schutzvorrichtungen für die Nacht nicht mehr. Und dann wies die Biologin Rachel Carson in ihrem Buch „Der stumme Frühling“ (1962) nach, dass das DDT die Vögel vernichtet, woraufhin es auf Druck von Umweltschützern zu einem DDT-Verbot kam. In Afrika wird es jedoch bis heute noch immer angewendet.

Ein anderes, prophylaktisches Antimalaria-Mittel, Lariam, das das US-Militär seinen 200.000 Soldaten einst im Irak mitgab, musste wegen seiner Nebenwirkungen zurückgezogen werden, nachdem mehrere Kriegsveteranen durchgedreht waren und ihre Frauen umgebracht hatten.

Die Bekämpfung eines weiteren Feindes, jener Bakterien nämlich, die Tripper und Syphilis übertragen, geschah in Panama, wo amerikanische Zivilisten und Militärangehörige nach Fertigstellung des Kanals ab 1914 massenhaft einfielen, auf zynische Art und Weise. Die einheimischen Frauen wurden laut Autor Fahim Amir wie Moskitos behandelt: Man fing sie nachts überall in der Stadt ein und testete sie auf Geschlechtskrankheiten – „bei positivem Ergebnis wurden sie bis zu sechs Monate in einer Mischung aus Gefängnis und Krankenhaus einbehalten.“

Mücken werden kommerziell

Neuerdings hat sich die Rockefeller Foundation mit der Bill & Melinda Gates Foundation zusammengetan, und kämpft noch einmal gegen alle Moskitos: diesmal haben sie genmanipulierte Weibchen ausgesetzt, die Sterilität vererben. Jene haben Amir zufolge den Vorteil, dass nun, in der NGO-Ära, „die Moskitos selbst zu einem kommerziellen Produkt gemacht werden können,“ das man etwa an afrikanische Regierungen verkaufen kann. Nachdem festgestellt wurde, dass das Bakterium „Wolbachia“ Mücken gegen Dengue-Viren immunisiert, haben Wissenschaftler in Australien nun zigtausende damit infizierte Mücken freigelassen.

Die Afrikanistin Uli Beisel argwöhnt, dass auch diese neuen „Mittel“ nichts nützen. Sie plädiert stattdessen für einen „Waffenstillstand“, um nicht aus der Mücke einen Elefanten zu machen – und das Tier endgültig zu eliminieren. Koexistenz heißt das Gebot der Stunde.

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