Die Wahrheit: Das Haaroskop

Wenn Friseure in Frisuren lesen, kommt meist irgendwas heraus, was mit der Wahrheit ungefähr so viel zu tun hat wie mit den Sternen.

Als von abstehenden Haupthaaren geplagter Mensch komme ich nicht umhin, alle drei bis fünf Wochen einen Friseursalon aufzusuchen. Sicher könnte ich mir die Seiten auch selbst rasieren, aber das habe ich einmal probiert: Mein Kopf sah danach aus wie ein von einem Quad mit sehr kurzem Radstand überfahrener Otter.

Der Salon, bei dem ich meist gegen Mittag vorbeischaue, wenn normale Leute arbeiten, vergibt keine Termine: Man tritt ein, setzt sich hin und bekommt die Haare von der Person geschnitten, die sich nicht schnell genug in die Raucherpause verabschiedet hat. So baut man zwar keine freundschaftliche Beziehung zum Hairstylisten auf, weil man ja fast immer an einen anderen Scherenmeister oder -meisterin gerät. Aber dafür ist es der einzige Laden in der Stadt, der kein bescheuertes Wortspiel mit dem Begriff „Haar“ im Namen trägt.

An jenem Montag – ja, das war früher mal der freie Tag der Friseure, aber wir leben im Kapitalismus –, an jenem Montag also traf es einen stark schwitzenden Herren, der meiner Einschätzung nach das Wochenende in einem Techno-Schuppen verbracht und nun mit den Folgen des kalten Entzugs zu kämpfen hatte. Er hingegen behauptete, es sei hier drinnen furchtbar warm und seine Kollegen hätten ihm untersagt, ein Fenster zu öffnen. Draußen schneite es.

In den kurzen Phasen, in denen er nicht seine tropfende Stirn mit einem Tüchlein abtupfte, rasierte und schnippelte er an mir herum. „Du warst schon letztes Mal bei mir, kann des sein?“, erkundigte er sich. Noch nie zuvor war ich diesem Mann begegnet, aber weil es beim Friseurbesuch nicht um die Wahrheit geht, sondern darum, sich nicht mit dem Menschen in die Haare zu kriegen, der mit scharfen Klingen auf der Höhe des eigenen Gehirns hantiert, bejahte ich. Woraufhin er meinte: „Na klar! Ich erkenn meinen Schnitt genau! Da stimmt einfach alles!“

Haarsträubende Haarstrologie

Vielleicht hätte ich an dieser Stelle besser offenlegen sollen, dass es sich bei meiner Frisur nicht um sein Werk handelte. Ein peinliches Schweigen wäre weniger peinlich gewesen als das, was folgte. „Du schläfsch immer auf der linken Seite, gell?“ Links ist die Körperhälfte, auf der ich unter gar keinen Umständen in den Schlaf finde. Aber ich spielte mit: „So ist es!“ Darauf er: „Ey, es ist so krass, ich kann dir anhand deiner Haare alles über dich verraten. Ich kann dir wahrscheinlich sogar die Zukunft voraussagen!“ Gewissermaßen ein Haaroskop, hehe. Entschuldigung.

In dieser Manier quasselte er mich die nächsten dreißig Minuten voll. Noch nie hatte ich mir so sehr gewünscht, man möge mir versehentlich beide Ohren abschneiden. Als der Maestro fertig und ich nach dem Bezahlen in Sicherheit war, mutmaßte er noch: „Ich glaub, du trägsch auch immer Mützen, oder?“ Ich besitze keine einzige Mütze, antwortete jedoch: „Unglaublich, was du alles weißt!“

Den Satz „Mit so einer Frisur bleibt mir ja auch kaum was anderes übrig!“ nuschelte ich beim Fortgehen.

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Cornelius W. M. Oettle kam in der kältesten Novembernacht des Jahres 1991 in Stuttgart zur Welt und weiß nicht, warum. Zur Überbrückung seiner Lebenszeit schreibt er als freier Autor für alle, die sich ihn leisten können. Seine Tweets aber sind und bleiben gratis.

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kari

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